21. Mai 2023 · Inneres

Warum der CIO für die Digitalisierung in der Staatskanzlei angesiedelt sein muss

Die Schelte war hart, sogar sehr hart. Sonst ist der Landesrechnungshof (LRH), die oberste Prüfbehörde des Landes, für seine eher vermittelnden und diplomatisch-zurückhaltenden Worte bekannt. Heftige Kritik wird zwar vorgetragen, aber meistens doch im Ton maßvoll. Diesmal ist es anders. Die „beratende Äußerung“, die der LRH auf 38 Seiten niedergeschrieben und Anfang Mai vorgelegt hat, lässt an Deutlichkeit keinen Zweifel: Die Umsetzung der gesetzlichen Auflagen zur Digitalisierung beim Online-Zugangsgesetz sei „gescheitert“, heißt es darin. Dies zeige „exemplarisch die Unzulänglichkeit der bisherigen Verwaltungsdigitalisierung insgesamt“. Mit anderen Worten: Niedersachsen hat bei der Modernisierung der eigenen Landesbehörden versagt.

Statt auf der Datenautobahn ist die niedersächsische Verwaltung bislang eher auf einem digitalen Feldweg unterwegs. | Foto: envfx

Einen muss diese Kritik vor allem treffen, nämlich den Haupt-Zuständigen. Er heißt Horst Baier, ist von Beruf „Chief Information Officer“ (CIO) des Landes und damit Bevollmächtigter für die IT, also der erste und wichtigste Ansprechpartner für die Digitalisierung der Landesverwaltung. Baier ist ein Vollprofi der Verwaltung, ein promovierter Volkswirtschaftler mit Erfahrungen in den Stadtverwaltungen Salzgitter, Braunschweig und Osnabrück. Vor seiner Ernennung zum CIO war er acht Jahre lang Samtgemeindebürgermeister in Bersenbrück (Kreis Osnabrück) – und zudem jemand, der sich in Zahlen und Entwicklungen mindestens so gut auskennt wie in den kommunalen Entscheidungsprozessen. Dass er stets sachlich und unaufgeregt an die Sachen geht, spricht für ihn.

Aber Baier befand sich von Anfang an in einer schwierigen Situation, als er im März 2020 sein Amt antrat: Der CIO ist Leiter einer kleinen, in vier Referate untergliederten Stabsstelle im Innenministerium, etwa 80 Mitarbeiter sind dort aktiv. Ein Ländervergleich zeigt, dass dieser Status ausgesprochen schwach ist. Ein nach B4 besoldeter Referatsgruppenleiter liegt unterhalb eines Abteilungsleiters (B6). Zehn der 16 Bundesländer haben sogar einen eigenen Staatssekretär (B9) für die Digitalisierung. In den anderen Ländern ist es meistens ein Abteilungsleiter, also im Rang über einem Stabsstellenleiter, und in Bayern gibt es sogar eine „Staatsministerin für Digitalisierung“. Niedersachsen hinkt also hinter allen anderen hinterher.

Ein „Chief“, der kaum was zu sagen hat: CIO Horst Baier kann Niedersachsens Verwaltung digital nicht so richtig voranbringen, weil er nicht genug Entscheidungsgewalt hat. | Foto: Rundblick, Canva

Nun kann man einwenden, dass es bis Herbst 2022 sogar einen Staatssekretär für Digitalisierung gab – Stefan Muhle im Wirtschaftsministerium. Das ist zwar richtig, doch der hatte keine Befugnisse für die Digitalisierung der Verwaltung, denn diese blieb in der Hoheit des Innenministeriums. Und der langjährige Innenminister Boris Pistorius zeigte keinen Ehrgeiz, die Digitalisierung als wichtiges Thema voranzutreiben – er hielt sich auch öffentlich zu dem Thema stets zurück. Das war für Baier, der von außen in diesen Bereich hineinkam, nicht gerade eine Hilfe für seine Rolle. Sonderbar ist auch die Rechtskonstruktion zum Landesbetrieb IT-Niedersachsen, des zentralen Dienstleisters für diesen Bereich in der Landesverwaltung.

Die Fachaufsicht über die Arbeit hat Ulrike Sachs, Rechtsabteilungsleiterin im Innenministerium. Sie ist aber mit der Verwaltungsreform nicht betraut, während Baier, der die IT-Arbeit des Landes koordinieren soll, dem Landesbetrieb mangels rechtlicher Befugnisse keine Weisungen erteilen darf. Das heißt: Das Innenministerium selbst engt den Spielraum für den CIO noch ein. Tatsächlich war die Situation mal anders, früher war Innen-Staatssekretär Stephan Manke der CIO, also der höchste Beamte des Ministeriums, der auch mit dem entsprechenden Status ausgestattet war. Für Manke wurde das neben vielen anderen Aufgaben zunehmend zur Belastung, weshalb die CIO-Rolle dann 2020 von ihm abgekoppelt und dem neu hinzugekommenen Baier zugewiesen wurde.



Im LRH-Bericht liest sich das so: Die Landesregierung habe eine Gesamtverantwortung für den IT-Einsatz beim CIO geschaffen, dies jedoch nicht konsequent umgesetzt. Die Ressorts hätten die Steuerungskompetenz für IT für sich selbst beansprucht – und daraufhin seien auch die CIO-Befugnisse zurückgeschnitten worden. Das geschah teilweise schon vor mehr als zehn Jahren, lange bevor Baier das CIO-Amt übernahm. 2019 habe das „Niedersächsische Gesetz über digitale Verwaltung“ (NDIG) dann dem CIO nur noch Koordinierungsfunktionen zugewiesen – obwohl der ursprüngliche Diskussionsentwurf noch viel mehr an Zuständigkeiten vorgesehen habe. „Die Landesregierung versäumte es schon damals, zentral und ressortübergreifend die erforderliche Entscheidungsstruktur zu schaffen, die für eine effiziente IT-Steuerung und erfolgreiche Verwaltungsdigitalisierung erforderlich ist.“

Dass Niedersachsen trotz erheblicher Haushaltsmittel für die Digitalisierung der Verwaltung „die eigenen Ziele im großen Stil verfehlt“, wie der LRH es formuliert, liegt nach seiner Ansicht an dem „in Niedersachsen gelebten System mit starken Ressortinteressen und einem CIO ohne ausreichende Steuerungs- und Entscheidungsbefugnis“. Die Hildesheimer Prüfbehörde geht aber noch einen Schritt weiter und prangert auch die in Niedersachsen bisher übliche Führungskultur in der Verwaltung an. Wenn man die Verwaltungsabläufe digitalisieren wolle, müssten Hierarchien abgeflacht, Dienstwege verlassen und Eigeninitiativen in untergeordneten Einheiten zugelassen werden. „Kreatives und flexibles Arbeiten“ sei dann nötig – Teams bräuchten eigene Rechte und Budgets. Vorgesetzte, die all das nicht gewohnt sind, müssten mit gutem Beispiel vorangehen. An all diesen Dingen mangele es aber.

Das Innenministerium hat nach diesem LRH-Bericht immerhin Verbesserungsbedarf eingeräumt und „Komponenten zur Stärkung einer zentralen Steuerung der IT“ in Aussicht gestellt. Ob darunter aber eine wesentliche Stärkung der Rolle des CIO zu verstehen ist, darf dann aber doch bezweifelt werden. Denn gleichzeitig erklärt das Ministerium: „Grundlegende Veränderungen dieser bewährten Strukturen sind derzeit nicht vorgesehen.“ An diesem Hinweis auf angebliche „bewährte Strukturen“ darf man aber zweifeln, wenn man in andere Bundesländer blickt.

In Nordrhein-Westfalen beispielsweise schreibt das entsprechende Gesetz fest, dass der dortige CIO – ein Abteilungsleiter – die Informationstechnik nicht nur koordiniert, sondern ausdrücklich auch „steuert“. Die jeweiligen Minister müssen ihre Vorhaben zur Digitalisierung mit dem CIO abstimmen. Noch weiter geht die Vorschrift in Baden-Württemberg, wo ebenfalls ein Abteilungsleiter als CIO agiert. Er muss bei entsprechenden Plänen der Ressorts für IT-Vorhaben nicht nur frühzeitig beteiligt werden, sondern auch zustimmen – denn es wird verlangt, dass die Ministerien mit ihm ein „Einvernehmen“ erzielen. Wenn es um die Etatplanung der Ressorts für solche Vorhaben geht, muss der CIO zudem mit am Tisch sitzen. Das alles geht viel weiter als die niedersächsische Vorschrift.



Immerhin an einer Stelle plant Rot-Grün in Hannover jetzt offenbar einen ähnlichen Schritt: Ein eigener Einzelplan im Haushalt für die IT ist vorgesehen, dort sollen „ressortübergreifende Projekte und IT-Strukturen gebündelt und transparent dargestellt werden“. Zwar ist nicht geplant, dort sämtliche IT-Projekte anzuordnen – denn für Steuerverwaltung, Polizei und Justiz gebe es eigene, länderübergreifende Fachverbünde für Digitalisierung. Der Vorzug eines eigenen Einzelplans wäre aber dennoch, dass die Mittel dort tatsächlich für Digitalisierung reserviert werden – und nicht, wie bisher in den Einzelplänen der anderen Ressorts, im Jahresverlauf auch für andere Zwecke umgebucht werden können.

Aber reicht das schon? Der Haushaltsausschuss des Landtags hat kürzlich intensiv über die scharfe Kritik des Rechnungshofs diskutiert, Baier selbst musste Rede und Antwort stehen. Auffällig vermittelnd trat der CDU-Sprecher Ulf Thiele dabei auf. Vielleicht liegt seine Zurückhaltung auch daran, dass in der SPD/CDU-Koalition zwischen 2017 und 2022 auch die christdemokratisch geführten Ministerien nicht Vorreiter einer Zentralisierung der IT-Zuständigkeit waren, sondern häufig auf ihrer Eigenständigkeit beharrten. Das trifft traditionell vor allem auf die Finanz-, Polizei- und Justizverwaltung zu.

Thiele bot SPD und Grünen an, in einem gemeinsamen Entschließungsantrag Ziele zu formulieren, wie die Rückstände in der Digitalisierung der Landesverwaltung aufgeholt werden können. „Das ist eine Aufgabe, die über Parteigrenzen hinausgeht“, sagt Thiele. Gleichzeitig betont er aber: „Was wir brauchen, ist ein CIO, der direkt in der Staatskanzlei angesiedelt ist und Durchgriffsrecht auf alle Ministerien hat.“ Die Haushaltsexperten von SPD und Grünen, Philipp Raulfs und Andreas Hoffmann signalisierten ebenfalls Verständigungsbereitschaft mit der CDU.

Vielleicht trägt auch der wohl härteste Vorwurf im LRH-Bericht zu der ungewohnten Einigkeit im Landtag bei – nämlich die Kritik am mangelhaften Umgang mit Sicherheitsrisiken, wie sie etwa bei Hacker-Angriffen entstehen können. Der IT-Planungsrat habe nach einer Reihe von organisierten Trojaner-Aktionen in verschiedenen Behörden beschlossen, Sicherungsmaßnahmen binnen zwei Tagen umzusetzen. Nach einem Jahr war festgestellt worden, dass nur vier von 44 Dienststellen diese Auflagen erfüllt hatten. „Damit bestand das inakzeptable Risiko für die IT-Sicherheit im Sicherheitsverbund des gesamten Landesdatennetzes über einen langen Zeitraum“, schreibt der Rechnungshof. Man kann es auch drastischer ausdrücken: Gegen Cyber-Angriffe sind die niedersächsischen Behörden offenbar noch nicht ausreichend gerüstet. Das klingt alarmierend.

Dieser Artikel erschien am 22.5.2023 in Ausgabe #092.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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