3. Aug. 2025 · 
Blick in die WirtschaftWirtschaft

Seltene Erden, steigende Unsicherheit: ZF warnt Tonne vor Stillstand in der Rohstoffpolitik

ZF kämpft mit globalen Engpässen, unsicheren China-Lizenzen und steigenden Kosten. Beim Werksbesuch in Wagenfeld bekommt Minister Tonne einen unverblümten Lagebericht.

Lieferengpässe bei Seltenen Erden setzen auch den zweitgrößten deutschen Automobilzulieferer ZF Friedrichshafen unter Druck. Betroffen ist nicht nur die Elektromobilität – auch die konventionelle Fahrzeugproduktion spürt die Folgen inzwischen deutlich. Als Wirtschaftsminister Grant Hendrik Tonne (SPD) auf seiner Sommerreise vor einigen Tagen das ZF-Werk im niedersächsischen Wagenfeld (Landkreis Diepholz) besuchte, ging es deswegen auch um die zentrale Frage, wie lange die Produktion überhaupt noch gesichert ist.

ZF-Standortchef Philip Schuster (links) zeigt Grant Hendrik Tonne das ZF-Werk in Wagenfeld. | Foto: Link

"Wir sind in ganz vielen Werken kurz vor dem Betriebsstillstand", sagte Philip Schuster, der den Multidivisionsstandort Lemförde leitet. Dazu zählen auch die Werke in Dielingen, Diepholz und Wagenfeld. Insgesamt arbeiten dort rund 2400 Menschen. Noch laufe die Produktion, aber die Lieferketten seien zunehmend gestört. "Die gesamte Welt beantragt gerade bei der Lizenzstelle in Peking", ergänzte Martin Pioch, Leiter Industriepolitik bei ZF. Er spielt damit auf Exportlizenzen an. China vergibt Exportlizenzen für bestimmte Metalle nur befristet auf sechs Monate – danach muss neu beantragt werden. Diese Praxis erschwert eine verlässliche Planung erheblich. Gleichzeitig kontrolliert die Volksrepublik große Teile des Weltmarkts für strategische Rohstoffe wie Seltene Erden und verschärft die Ausfuhrbedingungen gezielt.

Bei ZF in Wagenfeld sind 254 Mitarbeiter beschäftigt. | Foto: Link

Rohstoffe wie Neodym, Dysprosium oder Terbium sind unverzichtbar für die moderne Fahrzeugtechnik. Die Engpässe betreffen nicht nur E-Motoren, sondern auch klassische Komponenten. "Am Stoßdämpfer sitzt ein ganz kleiner Magnet – ohne den können wir keine Stoßdämpfer bauen", sagte Schuster. Er gehört zum erweiterten Management der ZF-Division Chassis Solutions. Diese Sparte umfasst weltweit 60 Standorte mit rund 33.000 Beschäftigten und erwirtschaftete zuletzt 10,1 Milliarden Euro Umsatz. Am Multidivisionsstandort Lemförde sowie in den Werken Diepholz, Dielingen und Wagenfeld produziert ZF unter anderem Bremsen, Lenkungen, Stoßdämpfer und Fahrwerksmodule.

Tatsächlich gilt die Versorgung mit Seltenen Erden als ein zentrales Risiko für die gesamte Industrie. China kontrolliert rund 90 Prozent der weltweiten Verarbeitungskapazitäten, für manche Metalle wie Terbium oder Dysprosium sogar nahezu die komplette Lieferkette. Die EU-Kommission hat das Thema inzwischen zur strategischen Priorität erklärt. Der Verband der Automobilindustrie (VDA) und auch der europäische Zuliefererverband CLEPA warnen vor einer neuen "Materialkrise", die an die Chipmangel-Situation der Corona-Jahre erinnern könnte. Auch die US-Zölle auf chinesische E-Auto-Komponenten verschärfen die Lage weiter. Tonne sprach von einem "strukturellen Risiko für unsere Industrie" und sagte Unterstützung zu – durch Handelsabkommen, Förderinstrumente und eine koordinierte Rohstoffstrategie.

ZF rechnet für das laufende und kommende Geschäftsjahr mit rückläufigem Absatz. Schuster erwartet für das zweite Halbjahr ein Minus von rund zehn Prozent gegenüber dem Vorjahr – trotz stabiler Marktanteile. Die Ursachen sieht das Unternehmen vor allem in der allgemeinen Marktlage und gestiegenen Kosten. In Wagenfeld entfallen laut Schuster rund 25 Prozent der Ausgaben auf das Personal. "Wir sind in Deutschland zu teuer", sagte Pioch. In Osteuropa und Asien seien nicht nur die Personalkosten geringer, sondern auch die Krankheitsquote.

Aufmerksam: Grant Hendrik Tonne (rechts) hört in Wagenfeld genau zu. | Foto: Link

Gleichzeitig sorgt der Abbau von rund 14.000 Stellen in Deutschland im Konzern für Unruhe – etwa 110 davon entfallen auf die Standorte in der Dümmer-Region. Kleinere Werke wie Wagenfeld mit seinen 250 Mitarbeitern gelten intern als besonders anfällig. Als Teil des regionalen Produktionsverbunds mit Diepholz ist das Werk jedoch besser eingebunden als andere. Beim Besuch in Wagenfeld fragte Minister Tonne, wie das Land angesichts der Unsicherheit in der Branche unterstützen kann. Schuster und Pioch forderten weniger Regulierung, mehr Flexibilität – und längere Übergangsfristen für Plug-in-Hybride. Das geplante Verbot für neue Verbrennerzulassungen ab 2035 sei nachvollziehbar, aber eine längere Übergangsphase für Plug-in-Hybride bei der Umsetzung des Verbrenner-Aus wäre aus Sicht der ZF-Manager ein wichtiges Signal an die Branche.

Dieser Artikel erschien am 4.8.2025 in Ausgabe #130.
Christian Wilhelm Link
AutorChristian Wilhelm Link

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