Noch vor drei Monaten hatte die Niedersachsen-SPD zwei große, unübersichtliche Baustellen. Da war der schwächelnde Oberbürgermeister Stefan Schostok in Hannover, der in die „Rathausaffäre“ um unzulässige Gehaltszulagen für seinen Büroleiter verstrickt war. Wie sollte die SPD da wieder herauskommen? Ein Weg war lange nicht erkennbar.

In Weser-Ems sorgte in den vergangenen Wochen der Landtagsabgeordnete Jochen Beekhuis aus Aurich für Wirbel. Über einen kriminellen Akt war bekannt geworden, wie sich der Politiker intern mit Genossen über andere Parteifreunde unterhalten hatte – in Chats über Facebook. Ein Geflecht aus Vorwürfen, Beleidigungen und Intrigen wurde sichtbar, viele Sozialdemokraten distanzierten sich in der Folge von Beekhuis – aber der Abgeordnete selbst blieb gelassen auf seinem Platz sitzen, überhörte Forderungen, er solle sich zurückziehen, eine Aus-Zeit nehmen und so den Schaden für die Partei begrenzen. Eine Entschuldigung oder öffentliche Erklärung kam von ihm nicht. Auch hier sah man lange nicht, wie die SPD diese Krise würde meistern können.

Stephan Weil auf dem Bezirksparteitag der SPD – Foto: kw

Seit diesem Wochenende nun gibt es nun Bewegung in diesen Fragen:

Abschied von Schostok: Der bisherige Oberbürgermeister von Hannover ist inzwischen zurückgetreten, für die Neuwahlen im Oktober tritt der langjährige Stadtkämmerer Marc Hansmann an, er wirbt mit neuen Visionen für die Stadt.

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Das zweite wichtige Amt, das Schostok hatte, war das des SPD-Bezirksvorsitzenden in Hannover. Der Bezirk Hannover erstreckt sich von Göttingen bis Lüneburg, zählt mit 26.000 Mitgliedern knapp die Hälfte aller niedersächsischen Sozialdemokraten und ist ein wesentlicher Machtfaktor in der Partei. Der Landesverband, dem Ministerpräsident Stephan Weil als Landesvorsitzender vorsteht, ist lediglich eine Dachorganisation für die vier niedersächsischen SPD-Bezirke. Beim hannoverschen SPD-Bezirksparteitag in Lüneburg wurde der SPD-Bundestagsabgeordnete Matthias Miersch (50), Vertreter der Parteilinken, am Sonnabend zum neuen Vorsitzenden gewählt. 211 Delegierte waren für ihn, acht dagegen – das ist eine Zustimmung von 95,5 Prozent. Miersch ist in der Bundespolitik gut vernetzt, wird für höhere Positionen der Partei gehandelt und soll die Arbeit des Bezirks inhaltlich beleben.

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Im Vorfeld hatte der Vize-Vorsitzender Ulrich Watermann, der ebenfalls Interesse am Bezirksvorsitz signalisierte, seine Ambitionen aufgegeben. Er bleibt einer der Stellvertreter. Warme Worte gab es für Schostok. Ministerpräsident Stephan Weil sagte in seinem Grußwort auf dem Parteitag, der SPD-Bezirk sei für Schostok „ein Teil seines Lebens“ gewesen, schon von Juso-Tagen an. „Politik ist manchmal extrem hart, Stefan ist aus seinen Ämtern ausgeschieden. Er wird Teil unserer Gemeinschaft sein, auch wenn er heute nicht hier ist“, betonte Weil.


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Abgrenzung von Beekhuis: Im SPD-Bezirk Weser-Ems hat ebenfalls am Wochenende der Vorstand, an der Spitze mit Landtagsfraktionschefin Johanne Modder als Vorsitzender, einen sehr drastischen Beschluss gefasst. Zuvor hatte eine SPD-interne Untersuchungskommission befunden, alle Vorwürfe gegen Beekhuis seien zutreffend, er selbst habe eine „verachtende Haltung gegenüber Mitgliedern“ gezeigt.

Der Bezirksvorstand richtet nun die volle Breitseite auf Beekhuis: Er wird aufgefordert, seine Ämter und Mandate zurückzugeben, ihm werden vorläufig die SPD-Mitgliedsrechte für drei Monate gesperrt, ein Parteiordnungsverfahren wird eingeleitet. Die SPD-Landtagsfraktion muss nun noch entscheiden, ob sie Beekhuis aus seinen Landtagsausschüssen zurückzieht – formell ausschließen kann sie ihn bisher noch nicht. Das Vorgehen des Bezirksvorstandes Weser-Ems ist symbolbehaftet: Die SPD demonstriert in dieser Angelegenheit Härte und Konsequenz.

Auftakt zur Parteireform: In mehreren Reden beim Parteitag des SPD-Bezirks Hannover in Lüneburg wurde der momentane Zustand der SPD beklagt. Weil meinte, es gebe eine wachsende Distanz zwischen politischen Akteuren und der Gesellschaft. Die Menschen wollten „das fachpolitische Gequatsche, das Politiker auch über die Medien führen, nicht mehr hören“. Die SPD solle nicht ihre eigenen Debatten führen, sondern auf die Gesellschaft zugehen. Sie solle eine Volkspartei bleiben, also viele Schichten ansprechen – aber sie müsse mehr Profil bekommen. Eine „Partei der Arbeit“, also für die Sorgen und Nöte der Arbeitnehmer, müsse die SPD bleiben – Themen wie Mindestlohn und Grundrente gehörten dazu.

https://soundcloud.com/user-385595761/weil-umbau-der-autoindustrie-darf-kein-randthema-des-bundes-sein

Der neue Bezirksvorsitzende Miersch sagte in seiner Rede, er wolle mehr Wert legen auf Umwelt- und Klimaschutz – „mit der Natur können wir nicht verhandeln“. Die Partei müsse vorausdenken, ein starres Festhalten an der „schwarzen Null“ finde er nicht gut, die SPD müsse sich programmatisch stärker aufstellen. In einer Arbeitsgruppe solle der SPD-Bezirk die Krise der politischen Kommunikation beleuchten – und ergründen, warum über soziale Medien ein Dialog und Meinungsaustausch kaum noch richtig stattfinden könne.

Absage an Nachlässigkeit: Der wiedergewählte Schatzmeister des SPD-Bezirks Hannover, Stephan Klecha, beschrieb die Schwierigkeiten der SPD. 26.000 Mitglieder zähle der Verband, früher seien es einmal 40.000 gewesen – und die Ausstattung mit Mitarbeitern und Geschäftsstellen müsse sich den Veränderungen auch organisatorisch anpassen. Jedes schlechte Wahlergebnis der SPD in Deutschland wirke sich auch auf den SPD-Bezirk Hannover aus, weil über einen SPD-internen Finanzausgleich das Geld verteilt werde.

Allein das magere Abschneiden bei der Europawahl koste den SPD-Bezirk 70.000 Euro im Jahr. Der SPD-Landesverband werde allein nicht ausreichend Geld haben, einen ordentlichen Landtagswahlkampf 2022 zu organisieren. Über die Anhebung des Mindestbeitrags (derzeit 5 Euro) auf 6 Euro müsse beraten werden, des ermäßigten Beitrags von 2,50 auf 3 Euro. Den ermäßigten Beitrag dürfe eigentlich nur zahlen, wer keine Einkünfte hat – tatsächlich aber zahlten ein Fünftel der Mitglieder nur 3 Euro, sagte Klecha. Darunter seien auch Studienräte und Rentner. „Wir sollten beitragsehrlicher werden“, forderte der Schatzmeister. (kw)