11. Okt. 2018 · 
Inneres

Vergabeprobleme: Polizei muss länger auf schusssichere Helme warten

Noch Mitte 2017 hatte Innenminister Boris Pistorius angekündigt, dass die Streifenwagen der niedersächsischen Polizei mit schusssicheren Helmen ausgestattet werden. So sollen die Beamten besser geschützt werden, wenn sie etwa bei einem Terroranschlag als erste vor Ort sind und eingreifen müssen. Die sogenannten „First-Response-Helme“ sollten Ende dieses Jahres kommen. Doch daraus wird nun nichts, denn die Beschaffung stockt. Grund ist nach Informationen des Politikjournals Rundblick die Beschwerde eines Herstellers, der sich im Vergabeverfahren übergangen fühlt. Es heißt, dass sich das Unternehmen schon aufgrund der Leistungsbeschreibung benachteiligt gefühlt und einen Rechtsanwalt eingeschaltet habe. Ob das Logistikzentrum Niedersachsen, das für die Beschaffung von Ausrüstung der Verwaltung zuständig ist, den Anforderungskatalog für die ballistischen Schutzhelme bereits überarbeitet hat und damit das Vergabeverfahren bereits ausreichend nachgebessert ist, ist nicht bekannt. Das Innenministerium will sich mit Verweis auf das laufende Verfahren dazu nicht äußern. Dennoch dürfte es noch mindestens ein Jahr dauern, bis die Polizei die Helme bekommt. Experten rechnen damit, dass es solche Hürden bei Vergabeverfahren für prestigeträchtige Polizei-Ausrüstungen in Zukunft häufiger geben könnte. Der Grund ist, dass die Ausstattung der Polizei bei vielen Fachfirmen als bestmögliche Eigenwerbung gilt.

Zu schwere Helme können Genickbruch verursachen

Streitpunkt bei den Helmen ist dem Vernehmen nach das Gewicht. Die ballistischen Helme sind deutlich schwerer als die normalen Schutzhelme, mit denen etwa die Bereitschaftspolizei ausgerüstet ist. Zwar müssen die Beamten die schusssicheren Helme nicht den ganzen Tag, wohl aber mehrere Stunden tragen. Zudem müssen sie sich damit bewegen können, Treppen erklimmen und sich auch mal ruckartig auf den Boden werfen können, wenn sie unter Beschuss stehen. Ist der Helm aber zu schwer, belastet er die Halsmuskulatur nach einer Weile zu stark und der Träger kann sich bei einer ruckartigen Bewegung wie dem Wurf zu Boden das Genick brechen. [caption id="attachment_18457" align="alignnone" width="780"] Die First-Response-Helme sollen den Polizisten gegen Kopfschüsse aus großkalibrigen Waffen schützen. Foto: Christian[/caption] Beim Einsatzmittel-Workshop, zu dem die Zentrale Polizeidirektion und das Innenministerium regelmäßig Beamte einladen, um ihre Meinung zu verschiedenen Ausrüstungsgegenständen zu erfahren, sei der Helm zwar grundsätzlich für gut befunden, das Modell der sich jetzt beschwerenden Firma aber als zu schwer erachtet worden. Dieses Fazit wurde auch nach Pilotversuchen in der Polizeidirektion Hannover und der Bereitschaftspolizei gezogen. Im anschließenden Vergabeverfahren für die Beschaffung der ballistischen Schutzhelme hatte sich herauskristallisiert, dass nur zwei Firmen überhaupt infrage kommen, darunter die jetzigen Beschwerdeführer. Die Helme der anderen Firma sollen gut 300 Gramm leichter sein, dafür aber weniger Schutz bei Beschuss bieten, als die Helme der Konkurrenz. Offenbar hat das Logistikzentrum die Meinung der Polizisten aufgenommen und das Gewicht in den Katalog der Anforderungen aufgenommen, wodurch sich der Hersteller der schwereren Helme direkt benachteiligt fühlte und Beschwerde einreichte, um eine neutralere Formulierung der Ausschreibung zu erzwingen.

Die Polizei als Aushängeschild für Unternehmen

Der Rechtsstreit ist kein Einzelfall, angeblich hat dieselbe Firma wegen derselben Fragestellung in einem anderen Bundesland noch eine Beschwerde laufen. Und wenn man sich unter Marktexperten umhört, so gehen diese davon aus, dass solche Vorgehensweisen bei der Polizeiausstattung zunehmen werden, vor allem bei Prestigeprodukten. Denn auch wenn die Polizei als öffentliche Einrichtung aus finanzieller Sicht für die meisten Firmen kein großer Fisch ist, so ist sie es doch in Sachen Marketing. Denn was die Polizei – insbesondere die deutsche – benutzt, das kann nur das Beste sein, so die weit verbreitete Meinung. Wer also die deutsche Polizei ausrüsten dürfe, der habe gute Chancen für andere Geschäfte im In- und Ausland. Für die Polizei bedeuten die engen Vergabevorgaben jedoch, dass sie nicht unbedingt das Produkt erhält, was am sinnvollsten ist. Fasst sie den Leistungskatalog zu vage, um nicht angreifbar zu sein, bekommt sie unter Umständen ein Produkt, das nur in Ansätzen dem entspricht, was sie eigentlich braucht. Wird sie in der Leistungsbeschreibung aber zu konkret, besteht die Gefahr, wegen fehlender Neutralität verklagt zu werden.
Lesen Sie auch: Neue Schutzausrüstung für die Polizei Ab November: Polizisten sollen weniger Verwaltungsarbeit im Büro leisten „Body Cams“ können bestellt werden, Datenschutzbeauftragte ist entsetzt
Der innenpolitische Sprecher der Grünen, Belit Onay, sieht deshalb ein grundsätzliches Problem bei Vergaben für die polizeiliche Ausstattung. „Es kann nicht sein, dass die Vergabepraxis die Arbeit der Polizei erschwert und den Unternehmen stattdessen Anreiz bietet, sich auf Kosten der Polizei darzustellen.“ Es müsse daher geschaut werden, wo man nachjustieren könne, um der Polizei bei der Ausrüstungsbeschaffung mehr Flexibilität zu geben.
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #180.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

Artikel teilen

Teilen via Facebook
Teilen via LinkedIn
Teilen via X
Teilen via E-Mail
Alle aktuellen MeldungenAktuelle Beiträge
Christian Meyer und Miriam Staudte. | Foto: Kleinwächter
Minister Meyer warnt: Schnellere Planung wird nicht mit weniger Behördenpersonal gehen
4. Juni 2025 · Klaus Wallbaum4min
Foto: Nikada via Getty Images
Warum es so kompliziert ist, die Zahl der zusätzlichen Lehrer korrekt zu bestimmen
3. Juni 2025 · Niklas Kleinwächter4min
An einem geheimen Ort in Oldenburger Land beginnt der CSC  Ganderkesee demnächst mit dem Cannabis-Anbau. | Symbolfoto: GettyImages/Matija Keber
Das Cannabis-Modellprojekt in Hannover stößt auf Kritik bei Ärzten und Apothekern
5. Juni 2025 · Anne Beelte-Altwig3min