Von „Fifty-Fifty-Modell“ bis Energiepreisdeckel: Das sind die Lösungsvorschläge zur Gaskrise
Der Druck von Unternehmen, Gewerkschaften, Interessengruppen und enttäuschten Bürgern nimmt zu – gestern war das dann auch Thema der Ministerpräsidentenkonferenz. Wie kann vermieden werden, dass die kräftig steigenden Kosten für Gas und auch für Strom beim Verbraucher hängen bleiben und energieintensive Unternehmen in den Ruin treiben?
Dazu haben nun Ministerpräsident Stephan Weil und Umweltminister Olaf Lies (beide SPD) ein Modell entwickelt, das von Weil auch in der Ministerpräsidentenkonferenz vorgetragen wurde (obwohl er sich vorher dazu nicht die Rückendeckung der anderen Mitglieder seiner Regierung geholt hatte). Parallel liegt ein Vorschlag des Wirtschaftsministers und CDU-Spitzenkandidaten Bernd Althusmann vor. Der DGB-Landesbezirk Niedersachsen-Bremen hat am Mittwoch ebenfalls ein Papier veröffentlicht.
Wir stellen die Konzepte im Einzelnen vor.
Das „Fifty-Fifty-Modell“ von Lies und Weil
Vorgeschlagen wird zunächst, die von der Bundesregierung bisher noch geplante Gasumlage abzuschaffen. Dann wird der aktuelle Gaspreis für jeden Verbraucher verglichen mit den Durchschnittskosten des Vorjahresverbrauchs. Der Mehraufwand (ohne Gasumlagen-Beträge) wird ermittelt und zur Hälfte vom Staat bezahlt. Dies soll dann umgehend – und nicht erst nachträglich und nach einer Einzelprüfung – vom Staat an den Verbraucher als Bonuszahlung des Versorgers überwiesen werden, und zwar mit jeder Gasabrechnung. Da der Verbraucher die Hälfte des Mehrpreises übernehmen muss, bestehe „ein Anreiz zum Energiesparen“, sagte Lies am Mittwoch vor der Landespressekonferenz.
Dies könne für einen Zwei-Personen-Haushalt bedeuten, bei einer zwanzigprozentigen Energiereduktion jährlich 400 Euro mehr für Gas zu zahlen anstelle von bisher errechneten 2088 Euro mehr. Lies meinte, 498 von 500 Bäckereibetrieben könne so geholfen werden. Da das EU-Recht staatliche Unterstützungen nur von maximal 500.000 Euro je Unternehmen zulasse, hätten Großbäckereien weiter ein Problem. Den Staat koste dieses Modell jährlich 40 Milliarden Euro für die Gasversorgung und sieben Milliarden Euro für die Fernwärme. „Das sind Beträge, die der Bund übernehmen muss“, betonte Lies. Wichtig sei, dass die Hilfe sofort bei den Abschlagszahlungen für Gas wirken soll. Ungerechtigkeiten, etwa wegen der Veränderung der Kopfzahl in den Wohnungen gegenüber dem Vorjahr, müssten hingenommen werden.
Der „Energiepreisdeckel“ von Althusmann
Der CDU-Spitzenkandidat lehnt sich an Vorschläge des baden-württembergischen Finanzministers Danyal Bayaz (Grüne) an. Althusmann trägt diese bereits seit Wochen vor. So sollten die ersten 2000 Kilowattstunden Strom, die ein Kunde im Jahr verbraucht, zum Vorjahrespreis garantiert werden, ebenso die ersten 5000 Kilowattstunden Gas. Hierzu müsse der Staat einschreiten und die Differenz bezahlen, dies solle sich auch sofort auf den Abrechnungen bemerkbar machen. Jüngst hatte Althusmann angedeutet, für diesen Weg auch eine Ausnahme von der Schuldenbremse wegen der aktuellen Notlage festlegen zu wollen. Alle Verbräuche, die über die garantierte Maximalmenge an Kilowattstunden hinausgehen, müssten die Kunden zu den aktuellen Marktpreisen selbst bezahlen.
Eike Frenzel, Sprecher von Minister Althusmann, signalisierte Kompromissbereitschaft: „Der Minister hängt nicht an einem bestimmten Modell, sondern hofft auf eine schnelle Entlastung der Bürger.“ Ähnlich hatte sich zuvor Lies eingelassen: „Der Weg ist den Leuten egal, sie wollen zügige Hilfe.“ Eine nähere Beschreibung des Althusmann-Modells modifiziert die ersten Angaben etwas. Demnach soll ein Haushalt 75 Prozent seines Vorjahresbedarfs zum Preis von 12 Cent je Kilowattstunde bekommen, alles darüber liegende soll zum Marktpreis verkauft werden. Der CDU-Abgeordnete Martin Bäumer meinte am Mittwoch, das CDU-Modell komme für die Verbraucher günstiger als das Modell von Weil und Lies.
Das DGB-Modell aus Niedersachsen
Der DGB-Landesvorsitzende Mehrdad Payandeh präsentiert ein Modell, das sich an das von Althusmann anlehnt. Die von der Bundesregierung bisher pauschal angekündigte und auf EU-Ebene diskutierte Strompreisbremse reiche allein nicht. Eine Gaspreisbremse sei auch nötig. Jedem Haushalt sollten 7000 Kilowattstunden Gas zum Preis von neun Cent je Kilowattstunde garantiert werden, für jede im Haushalt lebende Person sollten noch einmal 2000 Kilowattstunden hinzukommen. Oberhalb des Grundverbrauchs sollten die Marktpreise gelten. Der DGB ergänzt das durch 13 weitere Forderungen, etwa zu Einmalzahlungen, einem Härtefallfonds, einem Moratorium für Wohnungskündigungen und einem Schutzschirm für Stadtwerke, Pflegeheime, Schulen, Kliniken, Hochschulen und Verkehrsunternehmen.
Grüne und FDP verstimmt
Julia Hamburg (Grüne) warf der SPD vor, „mit Ad-hoc-Konzepten für den Wahlkampf“ aufzutreten. Sinnvoller sei es aus ihrer Sicht, zur geplanten Gaspreisbremse zunächst die Empfehlungen einer Fachkommission auf Bundesebene abzuwarten. Stefan Birkner (FDP) wunderte sich über den Auftritt von Lies vor der Landespressekonferenz: „Fraglich bleibt, warum ein Landesminister ohne Abstimmung mit dem Koalitionspartner ein Konzept vorstellt, dessen Kosten in Milliardenhöhe allein vom Bund zu tragen wären.“
Dieser Artikel erschien am 29.09.2022 in der Ausgabe #171.
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