Sollten CDU und CSU künftig getrennte Wege gehen?
Sind CDU und CSU noch wirkungsgleich? Der scharfe Streit in der Flüchtlingspolitik könnte nicht nur zum Bruch der Koalition, sondern auch zum Bruch zwischen den beiden Schwesterparteien führen. Sollten CDU und CSU in Zukunft getrennte Wege gehen? Lesen Sie dazu ein Pro & Contra von Martin Brüning und Klaus Wallbaum.
PRO: Manchmal ist die Scheidung der bessere Weg, rät auch der Beziehungscoach. Eine mögliche Trennung von CDU und CSU muss einem keinen Sorgen bereiten. Es könnten sich dadurch sogar neue Chancen ergeben, meint Martin Brüning.
Kein Wunder, dass der Streit zwischen CDU und CSU ausgerechnet während der Sommerferien so richtig lodert. Denn auch bei menschlichen Paar-Beziehungen ist die Urlaubszeit nicht ungefährlich und hat großes Streitpotenzial. Sie führt allerdings nicht automatisch zu Trennungen. Inzwischen werden Ehen in Deutschland im Durchschnitt erst nach 15 Jahren geschieden, jede sechste Scheidung erfolgt sogar erst nach 25 Ehejahren. Die Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU hat wie die meisten Ehen manche Krise durchlebt, hält inzwischen allerdings auch seit fast 70 Jahren. Die Eiserne Hochzeit haben die beiden Fraktionen schon hinter sich, im kommenden Jahr käme die sogenannte Gnadenhochzeit. Lässt man sich nach so langer Zeit noch scheiden?
Bei der Ehe zwischen CDU und CSU geht es natürlich nicht allein um eine Beziehung, sondern auch um die Auswirkungen auf die Politik und das Parteiensystem dieses Landes. Es lassen sich zahlreiche Gefahren und Argumente ausmachen, die dafür sprechen, die Fraktionsgemeinschaft unbedingt aufrecht zu erhalten. All diese Argumente lassen sich allerdings bei genauerer Betrachtung auch entkräften. Um folgende vermeintliche Gefahren geht es:
Es droht eine Zersplitterung des Parteiensystems: Erinnert sich noch jemand an die Deutsche Partei oder den Gesamtdeutschen Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten? Zwei Parteien, die in den 50er Jahren noch eine Rolle in der Bundespolitik spielten und heute höchstens noch in Geschichtsbüchern auftauchen. In den 80er-Jahren kamen die Grünen hinzu, in den 90er-Jahren die Linke und in den vergangenen Jahren die AfD. Das Parteiensystem ist kein statischer Block, sondern es war immer in Bewegung. Veränderungen im Parteiensystem sind immer dabei immer ein Beleg dafür, dass sich in Gesellschaft und Politik etwas verändert. Bedenklich wäre höchstens, wenn sich niemals etwas ändern würde. Und auch wenn die CSU als selbstständige Kraft bundesweit antreten würde: von italienischen Verhältnissen wäre Deutschland immer noch meilenweit entfernt.
Die CDU hätte die Möglichkeit, den Konservatismus, der ja ohnehin nur noch Partei-Folklore ist und von wenigen Einzelvertretern repräsentiert wird, abzuschütteln. Die CSU wiederum könnte genau diese Wählerschaft auffangen.
Koalitionsverhandlungen würden nach einer Trennung noch schwieriger: Geht das überhaupt? Wer das Hängen und Würgen nach der Bundestagswahl im September verfolgt hat, dürfte sich nur schwer vorstellen können, dass es noch schlechter laufen könnte. Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass Parteien genau darauf achten, in einer Koalition nicht zu kurz zu kommen und auch die nächste Wahl bereits im Blick haben. Das dürfte sich durch eine Trennung von CDU und CSU nicht ändern. Im Gegenteil: bei künftigen Verhandlungen könnte der ungewöhnliche Bayern-Fokus einer CSU, die dann ja bundesweit agieren könnte, eine geringere Rolle spielen.
Eine Trennung schwächt die Union: Das dürfte abzuwarten sein. Einer insa-Umfrage zufolge könnte die CSU bei einem Antreten in ganz Deutschland mit 18 Prozent zweitstärkste Kraft werden. Je nach Durchdringung in den einzelnen Ländern könnte eine Trennung für die Union sogar zu einer Erfolgsgeschichte werden. Die CDU hätte die Möglichkeit, den Konservatismus, der ja ohnehin nur noch Partei-Folklore ist und von wenigen Einzelvertretern repräsentiert wird, abzuschütteln. Die CSU wiederum könnte genau diese Wählerschaft auffangen. Eine große Partei der Mitte und eine Partei rechts der Mitte hätten für sich genommen mehr Bewegungsfreiheit und könnten einen größeren Teil der Wähler als bisher ansprechen.
Eine Trennung nutzt der AfD: Im Gegenteil. Mit einer bundesweit agierenden CSU entstünde zum ersten Mal eine bürgerliche Partei rechts der Mitte, bei der Konservatismus nicht nur eine Tarnvokabel für rechtes Gedankengut wäre, dass sich bei der AfD irgendwo zwischen Nationalismus, Sozialismus und Ausländerfeindlichkeit eingepegelt hat. Die CSU wäre eine echte Gefahr für die AfD, die als bürgerliche Alternative versagt hat. Die Rechtspopulisten würden auf die Basis des Wutbürger-Wählerpotenzials zurückfallen, um die sie sich dann mit der Linken kabbeln könnte.
Eine Trennung der Union wäre das Ende von Merkels Kanzlerschaft: Ja, und? Die Uhr dieser Kanzlerschaft läuft seit Monaten ab. Die FDP möchte nicht mehr mit Merkel regieren, die CSU nun auch nicht mehr wirklich und die SPD musste sich in diese Koalition regelrecht hineinprügeln lassen. Wer mit Partnern so umgeht wie Angela Merkel, hat seine Lektion nicht gelernt. Merkel treibt mit Seehofer ihre berüchtigten Spielchen und versucht seit Wochen, die CSU zur neuen FDP zu machen, ihr bevorzugter Buhmann von 2009 bis 2013. Wer aber am Ende als der Sieger dasteht, mit dem niemand mehr koalieren möchte, kann nicht alles richtig gemacht haben. Merkel fehlt es an Respekt für ihre Koalitionspartner. Gerade sie sollte nicht der Grund sein, die marode Beziehung der Schwesterparteien fortzuführen.
Wenn Merkel schon von einer „Schicksalsgemeinschaft“ spricht, sollten CDU und CSU hellhörig werden. Denn das ist dieses Bündnis nicht. Die Kanzlerin malt Gefahren an die Wand, die nicht existieren. Die CSU wiederum sollte sich überlegen, wie oft sie noch mit der Trennung drohen kann, bis diese Drohung niemand mehr ernst nimmt. Im Fall der beiden Parteien würde der Beziehungscoach vermutlich inzwischen raten: manchmal ist die Scheidung der bessere Weg.
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CONTRA: Die Stabilität des deutschen Parteiensystems hängt entscheidend davon ab, ob CDU und CSU als Parteien der bürgerlichen Mitte, die konservative wie liberale Kräfte binden, weiterhin zur Zusammenarbeit verpflichtet sind. Das sind sie aber nur, wenn sie nicht gegeneinander in Konkurrenz treten, meint Klaus Wallbaum.
Der Gedanke ist, zugegeben, bestechend: Wenn CDU und CSU getrennt marschieren, kann die eine Partei am linken Rand der Mitte Stimmen einsammeln, die andere am rechten Rand der Mitte. Im Ergebnis würden beide stärker, und sie könnten nach der Wahl eine Koalition bilden. Gut möglich, dass solche Gedankenspiele in manchen Köpfen von CSU-Strategen herumgeistern. Ebenso gut vorstellbar ist, wie diese Vision den Politikern von SPD, FDP und AfD einen Schrecken einjagt. Denn wenn eine von der Last der CSU befreite CDU sich weiter links profilieren kann, gräbt sie SPD und FDP mehr Stimmen ab, sie könnte sich dann von einer Mitte-rechts-Volkspartei zur linksliberalen Volkspartei verwandeln. Umgekehrt könnte eine von der CDU befreite CSU, die bundesweit antritt, diejenigen Wähler von der AfD herüberholen, denen die AfD zu systemfeindlich ist. Denn im Grunde will der Protestwähler ja protestieren, nicht aber revoltieren.
Aber dieses Experiment vom „getrennt marschieren und vereint schlagen“, das Franz Josef Strauß schon 1976 plante in seinem tiefen Misstrauen gegenüber der damals fest bei der SPD verorteten FDP, ist nur ein theoretisches Gedankenspiel, das den Praxistest wohl nicht überstehen würde. In der Realität würde erst einmal ein Bruch vollzogen werden müssen, der tiefe Schmerzen hinterlassen dürfte. In der CDU zum Beispiel gibt es viele, die den Volksparteicharakter der bayerischen CSU nicht nur verehren, sondern regelrecht lieben. Viele davon sind gar nicht mal rechts innerhalb der Union positioniert, sie haben vielmehr Hochachtung vor der großen integrativen Leistung der bayerischen CSU, die in Bayern eine riesige Bandbreite von Meinungen und Haltungen in sich vereinigt und – durchaus auch im Konflikt – intern austrägt. Wenn diese CSU nicht mehr „Schwester“ der CDU ist, sondern Gegner, spüren diese Menschen einen großen Verlust. Und wenn die CSU in Bayern Konkurrenz von der CDU bekäme, was bei einer Trennung früher oder später zwangsläufig wäre, würde die CSU ihren bayerischen Volksparteicharakter verlieren. Wer garantiert denn, dass nicht scharenweise die liberal denkenden CSU-Anhänger zur CDU wechseln, vielleicht sogar mehr als die, die dort bei der CSU bleiben wollen? Anders ausgedrückt: Es bestünde die große Gefahr, dass sich die CSU radikalisiert und die Abgrenzung zu extrem rechten Positionen früher oder später aufgibt – und sei es nur, um rechts mehr holen zu wollen, als sie links an die bayerische CDU abgeben.
Man kann ja die Position vertreten, dass ein Neuzuschnitt des deutschen Parteiensystems gar nicht so übel wäre, dass nicht in Stein gemeißelt bleiben müsste, was fast 70 Jahre im Westen Deutschlands und fast 30 Jahre in Gesamtdeutschland funktioniert hat. In Frankreich beweist Emmanuel Macron mit seiner neuen Bewegung gerade, wie mit neuen Organisationen frischer Wind in die Politik geblasen werden kann. Nur: Was die Auflösung der hergebrachten Strukturen in Frankreich wirklich bedeutet und ob nicht auch hier der Populismus über die Vernunft siegt, wird sich vermutlich erst in ein paar Jahren zeigen. Es gibt das warnende Beispiel Italien, wo die Erosion des traditionellen Parteiensystems jetzt dazu geführt hat, dass Populisten von links und rechts eine Koalition bilden und zwei kleinste gemeinsame Nenner gefunden haben: Erstens Abschottung des Landes nach außen und purer Nationalismus, zweitens Ausweitung der Staatsverschuldung, damit möglichst alle gestellten Ansprüche von Interessengruppen auch befriedigt werden können. Gott bewahre uns in Deutschland vor solchen Zuständen!
Es bestünde die große Gefahr, dass sich die CSU radikalisiert und die Abgrenzung zu extrem rechten Positionen früher oder später aufgibt – und sei es nur, um rechts mehr holen zu wollen, als sie links an die bayerische CDU abgeben.
Die einzige Lösung für die Krisen der beiden großen Volksparteien, Union und SPD, besteht in einer stärkeren Hinwendung zu den wirklichen Problemen der Menschen. Dass der Arbeiter und die alleinerziehende Mutter im Wohngebiet die Zuwanderung auch kritisch sehen, weil jeder Flüchtling ein Konkurrent auf dem Arbeitsmarkt sein kann oder auf dem Wohnungsmarkt, weil ein sehr hoher Ausländeranteil in bestimmten Gegenden auch Rückwirkungen auf Sprache, Verhalten und Umgangsformen der dort Lebenden haben, wurde von vielen Sozialdemokraten lange Zeit als „Geschwätz“ abgetan. Der SPD stünde es gut zu Gesichte, diese Sorgen ernst zu nehmen. Und die Kanzlerin hat lange so gewirkt, als ignoriere sie die Konzepte von Horst Seehofer zum Umgang mit Flüchtlingen an der Grenze nur deshalb, weil diese von Horst Seehofer kommen. Dabei haben sie beide, Union und SPD, in weltpolitisch unruhigen Zeiten wie diesen den Menschen vor allem eines zu vermitteln: Das Gefühl, dass die Leute bei dieser Bundesregierung gut und sicher aufgehoben sind. Wenn sich das wieder einstellt, kann das bewährte deutsche Parteiensystem aus seiner Krise wieder herauskommen – ohne das Abenteuer einer Aufspaltung.