Niedersachsen baut eine Brücke in die Ukraine – nicht aus Beton, sondern aus Kontakten. Unter dem Dach der IHK Niedersachsen ist dafür jetzt das „Ukraine Netzwerk Niedersachsen“ gestartet. Dahinter steckt die Idee, die vielen verstreuten Aktivitäten im Land sichtbar zu machen und miteinander zu verbinden. Denn engagiert sind längst nicht nur große Konzerne, sondern auch Mittelständler aus der Agrar- und Energiewirtschaft, Kommunen mit Partnerschaften, Universitäten, Ministerien und Hilfsinitiativen. Mit dabei sind bekannte Namen wie der Medizintechnikhersteller Ottobock, der Energieversorger Enercity oder die Deutsche Messe, daneben aber auch spezialisierte Unternehmen wie Europlant-Pflanzenzucht, Hartmann Valves oder die Deula in Nienburg. Bisher arbeiteten viele nebeneinander her, ohne voneinander zu wissen – nun soll ein gemeinsames Forum entstehen, in dem Erfahrungen gebündelt, Stolpersteine besprochen und neue Projekte auf den Weg gebracht werden. Gestern trafen sich die Partner in Hannover erstmals persönlich. Der Rundblick hat sich mit einigen Teilnehmern unterhalten.

Das größte Problem für das Unternehmen seien die Stromausfälle gewesen, doch inzwischen verfüge das Werk über einen Dieselgenerator. Ermöglicht wurde die Anschaffung auch durch Investitionsgarantien des Bundes, die deutsche Firmen vor politischen Risiken im Ausland absichern. Für Düvelsdorf bleibt die Ukraine ein Zukunftsmarkt. „Das Land hat wirtschaftlich ein enormes Potenzial. Wenn es sich weiter der EU annähert, werden davon alle profitieren“, ist er überzeugt. Deshalb unterstützt er auch andere deutsche Unternehmen, die in der Ukraine aktiv werden wollen – sei es bei Transporten, Zollfragen oder Kontakten. Seine Familie hat seit Februar 2022 zudem mehrere Hilfstransporte organisiert. „Wir fühlen uns sehr verbunden mit der Ukraine und freuen uns, wenn wir unterstützen können.“
- Digitalisierung für den Neustart: Der Wiederaufbau der Ukraine und der dortige Mangel an Arbeits- und Fachkräften beschäftigen auch die Deutsche Messe AG. Der hannoversche Messeveranstalter hat seit Kriegsbeginn nicht nur bei der Verteilung und Unterbringung von Flüchtlingen in Niedersachsen eine entscheidende Rolle gespielt, sondern auch die Unternehmen beider Länder zusammengebracht. „Wir sind dazu da, um Akteure zu vernetzen“, sagt Daniela Quardt von der Technology Academy Group. Die Messe-Tochter hat dazu mehrere Konferenzen organisiert, um industrielles Know-how aus Deutschland für den Wiederaufbau nutzbar zu machen. Bei der Internationalen Technologiekonferenz auf der Hannover-Messe stand die Digitalisierung im Mittelpunkt und die Frage: Wie können Robotik und Automatisierung den Mangel an Fachkräften abfedern und Produktionsprozesse trotz Krieg stabil halten?
Eine Schlüsselrolle beim Wiederaufbau könnten europäische "Digital Innovation Hubs (EDIH)" übernehmen. Sie bieten Unternehmen die Möglichkeit, neue Technologien auszuprobieren, Fachkräfte zu qualifizieren und leichter Zugang zu Investoren zu finden. Geplant ist, dass auch die Ukraine Teil eines Netzwerks von mehr als 150 Standorten in Europa wird, von denen 17 in Deutschland angesiedelt sind. Das Fraunhofer IFF arbeitet dafür gemeinsam mit dem Luftfahrtinstitut in Charkiw am Aufbau eines Hubs, der sich vor allem an kleine und mittlere Firmen in den Bereichen Landwirtschaft, Energie und Industrie richtet. „Wir wollen dabei mithelfen, dass der Wiederaufbau nach neuesten ökonomischen und ökologischen Gesichtspunkten erfolgt“, sagt Quardt. Die Deutsche Messe will auch künftig Akteure aus der Ukraine, wie etwa das Kharkiv IT Cluster, mit Unternehmen aus Niedersachsen und anderen europäischen Regionen vernetzen.

- Praxisnahe Ausbildung als Vorbild: Die Deutsche Lehranstalt für Agrartechnik (Deula) in Nienburg (Weser) ist seit Jahren ein gefragter Partner für die Aus- und Weiterbildung ukrainischer Fachkräfte. Geschult werden Themen wie Tierhaltung, der Betrieb von Biogasanlagen, Pflanzenschutz oder die Wartung von Landtechnik. Auf der jüngsten Agritechnica interessierten sich die Besucher aus der Ukraine zudem für Zukunftsthemen wie Drohnen in der Landwirtschaft oder Smart Farming. Besonders groß ist das Interesse aber am praxisnahen deutschen Ausbildungssystem. „In der Ukraine geht man entweder zur Uni oder zur Berufsschule und da hat man vielleicht ein Praktikum von drei Wochen“, sagt Svitlana Vorobets.
Vorobets stammt selbst aus der Ukraine, hat aber schon lange vor der Krim-Annexion 2014 in Deutschland studiert und später bei niedersächsischen Maschinenbauern im internationalen Vertrieb gearbeitet. Seit einigen Jahren verantwortet sie bei der Deula die internationalen Projekte, vor allem im englischsprachigen Raum. Doch der Krieg hat den Wissensaustausch teilweise ausgebremst. „Davor hatten wir mehr Teilnehmer aus der Ukraine. Seitdem dürfen junge Männer nicht mehr einfach ausreisen“, erklärt sie. Reisen von Deula-Mitarbeitern nach Osteuropa sind aus Sicherheitsgründen ebenfalls nicht möglich. Ein Beispiel, dass die Kontakte dennoch nicht abreißen, ist ein Lehrgang im Januar 2025: Zwölf Mechaniker eines ukrainischen Großbetriebs mit 65.000 Hektar Fläche kamen nach Nienburg, um sich in Elektrotechnik für Land- und Baumaschinen fortzubilden. Und wenn die Waffen endlich schweigen, könnte die Zusammenarbeit neu aufblühen. Im Gespräch ist sogar der Aufbau eines Trainingszentrums, um Berufsschullehrer in der Ukraine weiterzuqualifizieren.

- Wohnraum für Rückkehrer: Äußerst konkret sind die Pläne von Crowd Ukraine aus Haren im Landkreis Emsland. Das Unternehmen will beim Wiederaufbau nicht nur zerstörte Häuser ersetzen, sondern jungen Menschen eine Perspektive geben – für digitale Nomaden, Berufseinsteiger und Rückkehrer. Bis 2030 ist ein Immobilienportfolio von rund 100 Millionen Euro geplant. Im ersten Schritt sollen 20 Co-Living- und Co-Working-Häuser entstehen, langfristig mindestens 40. Jedes Gebäude wird in modularer Holzbauweise errichtet, umfasst rund 50 möblierte Mikroapartments und bietet zusätzlich Gemeinschaftsflächen, Arbeitsbereiche sowie Café und Bar. „Wir wollen ein Angebot schaffen für junge Leute, die sich noch nicht niederlassen wollen, sich auf ihre Karriere konzentrieren und etwas bewegen wollen“, sagt Olga Titar. Die promovierte Ökonomin stammt aus der Ukraine, lebt heute in Deutschland und ist bei Crowd Ukraine für Partnerschaften und Wachstum zuständig.
Der Bedarf ist riesig: Allein im Bereich Wohnungsbau schätzt die Weltbank den Investitionsbedarf auf mehr als 80 Milliarden Euro. Crowd Ukraine setzt dabei auf ESG-konformes Bauen nach europäischen Standards. Partner ist die deutsch-österreichische Gropyus AG, die als Technologieführer im Holzmodulbau gilt. Für Titar ist entscheidend, dass die Projekte nicht auf unbestimmte Zeit verschoben werden: „Wir wollen so schnell loslegen wie nur möglich und nicht bis zum Ende des Krieges warten. Die Ukraine ist ein lebendiges Land, die Wirtschaft läuft und das Bauwesen ebenso.“

Wichtig ist den Gründern die Sicherheit für Investoren. Deshalb wurde die Gesellschaft als Aktienunternehmen nach den Vorgaben der BaFin gegründet und firmiert als "das erste EU-regulierte Crowdfunding-Investment für nachhaltigen Wohnraum in modularer Bauweise". „Wir sind superreguliert“, betont Titar. Zusätzliche Absicherung bietet die Investitionsgarantie des Bundes, die Kapitalanlagen gegen Kriegsrisiken schützt. Die erste Finanzierungsrunde über fünf Millionen Euro läuft bereits. „Die Investoren, die als erstes an dich glauben, sind die wichtigsten“, sagt die zweifache Startup-Gründerin. Crowd Ukraine wirbt mit dem Slogan „Designed in Germany, built in Ukraine“. Für Titar geht es dabei um mehr als nur Ersatz für das Zerstörte: „Wir können die Ukraine nicht nur wiederaufbauen, wir können auch etwas ganz Neues bauen.“