Der Vorstandssprecher der Diakonie in Niedersachsen, Hans-Joachim Lenke, warnt vor erheblichen Engpässen bei der Kinderbetreuung aufgrund der zahlreichen Geflüchteten aus der Ukraine. „Zurzeit ist die Situation in den Kindergärten zwar noch übersichtlich, weil viele der geflüchteten Frauen keinen Arbeitsplatz haben und ihre Kinder selbst betreuen“, erklärte Lenke im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick. Auch gebe es etwa Mutter-Kind-Gruppen in den „blau-gelben Treffpunkten“, die in Kirchengemeinden eingerichtet wurden.

Foto: Jens Schulze und Canva

Doch das werde sich in absehbarer Zeit ändern, fürchtet er. Die Frauen bemühten sich um Sprachkurse und suchten dann rasch den Weg in den Arbeitsmarkt – und dann komme ein großer Mehrbedarf bei den Kindergartenplätzen auf das Land zu. Von der Landesregierung und den Kommunen erwartet Lenke deshalb das klare Signal, dass das Problem erkannt wurde und an einer Lösung gearbeitet werde. „Es muss die Frage beantwortet werden: Mit wie vielen Kindern, die in Deutschland bleiben, rechnen wir?“ Auf dieser Prognose aufbauend müssten dann neue Gruppen oder sogar neue Kindergärten eingerichtet werden. „Das Land muss hier mit zusätzlichen Mitteln in die frühkindliche Bildung investieren.“

„Das 26. Kind ist kein Kind, wie die anderen 25. Dieses Kind hat eine Flucht erlebt, ist womöglich traumatisiert und hat noch Probleme mit der Sprache.“

Das Signal der Landesregierung dürfe aus Lenkes Sicht derweil nicht heißen, man verlängert die Freigabe des 26. Kindes in den Kindergärten auch für die Zeit nach den Sommerferien. Das Kultusministerium hat auf die hohe Zahl von kleinen Kindern unter den Ukraine-Geflüchteten bereits reagiert, indem der Betreuungsschlüssel angepasst wurde. Statt 25 sind nun 26 Kinder pro Gruppe erlaubt. Lenke sagt, dass diese Option derzeit zwar noch nicht besonders stark nachgefragt sei. Die meisten Kindergärten dürften damit aber überfordert sein, so seine Sorge. „Das 26. Kind ist kein Kind, wie die anderen 25. Dieses Kind hat eine Flucht erlebt, ist womöglich traumatisiert und hat noch Probleme mit der Sprache. Deshalb benötigt es besondere Zuwendung – aber dann müssen auch Zeit und Kraft für diese Zuwendung da sein“, sagt Lenke.

Fachkräfte arbeiten an der Belastungsgrenze

Die Erzieherinnen seien aber bereits an ihre Belastungsgrenze gekommen. Das liege zum einen am bereits jetzt bestehenden Fachkräftemangel. Zum anderen habe die Corona-Pandemie die Situation weiter verschärft. „Es geht hier um die einzige Berufsgruppe, die regelhaft Kontakt zu Ungeimpften hatte und hat, einfach weil die Kleinsten noch nicht geimpft werden können“, erklärt der Diakonie-Chef. Deshalb gebe es derzeit eine hohe Infektionsdichte, Gruppen müssen geschlossen oder Angebote eingeschränkt werden.


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Die große Sorge des Diakonie-Vorstandssprechers ist, dass das Kindergarten-System weiter überdehnt wird und schließlich dasselbe Problem wie in der Pflege auftritt: Wegen der hohen Arbeitsbelastung verringern die vorhandenen Fachkräfte ihre Stundenzahl und befeuern damit in einer Abwärtsspirale den Fachkräftemangel noch weiter. Lenke setzt deshalb auf eine Initiative, die dagegenhält. „Die dritte Kindergarten-Kraft muss das Ziel sein, damit wir auch den vorhandenen Mitarbeitern signalisieren: Es wird besser.“ Um den Erzieherberuf attraktiver zu machen, sollte die Ausbildung vergütet werden, schlägt Lenke vor. Außerdem sollten mehr Ausbildungsplätze geschaffen werden, wozu wiederum mehr Lehrkräfte im Bereich Sozialpädagogik benötigt würden. Lenke fordert zudem mehr Flexibilität bei der Anerkennung von Berufsabschlüssen, damit künftig zum Beispiel auch ukrainische Geflüchtete in den Kindergärten eingesetzt werden können.

74 ukrainische Schüler lernen an evangelischen Schulen

Kerstin Gäfgen-Track, die Bevollmächtigte der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen, wünscht sich derweil mehr Unterstützung seitens des Landes für Schulen in freier Trägerschaft. Diese hätten zum Teil viele Ukraine-Flüchtlinge bei sich aufgenommen, sagte sie im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick und ergänzte: „Das machen wir auch gerne, es ist eine Gesamtaufgabe der Zivilgesellschaft. Aber wir erwarten mindestens eine anteilige Unterstützung des Staates.“

Insgesamt 74 ukrainische Schüler werden derzeit an sechs evangelischen Schulen unterrichtet, zudem werden vier Lehrkräfte oder pädagogische Mitarbeiter aus der Ukraine vom kirchlichen Träger beschäftigt. Gäfgen-Track bemängelt aber, dass es dafür keine finanzielle Unterstützung durch das Land gibt und nicht einmal eine Kulanz bei der Stichtagsregelung eingeräumt werde. Diese Regelung sieht vor, dass die Schulen in freier Trägerschaft jeweils bis zum 15. März und zum 15. September ihre Schülerzahlen an das Land melden müssen, um entsprechend bezuschusst zu werden. Die meisten Flüchtlinge aus der Ukraine kamen aber erst später an die Schulen.

Für Gäfgen-Track ist besonders ärgerlich, dass sie seit zehn Jahren mit dem Land über eine Neuordnung der anteiligen Finanzhilfe im Schulbereich verhandelt. Dabei geht es darum, die Mehrkosten, die etwa durch Inklusion, Digitalisierung aber auch Migration entstehen, in das Finanzierungsmodell mit aufzunehmen. Dass nun nach 2015 ein zweites Mal die Schulen in freier Trägerschaft mit den Herausforderungen durch eine Beschulung von Flüchtlingen alleingelassen werden, kann die Oberlandeskirchenrätin nicht nachvollziehen.