Liebe Leserinnen und Leser,
der Sommer neigt sich dem Ende, es wird herbstlicher, rauer und stürmischer. Auch in der Politik. Neulich musste ich das August-Kalenderblatt umblättern, der September kam zum Vorschein. Nun habe ich keinen normalen Kalender, sondern einen besonderen, nämlich den von den „Seeheimern“ in der SPD. In jedem Monat gibt es ein anderes historisches Wahlplakat der SPD zu sehen. Im August erschien Willy Brandt mit dem Spruch von 1969: „Damit Sie auch morgen in Frieden leben können“. Jetzt ist Brandt Geschichte und man sieht Helmut Schmidt vor einer schwarz-rot-goldenen Fahne. Brandt geht, Schmidt kommt – das passt ja irgendwie gerade auch zur aktuellen Politik. Haben die „Seeheimer“ bei ihrer Kalendergestaltung eine prophetische Gabe?

Willy Brandt, der steht für Aufbruch und Erneuerung, für große Visionen und ehrgeizige Ziele. Ganz so, wie die Ampel-Koalition in Berlin nach ihrer Wahl Ende 2021 gestartet war. Helmut Schmidt, der steht für Krisenmanagement, Maßhalten und Reaktionen auf wirtschaftliche Schwierigkeiten. Ganz so, wie es gestern diskutiert wurde, als Bundesfinanzminister Christian Lindner seinen Haushaltsentwurf im Bundestag vorgestellt hat. Viele Zeitgenossen meinen, die Bundespolitik brauche gegenwärtig etwas mehr Schmidt und etwas weniger Brandt. Also etwas kühleren Kopf und etwas weniger feurige politische Leidenschaft. Die „Seeheimer“, darf man vermuten, sehen das wohl ähnlich.

Der Rundblick von heute streift im weitesten Sinne auch dieses Themengebiet. Da geht es um schnöde Gesetzestechnik, die notwendig wird beim Gesetz über Volksinitiativen, da sonst die EU ein Vertragsverletzungsverfahren starten könnte. Das ist ein kleinteiliger bürokratischer Vorgang, der in der Politiktradition von Helmut Schmidt steht. Dann geht es um den Wolf und den neuen Pragmatismus beim Umgang mit diesem Tier. Selbst die größten Freunde des Wolfes, wie sie gerade bei den Grünen häufig anzutreffen sind, stellen sich inzwischen, nach vielen verheerenden Wolf-Übergriffen auf Nutztiere auch in Niedersachsen, den Rufen nach einem Abschuss nicht mehr entgegen. Niklas Kleinwächter beschreibt diese Situation.
Auch dieser politische Vorgang passt zu der Art, wie Helmut Schmidt politisches Handeln begriffen hat: ohne jede Ideologie, an den Fakten orientiert. Das dritte Thema passt allerdings mehr zu Willy Brandt und seiner Forderung: „Wir wollen mehr Demokratie wagen“. Wir blicken nämlich hinter die Kulissen der IHK-Wahlen für die Vertreterversammlung und stellen die Frage, wie demokratisch dieser Vorgang eigentlich gestaltet ist. Oder ist diese Wahl inzwischen eine Farce, zumal es auch gar keinen richtigen Wahlkampf gegeben hat? Willy Brandt hätte, wenn er noch leben würde und Rundblick-Abonnement wäre, seine Freude an diesem Text. Aber wie gesagt: Brandt war gestern, Schmidt ist heute.
Man soll einen Kalender nicht vorblättern, das bringt Unglück. Deshalb verrate ich nicht zu viel über die kommenden Monate. Nur das: Im Dezember kommt noch eine optische Überraschung. Welche, das schreibe ich, wenn es soweit ist.
Ich wünsche einen visionären Mittwoch,
Klaus Wallbaum


