12. März 2019 · 
Bildung

Soll der Schulunterricht künftig vor allem im Zeichen der Digitalisierung stehen?

Die Digitalisierung bestimmt unsere Arbeitswelt, ja unser ganzes Leben. Sollte sie deshalb auch gezielt im Schulunterricht eingesetzt werden? Soll es künftig die vorrangige Aufgabe der Schulen sein, die jungen Menschen auf ihre Rolle in der digitalisierten Welt vorzubereiten? Die Rundblick-Redaktion behandelt das Thema in einem Pro und Contra. [caption id="attachment_14874" align="alignnone" width="780"] Pro & Contra: Martin Brüning (li.) und Klaus Wallbaum[/caption]

PRO: Typisch deutsch. Es wird schon über die Nebenwirkungen diskutiert, obwohl Medikament und dessen Verabreichung noch weitgehend unklar sind. An der Digitalisierung in Schulen kommen wir nicht vorbei – und sie bietet viele Chancen, meint Martin Brüning.

Da sind sie schon. Während sich in deutschen Klassenzimmern bisher kaum etwas verändert hat und das Smartboard einigen immer noch als Gipfel der digitalen Revolution erscheint, das nicht wenige Lehrer wie eine herkömmliche Tafel benutzen, kommen die Mahner, die mit erhobenem Zeigefinger vor der Digitalisierung der Schulen warnen. Bedenken first, digital second, lautet deren Maxime. Das Smartphone gilt in ihren Kreisen zunächst einmal als Problem, und in den digitalisierten Klassenzimmern sitzen Schüler und zocken Computerspiele, anstatt sich mit Kants kategorischem Imperativ zu befassen. Die Diskussion kommt einem jetzt in Teilen schon typisch deutsch vor. Anstatt über die Möglichkeiten und Vorteile nachzudenken, wird bereits über Nebenwirkungen diskutiert, obwohl Medikament und dessen Verabreichung noch weitgehend unklar sind. Fest steht, dass die Digitalisierung kein Selbstzweck ist. Nicht alles wird besser, nur weil man es digitalisiert. Es ist weder sinnvoll, die Prinzipien der Didaktik über Bord zu werfen, noch den Lehrer durch Smartphone oder Tablet ersetzen zu wollen. Die Handschrift muss nicht nur als wichtiges Kulturgut, sondern auch als Bestandteil eines Lernprozesses erhalten bleiben. Und Lernen in Zeiten der Digitalisierung kann auch einen kritischen Umgang mit den Veränderungen beinhalten und muss keineswegs an eine naive Technikgläubigkeit gekoppelt sein.

Schüler brauchen neben sprachlichen und naturwissenschaftlichen Grundlagen nicht nur soziale, sondern künftig auch digitale Kompetenzen.


Man muss kein Silicon-Valley-Jünger sein, um die Notwendigkeit einer Digitalisierung der Schulen zu sehen. Man kann das Klassenzimmer nicht von der Wirklichkeit abtrennen, und man täte damit weder den Schülern noch den Schulen einen Gefallen. Digitale Medien wie Smartphone, Tablet oder Notebook gehören seit Jahren zur Lebenswirklichkeit der Schüler, und das wird in ihrem gesamten (Berufs-)Leben so bleiben. Wer in der Schule noch mit Kreide an die Tafel schreibt und die digitalen Endgeräte verteufelt, wird als Institution den Respekt verlieren. Zuhause Alexa fragen und in der Schule im abgeranzten Schulbuch blättern – das wird auf Dauer nicht funktionieren. In den Schulen sollte nicht einfach das Analoge durch das Digitale ersetzt werden. Stattdessen kommt es auf eine kluge Kombination an, für die aber eine grundsätzliche Offenheit für digitale Lernmittel erforderlich ist. Buch und Arbeitsblatt auf der einen und App und Video auf der anderen Seite können ideale Lernmittel der Zukunft sein. Gut möglich, dass der kategorische Imperativ (siehe oben) in einer neuen Philosophie-App viel mehr Schülern zugänglich werden könnte als bisher oder dass ich mit der richtigen Mathe-App in der Grundschule mich durch ein besseres Grundverständnis nicht durch all die Jahre des Matheunterrichts hätte quälen müssen. Der richtige Einsatz von digitalen Lernmitteln kann auch zu einer besseren Differenzierung im Unterricht führen. Diese wird von Politikern und Wissenschaft zwar immer gerne im Munde geführt. In der Realität, also der analogen Welt, wird allerdings nur den Lehrern, die immer noch alleine vor der Klasse stehen, gesagt: „Nun differenziere mal schön.“
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Schüler brauchen neben sprachlichen und naturwissenschaftlichen Grundlagen nicht nur soziale, sondern künftig auch digitale Kompetenzen. Wer aber diese Kompetenz, deren Vermittlung man nicht allein den Eltern überlassen kann, den Schülern mit auf den Weg geben will, kann sich nicht am analogen Zeitalter festklammern. Es braucht eine Offenheit für das Neue. Dafür braucht es allerdings auch die richtigen Grundlagen. Es ist nicht besonders verwunderlich, dass in Deutschland die Mahner und Zweifler besonders deutlich gehört werden. Ihre Kritik fällt auch deshalb immer wieder auf fruchtbaren Boden, weil sowohl die digitale Infrastruktur an Schulen als auch Konzepte zum Umgang mit digitalen Lernmitteln häufig noch Mangelware sind. Nach „Nun differenziere mal schön“ wird es für die Lehrer bald heißen „Nun digitalisiere mal schön“, ohne dass es dafür bereits breit angelegte Weiterbildungsformate und -programme geben würde. Diese sind aber entscheidend, weil die Lehrer wie so viele Arbeitnehmer in diesem Land, mit den digitalen Möglichkeiten werden umgehen müssen. Sowohl Kultusministerien als auch Schulbehörden hängen allerdings in erschreckender Weise hinterher, was auch damit zusammenhängt, dass ihnen die Kompetenzen fehlen und sie in einer 90er-Jahre-Arbeitsumgebung tätig sind, in der die Excel-Tabelle das Digitalste ist, was das Büro zu bieten hat. Wie dort eine Digitalisierung der Klassenzimmer organisiert oder zumindest Impulse für digitales Lernen gegeben werden sollen, bleibt fraglich. Und so schallt es weiter laut in der Echokammer der Mahner und Fortschrittsskeptiker, die eine Gesellschaft noch nie weitergebracht haben. „Der ziellose Mensch erleidet sein Schicksal, der zielbewusste gestaltet es“, hätte Kant gesagt. Mail an den Autor des Kommentars

CONTRA: Wenn man die Digitalisierung ernst nimmt, muss man für jeden Schüler ein passgenaues Konzept entwickeln, das auf seine Wissensdefizite und Lernschwächen individuell eingeht. Ein solcher Weg hätte mit Daten- und Persönlichkeitsschutz nicht mehr viel zu tun – und er verstärkt den Trend, Menschen als kleine Roboter anzusehen. Die Schule sollte einen Kontrapunkt setzen, der Unterricht sollte viel stärker auf die Herausbildung eines kritischen Geistes, auf Dialog, Konsensbereitschaft und Kompromissbereitschaft ausgerichtet sein, meint Klaus Wallbaum.

Je mehr die künstliche Intelligenz bei uns Einzug hält, desto größer ist die Gefahr ihrer Verherrlichung. Auf der einen Seite stehen die Menschen, die sich strikt verweigern wollen. Sie möchten sich nicht in ein technisches System pressen lassen, wollen nicht zu funktionierenden Rädchen im Getriebe degradiert werden. Doch ihre selbstverordnete Abstinenz macht sie zu Aussteigern – und überlässt das Feld mehr und mehr den anderen, die in der Digitalisierung eine zwangsläufige Entwicklung und in ihren Begleiterscheinungen unvermeidliche Bedingungen sehen. Das Risiko wächst, dass diejenigen das Tempo und die Inhalte bestimmen, die dem Einsatz der neuesten Computertechnologie unkritisch gegenüberstehen und auf Schranken keinen besonderen Wert legen. Was das für die Schule heißen kann, hat vor wenigen Wochen der Vorsitzende der niedersächsischen Direktorenvereinigung, Wolfgang Schimpf, eindrucksvoll beschrieben: Ein Algorithmus, der jeden einzelnen Schüler nach objektiven Kriterien analysiert und für ihn das richtige Lernprogramm entwickelt (und täglich erneuert), könne ja viel emotionsfreier und damit besser vorherbestimmen, welche Wissensinhalte der Schüler noch vertiefen muss. Schimpf sprach – überspitzt – vom „Zeitalter digitaler Entmündigung“. Das mag man nun als Diffamierung ansehen, als völlig unzutreffende und polemische Behauptung. Zunächst sei doch Digitalisierung nur als ein Hilfsmittel anzusehen – als Chance, dass der Schüler leichteren Zugang zu unterschiedlichen Informationsformen erhält, dass Prüfungen automatisiert und damit leichter absolviert werden können. Das ist richtig. Aber die düstere Vision von Schimpf droht dann zur realen Gefahr zu werden, wenn sich die neuen Möglichkeiten auf einmal als Lösung für die realen Schwierigkeiten des Unterrichtsalltags anbieten. Konkret: Was geschieht, wenn eine Schule trotz langwieriger Suche keinen Lateinlehrer findet, der Lateinunterricht im Gymnasium aber nötig ist, damit die Schüler das Abitur erreichen können. Wird dann womöglich ein hochmoderner Computer die Aufgabe des Lehrers übernehmen? Und wenn das der Beginn eines neuen Trends sein wird – werden dann die Computer Schritt für Schritt die Lehrer ersetzen, womöglich unterstützt durch menschliche Assistenten, die aus der Ferne die Arbeit des Computers überwachen und begleiten?

Das Zwischenschalten einer technischen Ebene stört die Interaktion in der kleinen Lerngruppe, schafft neue Distanzen und bewirkt damit eine Entfremdung zwischen Lehrern und Schülern.


Dies muss jetzt kein Weg sein, den man von vornherein ablehnen sollte. Aber Schimpf hat trotzdem Recht, wenn er die damit verbundenen Veränderungen im Unterrichtsalltag problematisiert. Das klassische Modell beschreibt den Lehrer, der in einer Klasse Wissen vermittelt – und als guter Pädagoge die Chance hat, mit seinem Beispiel die jungen Menschen für bestimmte Themen zu begeistern. Das kann eine Geschichtslehrerin ebenso sein wie ein Chemielehrer, der die Rätsel der Naturwissenschaften verständlich vermitteln kann. Das Zwischenschalten einer technischen Ebene – auch bei weiterhin tätigen menschlichen Lehrern – stört die Interaktion in der kleinen Lerngruppe, schafft neue Distanzen und bewirkt damit eine Entfremdung zwischen Lehrern und Schülern. Daneben besteht die Gefahr der Vereinzelung, wie sie heute schon beim Computer-Unterricht zu beobachten ist: Da sitzt der Schüler vor dem Bildschirm und schaut sich sein individuelles Lernprogramm an. Seinen Sitznachbarn nimmt er immer weniger wahr. Sicher ist im Unterricht auch künftig die Wissensvermittlung zentral – oder besser gesagt: das Erlernen der Fähigkeit, sich effektiv neues Wissen erschließen zu können. Daneben darf aber das andere nicht zu kurz kommen: Schüler müssen das Gespräch lernen, den Dialog, den Meinungsaustausch und den Kompromiss. Weil die Digitalisierung tendenziell den Trend zur Individualisierung noch verstärkt, ist die Vermittlung sozialer Techniken künftig noch wichtiger als heute schon. Mail an den Autor des Kommentars
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #048.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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