29. März 2023 · 
Wirtschaft

SPD gegen Grüne: Berliner Autobahn-Pläne entzweien niedersächsische Koalitionäre

Die Marathon-Sitzung der Ampel-Koalitionäre in Berlin wird an einem Punkt für Niedersachsen ganz konkret: Es wurden mehrere Autobahnvorhaben definiert, 144 bundesweit, die nun vorrangig verwirklicht werden sollen. Darunter sind zwar auch mehrere in Niedersachsen, aber nicht die beiden, über die seit vielen Jahren durchaus kontrovers diskutiert wird – die Küstenautobahn A20 zwischen Westerstede (Kreis Ammerland) und Drochtersen (Kreis Stade), sowie die A39 zwischen Lüneburg und Wolfsburg. Beide Projekte sollen nicht – wie 144 andere – mit dem „überragenden öffentlichen Interesse“ versehen werden. Damit entfällt eine beschleunigte Verwirklichung dieser Vorhaben. Diese Pläne bleiben also zunächst in der Warteschleife. Die A20 ist auf niedersächsischem Gebiet 114 Kilometer lang, die A39 misst 105 Kilometer.

Die Autobahn 39 zwischen Lüneburg und Wolfsburg. | Foto: NLStBV

Die Reaktionen aus der Landesregierung diesbezüglich waren am Mittwoch geteilt. Schon kurz nach dem Ende der Berliner Koalitionsausschuss-Sitzung twitterte Niedersachsens Umweltminister Christian Meyer (Grüne) voller Stolz: „Ergebnis Koalitionsausschuss: Klimaschädliche Autobahnen wie A20, A33 und A39 werden NICHT beschleunigt.“ Mit der A33 ist der Lückenschluss im Raum Osnabrück gemeint, dort soll eine neun Kilometer lange Trasse zwischen Osnabrück-Widukindland und Wallenhorst entstehen.

Ganz anders als Meyer kommentierte Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) die Ampel-Festlegungen zu den Autobahnen: Auf die Frage, ob er sich ein „überragendes öffentliches Interesse“ auch für die A20 und die A39 gewünscht hätte, antwortete Weil: „Ja. Es ist kein Geheimnis, dass der SPD-Teil der Koalition eine deutlich positivere Einstellung zu diesen Plänen hat als unser Koalitionspartner. Aber wir können das nicht entscheiden. Es ist Sache des Bundes, hier die Prioritäten zu setzen – und das haben wir so zu akzeptieren.“ Trotzdem, fügte Weil hinzu, sei er hinsichtlich der A39 zuversichtlich, schon bald Fortschritte verkünden zu können. Worin genau diese bestehen sollen, führte der Ministerpräsident nicht aus.

„Die Beschlüsse des Koalitionsausschusses sind aus niedersächsischer Sicht eindeutig ein Fortschritt“, sagt Ministerpräsident Stephan Weil. | Foto: Wallbaum

Der CDU-Verkehrspolitiker Jörn Schepelmann erklärte: „Die geplante Küstenautobahn A20, aber auch Projekte wie die A33 oder A39 sind von großer Bedeutung für unsere Wirtschaft und müssen schnell realisiert werden. Wir erwarten von der gesamten Landesregierung ein klares Bekenntnis zu diesen Infrastrukturprojekten. Der Ministerpräsident und der Verkehrsminister müssen sich bei diesen für Niedersachsen wichtigen Projekten durchsetzen. Sie dürfen nicht auf dem Gabentisch für den Koalitionsfrieden geopfert werden.“

Quelle: Autobahn GmbH

Die A20 als Küstenautobahn führt vom Ammerland bis nach Stade, sie wird dann auf schleswig-holsteinischer Seite fortgesetzt. Schleswig-Holsteins Verkehrsminister Claus Ruhe Madsen nannte die Festlegung der Ampel-Koalitionäre „einen Schlag ins Gesicht“ und erinnerte Bundesverkehrsminister Volker Wissing an seine wiederholten Zusagen zu diesem Projekt, die jetzt nicht eingehalten würden. Weil drückte sich viel verhaltener aus und meinte, für die A20 und die A39 ändere sich gegenüber dem alten Planungsstand nichts, beide seien im Bundesverkehrswegeplan mit einem vordringlichen Bedarf versehen.

„Das ist ein Schlag ins Gesicht für die wirtschaftliche Entwicklung der gesamten Westküste.“

Claus Ruhe Madsen, Verkehrsminister von Schleswig-Holstein
Claus Ruhe Madsen, Minister für Wirtschaft, Verkehr, Arbeit, Technologie und Tourismus in Schleswig-Holstein | Foto: Landesregierung Schleswig-Holstein

Die Kennzeichnung als „überragendes öffentliches Interesse“ hätte allerdings bedeutet, dass in der Planung und später vor Gericht die Abwägung zwischen Belangen des Naturschutzes und dem Verkehrsprojekt vermutlich zugunsten des letzteren ausgegangen wäre. Das heißt im Endeffekt eine wesentlich schnellere Planung und auch Umsetzung. Zu den 144 Einzelvorhaben, die mit diesem „überragenden öffentlichen Interesse“ geadelt werden, sollen laut Ampel-Einigung in Niedersachsen die Autobahnausfahrt A2-Hannover-Herrenhausen, die Abzweigungen A2 Hannover-West, das A2-Kreuz Hannover-Buchholz, das A7-Dreieck Salzgitter und das A30-Kreuz Osnabrück-Süd gehören. Diese Vorhaben, die nun tatsächlich beschleunigt verwirklicht werden sollen, sind zwischen den Koalitionspartnern in Hannover offenbar nicht umstritten.



Was nun die A20 und die A39 angeht, dürften Weil und sein Verkehrsminister Olaf Lies es schwer haben, auf Bundesebene für eine Aufnahme der beiden in den Katalog der beschleunigten Vorhaben zu kämpfen – da sich die Grünen als Koalitionspartner deutlich vernehmbar sperren. Das geschah jüngst auch erst vor zwei Wochen beim Landesparteitag der Grünen in Celle. Unter der vorherigen SPD/CDU-geführten Landesregierung waren sich beide Koalitionspartner in dieser Frage noch einig – sie konnten damals in Berlin mit einer Stimme sprechen.

Die Andeutung von Weil, mit Blick auf die A39 Fortschritte erreichen zu wollen, lässt auf seine Absicht deuten, für dieses Projekt in Berlin noch einmal zu werben. Derzeit ist schwer vorstellbar, wie er dafür die Unterstützung von Niedersachsens Grünen gewinnen will. Verkehrsminister Lies sagte am Abend, die A20 sei eine enorm wichtige Transitachse für den Waren- und Güterverkehr aus dem Baltikum bis in die Beneluxstaaten – und wichtig als Anbindung der deutschen Seehäfen. Die A39 werde „zu einer ganz wesentlichen Entlastung für einen hoch belasteten Verkehrsraum führen“ und sei „eine wichtige Nord-Süd-Verbindung“. Er werde diese Vorhaben „weiter konstruktiv begleiten“.

Die Autobahn 39 soll zwischen Lüneburg und Wolfsburg in sieben Abschnitten ausgebaut werden. | Quelle: NLStBV
Dieser Artikel erschien am 30.3.2023 in Ausgabe #059.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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