„Verrückt und zehrend“: Politik und Unternehmen resignieren bei Deutschlandticket
Für das 49-Euro-Ticket wird die Luft immer dünner. Nachdem sich Bund und Länder einfach nicht auf eine dauerhafte Finanzierung einigen können, scheint eine Preiserhöhung nun der letzte Ausweg, um das bundesweite Einheitsabo für den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) über 2025 hinaus zu retten. Bei der Herbsttagung der niedersächsischen ÖPNV-Branche in Göttingen machten sowohl Verbandsvertreter und Verkehrsunternehmer als auch Politiker und Verwaltungsmitarbeiter deutlich: Es muss dringend mehr Geld ins System – notfalls eben durch eine Tariferhöhung. Ansonsten könnte die ganze Verkehrswende eine Rolle rückwärts einlegen, weil die Verkehrsverbünde zur Aufrechterhaltung des Kernbetriebes massenweise Linien streichen müssen. „Die Lage ist nicht schön, aber wir müssen da irgendwie durch“, lautete noch die aufmunterndste Botschaft von Hauptgeschäftsführer Oliver Wolff vom Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV).
„Wir müssen der Politik anders Druck machen, wir müssen den Schwarzen Peter zurückspielen.“
Das größte Hindernis für den Erfolg des Deutschlandtickets verortet Wolff in der Chefetage des Bundesverkehrsministeriums. Volker Wissing (FDP) habe konzeptionell und inhaltlich für das D-Ticket bislang „keinen Finger gekrümmt“, kritisierte der VDV-Hauptgeschäftsführer, der die ÖPNV-Branche in dieser Position seit 2011 vertritt. Seine Einschätzung lautet: „Wissing ist schon Geschichte, in dieser Legislaturperiode wird finanziell nichts mehr laufen.“ Den Kampf für eine auskömmliche Finanzierung des Deutschlandtickets, das laut Berechnungen aus Bayern im kommenden Jahr ein Defizit von 750 Millionen Euro verursachen wird, will Wolff aber trotzdem nicht einstellen. „Wir müssen der Politik anders Druck machen, wir müssen den Schwarzen Peter zurückspielen“, sagte Wolff. Die Branche werde dem Bundesverkehrsminister gegenüber klarmachen: „Wenn du es nicht schaffst, eine Finanzierung sicherzustellen, dann bestellst du das Deutschlandticket ab. Wir sind Dienstleister und wir brauchen einen klaren Auftrag.“ Die große Befürchtung des Verbandsvertreters lautet: „Wenn der Rettungsschirm weg ist, dann wird es ernst.“ Unter den derzeitigen Voraussetzungen könnten die Verkehrsunternehmen weder die Kosten für den Sprit noch für das Personal vollständig decken. „Wir stehen mit dem Rücken zur Wand, was allein schon den Bestand angeht“, mahnte Wolff.
„Der VDV hatte Recht: 49 Euro bei drei Milliarden Euro – das hat doch nicht richtig geklappt.“
Die ÖPNV-Branche hatte bereits im Herbst 2023 gewarnt, dass die Finanzierung des Deutschlandtickets mit insgesamt drei Milliarden Euro durch Bund und Länder auf Dauer nicht ausreichen werde. „Der VDV hatte Recht: 49 Euro bei drei Milliarden Euro – das hat doch nicht richtig geklappt“, bestätigte nun Björn Ungruhe, Leiter der Zentralabteilung im niedersächsischen Wirtschaftsministerium. Er betonte aber auch: „Dass das Deutschlandticket ein Erfolg ist, sieht man an den 13 Millionen verkauften Abos.“ Ebenso wie der Verband kommt auch der Mitarbeiter von Wirtschafts- und Verkehrsminister Olaf Lies (SPD) zu der Einschätzung, dass der Bund den Herausforderungen der Zeit nur unzureichend nachkomme. „Ich weiß nicht, wie viele Gespräche der Minister zu diesem Thema geführt hat – 50, 100, 200? Es ist wirklich verrückt und zehrend“, berichtete der Abteilungsleiter. Der Streit darüber, wie hoch eine Preiserhöhung ausfallen müsse und wie lange der neue Tarif stabil bleiben könne, nähere sich jedoch möglicherweise dem Ende. Ungruhe erwartet, dass die Finanzierung zumindest bis 2026 sichergestellt werde. Von Länderseite könne vielleicht schon in den nächsten Tagen „weißer Rauch aufsteigen“, sagte er. Die nächste Verkehrsministerkonferenz findet zwar erst am 9. und 10. Oktober statt, in dieser Woche trifft sich jedoch bereits die Fachebene.
„Das Deutschlandticket wäre auch mit 69 Euro ein Erfolg gewesen.“
Zur Finanzierung des D-Tickets hatte das bayerische Verkehrsministerium kürzlich eine Preiserhöhung von 15 Euro ins Spiel gebracht. „Eine Finanzierungssicherheit für 2025 kann mit hoher Wahrscheinlichkeit erst mit einem Preis von mindestens 64 Euro erreicht werden“, zitierte die Bild-Zeitung aus einer Stellungnahme an den Koordinierungsrat des Deutschlandtickets. Bundesweit fiel die Kritik an diesem Vorschlag bislang verhalten aus, bei der VDV-Tagung in Göttingen erntete der Vorstoß von CSU-Minister Christian Bernreiter stillschweigende Zustimmung. „Ich bin fest davon überzeugt, dass das Deutschlandticket auch mit 69 Euro ein Erfolg gewesen wäre, und dann hätten wir ganz viele Debatten nicht führen müssen“, sagte Sven Ambrosy, bisheriger Präsident des Niedersächsischen Landkreistages (NLT). Der SPD-Politiker wunderte sich darüber, dass sich die Bundesregierung von der ÖPNV-Finanzierungslücke überrascht zeige. „Es ist nicht nachvollziehbar, dass der Bund den Zuschussbedarf im Vorfeld nicht erkannt haben will“, sagte Ambrosy. Er lobte seinen Freund und Parteifreund Olaf Lies dafür, dass dieser den Kommunen gegenüber den vollständigen Defizitausgleich für 2024 zugesagt habe. Eine derartige Garantie müssten die Landkreise und kreisfreien Städte, die den Nahverkehr bestellen, jetzt aber auch für 2025 bekommen. „Dieses Geeiere muss endlich aufhören, sonst gibt es Diskussionen darüber, ob es nicht besser ist, das einzustampfen“, forderte Ambrosy. Trotz des finanziellen Ärgers wertet der SPD-Politiker das Deutschlandticket als Erfolg. „Vor der Einführung des Deutschlandtickets habe ich in unseren Bussen an Nachmittagen mal zwei bis drei Passagiere gesehen, seit der Einführung sitzen da richtig viele Menschen drin. Das sind bei uns vor allem die Touristen“, berichtete er. Nicht nur im Landkreis Friesland, der jährlich fünf Millionen Tagesgäste und eine überregional bekannte Brauerei habe, spiele der ÖPNV für den Tourismus eine wichtige Rolle. „70 Prozent unserer Gäste an der Nordseeküste kommen aus Nordrhein-Westfalen und die sind das Zugfahren gewöhnt“, sagt Ambrosy.
Aus Sicht des niedersächsischen CDU-Chefs Sebastian Lechner lohnt sich das D-Ticket vor allem für die Metropolregionen und die Verkehrsverbünde der großen Städte. „Bei mir in Neustadt-Averhoy bringt das Deutschlandticket relativ wenig, weil der Bus nur einmal pro Stunde fährt“, sagte Lechner und betonte: „Die Menschen im ländlichen Raum in Niedersachsen finanzieren das Deutschlandticket derzeit quer, das kann so nicht bleiben. Ich glaube auch, dass wir um Preiserhöhungen beim Deutschlandticket nicht umhinkommen.“ Unabhängig davon forderte er jedoch grundsätzlich mehr Investitionen in den Verkehrssektor sowohl vom Bund als auch vom Land. Lechner kritisierte, dass dieser Bereich mit rund 750 Millionen Euro im Landeshaushalt bei der Prioritätensetzung nur auf Platz 13 rangiert. „Innerhalb des Verkehrs- und Wirtschaftsministeriums können wir zu Priorisierungen zugunsten des Verkehrs und der Infrastruktur kommen“, sagte der CDU-Politiker und sprach sich für eine Reduzierung der „unüberschaubaren Anzahl an Förderprogrammen“ aus. „Wir müssen runter von den 2000 Förderprogrammen und lieber zwei, drei Themen priorisieren. Dazu müsste auch der Betrieb und der Ausbau des ÖPNV gehören“, so Lechner.
Dieser Artikel erschien am 18.09.2024 in der Ausgabe #162.
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