21. Okt. 2021 · 
Wirtschaft

Stromautobahn von der Nordsee bis ins Ruhrgebiet nimmt Formen an

In Niedersachsen, Schleswig-Holstein und der Nordsee wird über ein Drittel der deutschen Windenergie erzeugt. Doch der überwiegende Teil der Stromverbraucher lebt weiter südlich. Netzbetreiber Amprion soll deswegen eine neue Stromautobahn von der Nordseeküste ins Ruhrgebiet bauen – auch um die Stromversorgung nach dem Kohleausstieg zu gewährleisten. Das sieben Milliarden Euro teure Projekt wird eine Kapazität von vier Gigawatt haben, was etwa fünf großen Kohlekraftwerken entspricht, und ab 2030 einsatzbereit sein. Die Gleichstromverbindung soll vorrangig als Erdkabel verlegt werden.

Foto: Amprion Pressebilder

Eigentlich geht es sogar um zwei Leitungsbauvorhaben, die 2021 im Bundesbedarfsplangesetz (BBPlG) verankert worden sind. Die beiden Vorhaben mit den Nummern 48 und 49 werden aber im Projekt „Korridor B“ zusammengefasst, das Amprion selbst als „eine Hauptschlagader der Energiewende“ bezeichnet. Die zweispurige Stromautobahn soll von Heide nach Marl sowie von Wilhelmshaven nach Hamm verlaufen. In das Vorhaben investiert Amprion nach eigenen Angaben etwa sieben Milliarden Euro. Die Kosten werden später über Netzentgelte aber an den deutschen Stromverbrauchern weitergegeben. Neben den reinen Verlegearbeiten ist dabei vor allem die Herstellung der Endpunkte kostspielig. „Etwa ein Viertel der Kosten entfällt auf die Konverter, die Wechselstrom in Gleichstrom umwandeln oder umgekehrt“, berichtet Amprion. Konverter sind für das Übertragungsnetz wichtig, weil sich große Menge an Elektrizität über weite Strecken besser im Gleichstrom transportieren lassen.

Für Amprion würde sich ein Korridor B zwischen Cloppenburg und Rheine anbieten

Korridor B nimmt Formen an: „Unser Ziel bei der Korridorfindung war, die Eingriffe so gering wie möglich zu halten. Aus diesem Grund sieht unsere Planung vor, beide Erdkabelverbindungen im mittleren Bereich ihrer Verläufe parallel zu verlegen“, sagt Arndt Feldmann, Gesamtprojektleiter für Korridor B. Konkret würde sich im Bereich zwischen Cloppenburg und Rheine (Kreis Steinfurt) anbieten. Zusammen mit den Gleichstromkabeln will Amprion auch zusätzliche Leerrohre verlegen, um die Stromautobahn gegebenenfalls zu einem späteren Zeitpunkt aufrüsten und die Leistung noch einmal deutlich erhöhen zu können. Bei der Verlegung setzt der Netzbetreiber auf eine offene Bauweise, um die Erdkabel wie vom Gesetzgeber vorgeschrieben unter die Erde zu bringen.

Infografik_Korridor-B_strukturierter-Untersuchungsraum

Laut einem ersten Versuchsprojekt im Münsterland komme es bei der landwirtschaftlichen Nutzung auf einer Erdkabeltrasse wohl nur während der Bauzeit zu nennenswerten Ertragsausfällen. „Insgesamt verdeutlichen die Versuche, dass ein Anbau von regulären Feldfrüchten im Bereich der Erdkabeltrassen ohne Einschränkungen möglich ist, solange sie durch ihr Wurzelwerk und dessen Struktur die Schutzrohranlage nicht gefährden“, lautet das Fazit von Amprion. Weiter heißt es, dass die häufig von Landwirten befürchtete Bodenerwärmung durch Erdkabel einen geringeren Einfluss auf die oberen Erdschichten habe als etwa jahreszeitliche oder wetterbedingte Temperaturschwankungen.

„Wilhelmshaven 2“: Tennet plant den Bau eines neuen Umspannwerks

Von Heide nach Polsum: In der Gemeinde Lieth, nördlich von Hamburg und nur wenige Kilometer von der Nordseeküste entfernt, befindet sich das erst 2019 fertiggestellte Umspannwerk Heide-West. Über diesen Knotenpunkt wird jetzt schon viel Windenergie aus den Onshore- und Offshore-Anlagen nach Süden transportiert. Doch der Netzbetrieb ist laut Bundesnetzagentur verbesserungsbedürftig. „In dieser Region gibt es vermehrt Transport-Engpässe im Wechselstromnetz“, berichtet die Behörde und verspricht sich von der neuen Stromautobahn eine deutliche Entlastung. Ziel der neuen Leitung wird das Umspannwerk Polsum, das 440 Kilometer entfernt im äußersten Südwesten von Marl (Kreis Recklinghausen) liegt. Neben den beiden Endpunkten ist auch schon die Stelle gesetzt, wo die Stromautobahn ganz in der Nähe des Kernkraftwerks Brokdorf die Elbe überquert. 

„Bis 2030 wird ein erheblicher Zuwachs von Offshore- und Onshore-Windenergie in der Region Wilhelmshaven erwartet."

Netzbetreiber Tennet

Von Wilhelmshaven nach Hamm: „Bis 2030 wird ein erheblicher Zuwachs von Offshore- und Onshore-Windenergie in der Region Wilhelmshaven erwartet. Für diese Strommengen reicht das bestehende Leitungsnetz nicht aus“, berichtet Netzbetreiber Tennet, der für den größten Teil Niedersachsen zuständig ist. Tennet plant deswegen den Bau eines neuen Umspannwerks „Wilhelmshaven 2“, das mithilfe eines Konverters die Windenergie aus der Nordsee ins Stromnetz an Land einspeisen soll. Von dort aus soll die Energie per Höchstspannungsgleichstrom-Technologie (HGÜ) nach Hamm-Uentrop transportiert werden. Die westfälische Großstadt liegt im Regelgebiet von Netzbetreiber Amprion, der auch für die Stromautobahn verantwortlich ist.

Amprion Konverter

So geht es nun weiter: „In den kommenden Wochen suchen wir nun das Gespräch mit Bürgern ebenso wie mit Behörden und Verwaltungen entlang der Trassenkorridore. Wir informieren sie über das Vorhaben und arbeiten nach ihren Anregungen und Hinweisen unsere Planung weiter aus“, sagt Korridor-B-Planer Feldmann. Im Frühjahr 2022 will das Unternehmen dann konkrete Geodaten nennen und der Bundesnetzagentur einen 1000 Meter breiten Korridor vorschlagen. Ob die Erdkabeltrasse in diesem Verlauf aber tatsächlich verlegt wird, entscheidet sich erst anschließend in einem gesonderten Genehmigungsverfahren mit Bürgerbeteiligung. Das Planfeststellungsverfahren wird voraussichtlich im Jahr 2026 abgeschlossen sein. Nach drei- bis vierjähriger Bauzeit soll die Stromautobahn dann 2030 in Betrieb gehen.

Dieser Artikel erschien in Ausgabe #187.
Christian Wilhelm Link
AutorChristian Wilhelm Link

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