
Nach dem wirtschaftlichen Einbruch im ersten Corona-Jahr haben die niedersächsischen Großunternehmen im Geschäftsjahr 2021 wieder kräftig dazugewonnen. „Viele Unternehmen haben ein beeindruckendes Comeback hingelegt“, sagte Nord/LB-Vorstand Christoph Dieng am Mittwoch bei der Vorstellung der neuen Rangliste der 100 größten Unternehmen in Niedersachsen. Die Top 100 haben ihre Umsatzsumme um 10 Prozent auf 443 Milliarden Euro steigern können. Die größten Aufholeffekte nach der Pandemie hat es laut dem Chief Risk Officer (CRO) im verarbeitenden Gewerbe und der Industrie gegeben. Auch der Automobilbau habe sich wieder einmal als Wachstumsmotor erwiesen. „Erfreulich ist zudem, dass die positive Geschäftsentwicklung mit einem Personalaufbau einhergegangen ist“, berichtet Dieng und beziffert den Beschäftigungszuwachs auf rund ein Prozent. Die Nord/LB-Analysten fragten die Unternehmen auch nach ihrer Umsatzprognose für 2022 und stellten fest: Die Mehrzahl blickt optimistisch in die Zukunft, durchschnittlich wird mit einem Umsatzplus von 9 Prozent gerechnet.
Das wird ein Rezessiönchen und kein steiler Absturz.
Christian Lips, Chefökonom der Nord/LB
Nord/LB-Chefökonom Christian Lips äußerte sich ebenfalls zuversichtlich. „Die Ausgangssituation für die deutsche Wirtschaft ist wesentlich besser als man das noch vor wenigen Monaten erwarten und hoffen konnte“, sagte Lips. Selbst wenn es einen „ruckeligen Winter“ gäbe, rechnet er bereits im Frühjahr wieder mit einer Erholung. „Das wird ein Rezessiönchen und kein steiler Absturz“, sagte der Chefvolkswirt mit Blick auf 2023. Nach aktuellem Stand geht er davon aus, dass die Wirtschaft um 0,6 Prozent schrumpfen wird – vielleicht sogar weniger. Die ausführliche Nord/LB-Prognose für das kommende Jahr wird Lips am 12. Januar vorstellen. Sicher ist für den Finanzmarkt-Experten schon jetzt: „Bei der EZB ist das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht. Die Zinserhöhung um 50 Basispunkte im Dezember wird nicht der letzte Zinsschritt sein.“ Lips forderte die Europäische Zentralbank zum Abbau ihrer riesigen Wertpapierbestände von mehr als 5 Milliarden Euro auf. „Von diesem Berg muss man wieder runterkommen“, sagte er.
Zudem äußerte er die Hoffnung, dass die Inflation im Euro-Raum nach dem November-Rückgang auf 10 Prozent (minus 0,6 Prozent) vielleicht schon ihren Zenit überschritten hat. „Es ist aber zu früh, jetzt schon die große Stimmungswende auszurufen“, sagte er. Als entscheidenden Faktor nannten der Chefökonom Lips und CRO Dieng die Energiepreisentwicklung, die aufgrund ihrer Unberechenbarkeit auch die Investitionsfähigkeit der Unternehmen einschränkt, weil sie viele Rücklagen bindet. Grundsätzlich bewertet Dieng die Liquidität der Firmen aber noch als gut. „Die Eigenkapitalsituation ist wesentlich robuster als noch vor einigen Jahren“, sagte der Nord/LB-Vorstand.

Dass die wirtschaftliche Lage im Jahr 2021 ziemlich stabil war, beweist das Ranking der 50 größten niedersächsischen Unternehmen nach Wertschöpfung. Unter den Top Ten gab es mit dem Life-Science- und Lebensmittelkonzern EW Group nur einen Neueinsteiger (Platz 9). Insgesamt gab es vier Neulinge. Die Unternehmensgruppe aus Visbek (Landkreis Vechta) tauchte im vergangenen Ranking allerdings nur deswegen nicht auf, weil sie den Nord/LB-Analysten keine Zahlen zur Verfügung gestellt hatten. Das versäumte auch die Volkswagen AG, deren Geschäftszahlen von Ranking-Leiterin Natalja Kenkel und ihren Kollegen deswegen nach öffentlich zugänglichen Daten berechnet wurde. „Man kann keine Unternehmensrangliste für Niedersachsen erstellen und VW ist nicht dabei. Das ist, als würde man eine Bundesligatabelle ohne den FC Bayern München machen“, brachte Lips die Dominanz des Autobauers auf den Punkt. Sowohl bei der Wertschöpfung als auch beim Umsatz macht der VW-Konzern allein über die Hälfte der Gesamtsumme aus.

Was die Wertschöpfung betrifft, folgen hinter Volkswagen die Unternehmen Continental, Talanx, Salzgitter AG, Rossmann, EWE, Sartorius, Symrise, EW, TÜV Nord sowie als Neueinsteiger auf Platz 11 der Batteriehersteller Clarios Deutschland, der sich 2019 als Nachfolger von Varta gegründet hat. Beim Ranking nach Umsatz sind in der Spitzengruppe auch Agravis, Hagebau, EWE, die Wilhelm Hoyer Gruppe, das Deutsche Milchkontor und Enercity vertreten. Der Touristik-Gigant TUI ist aufgrund der Pandemie zwar auf Platz 11 abgeschmiert. Für Chefökonom Lips ist aber klar, dass der hannoversche Reiseveranstalter im kommenden Jahr wieder zu den Top Ten gehören wird. 2021 ist der TUI-Jahresumsatz zwar auf 4,7 Milliarden Euro gesunken, vor Corona lag der Umsatzerlös aber noch bei knapp 19 Milliarden Euro. Neben der Energiebranche, die 2021 kräftig zugelegt hat, macht Lips auch noch auf das Ernährungsgewerbe aufmerksam, das insgesamt die meisten Vertreter im Ranking hat. „Ernährung ist ein wichtiges Standbein für das Agrarland Niedersachsen“, betont er.

Bei der regionalen Verteilung der umsatzstärksten Unternehmen dominiert die Metropolregion Hannover-Braunschweig-Göttingen-Wolfsburg. 59 von 102 Unternehmensstandorten (VW und Salzgitter AG werden mit jeweils zwei Standorten erfasst) liegen in der Metropolregion. Dort hat wiederum die Region Hannover ein deutliches Übergewicht: 21 Großunternehmen sind in der Landeshauptstadt angesiedelt, sieben weitere in der Region. Der zweitgrößte regionale Schwerpunkt befindet sich mit acht Einträgen im Raum Osnabrück. Dort sind unter anderem das Logistikunternehmen Hellman, der Kupferhersteller KME, die Bauunternehmensgruppe Köster oder die Automobilhandelsgruppe Weller ansässig. Auffällig strukturschwach ist der ländlich geprägte Nordosten des Landes. Zwischen Weser und Elbe gibt es gerade mal acht Großunternehmen, darunter unter anderem Dow Chemical in Stade, den Futter- und Lebensmittelhersteller Mars GmbH in Verden (Aller) oder den Milchverarbeiter Uelzena in Uelzen.
Das komplette Ranking der 100 größten Unternehmen in Niedersachsen ist als PDF hier zum Download erhältlich.