22. März 2022 · 
Wirtschaft

"Schon Irrsinn": Bauindustrie prangert Bürokratie bei Schwertransporten an

Schwerlasttransporte wie dieser müssen gut geplant werden – ansonsten drohen Leerfahrten. | Foto: GettyImages/Papichev Aleksandr

Fahrermangel, Lieferengpässe, Corona-Beschränkungen, Dieselpreisexplosion: Die Transport- und Logistikbranche stöhnt über immer neue Belastungen. Doch nicht nur internationale Krisen fordern die Branche heraus, es tun sich auch neue bürokratische Abgründe auf – trotz aller Bekenntnisse der Politik, genau das Gegenteil anzustreben. Eine im Herbst 2021 in Kraft getretene Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) führt bei der Logistik- und Baubranche zu völligem Unverständnis. Großraum- und Schwerlasttransporte benötigen seitdem eine völlig neue Genehmigung, wenn sie kleiner als ursprünglich geplant ausfallen. „Diesen Irrsinn muss man einfach anprangern“, sagt Rechtsanwältin Ina Witten vom Bauindustrieverband Niedersachsen-Bremen und fügt hinzu: „Die neue Vorschrift ist praxisfremd und für beide Seiten – Antragsteller und Genehmigungsbehörde – ausschließlich mit Nachteilen verbunden.“ Auf beiden Seiten gebe es zusätzlichen Personal- und Zeitaufwand. Ohne jede Not.

Neue Vorschrift bestraft leichtere Transporte

„Wenn ich das Wort ‚Bürokratieabbau‘ höre, dann kriege ich Zornesfalten auf der Stirn“, ärgert sich Spediteur Siegfried Serrahn aus Osnabrück. „Das ist schon Irrsinn, was da zum Teil abläuft.“ Sein Zorn gilt vor allem der neuen Verwaltungsvorschrift zur „Übermäßigen Straßennutzung“ nach Paragraph 29 StVO. Wer bislang einen Groß- oder Schwerlasttransport in Deutschland beantragte, durfte selbstverständlich die genehmigten Werte unterschreiten. „Bisher galt: Das Größere schließt das Kleinere mit ein“, sagt Serrahn.

Inzwischen gilt aber: Ist der Transport um mehr als 5 Prozent leichter oder um mehr als 15 Zentimeter kürzer, niedriger oder schmaler, muss zwingend eine neue Genehmigung her. „Jetzt wird man unter Umständen bestraft, wenn man kleinere Baumaschinen oder Windmühlenflügel transportiert als angemeldet. Das kann kein Mensch erklären, warum das so ist“, meint der Unternehmer.

Siegfried Serrahn (links) und Jörn Makko drängen auf einen Bürokratieabbau bei Großraum- und Schwertransporten. | Foto: Link

Die Mehrkosten sind für die Spediteure noch nicht einmal das Schlimmste. „Die ganze Gebührenpraxis ist ein großes Problem. Aber noch viel größer ist das der Genehmigungspraxis“, sagt Witten. Selbst die Rechtsanwältin verzweifle manchmal an den Behörden, die teilweise schon vor Corona nicht erreichbar waren. Laut Serrahn kann die Bearbeitung einer Ausnahmegenehmigung sogar bis zu sechs Wochen dauern. Für die eigentlichen Erfordernisse auf der Baustelle sei das schon viel zu lang. Und da Transporte von Baumaschinen selten ohne einen gleichzeitigen Rücktransport von anderen Geräten beantragt werden, rechnen Serrahn und auch der Bauindustrieverband nun mit vielen unnötigen Leerfahrten. Wer eine Baumaschine transportiert, die kleiner ist als genehmigt, begeht zwar „nur“ eine Ordnungswidrigkeit. „Das kann aber den Ausschluss von öffentlichen Vergaben nach sich ziehen. Das ist für Unternehmen unter Umständen existenziell“, weiß der Spediteur. Transportbranche und Baudindustrie fordern deswegen eine Rückkehr zur bisherigen Regelung.

So unsinnig sind die Regeln in der Praxis

Wie kompliziert die derzeitige Genehmigungspraxis in Deutschland ist, macht Jörn Makko, Hauptgeschäftsführer des Bauindustrieverbands, an einem Beispiel aus der täglichen Praxis deutlich: „Wir beantragen einen Transport eines 36-Tonnen-Baggers mit 3,40 Meter Breite von Niedersachsen nach Bayern.“ Inklusive Fahrzeug (35 Tonnen leer) ergebe sich dabei ein Gesamtgewicht von 71 Tonnen. Damit der Transporter nicht leer zurückfährt, soll auf dem Rückweg eine 13-Tonnen-Raupe mit einer Breite von 3,00 Metern mitgeführt werden. Das Gesamtgewicht beträgt dann nur noch 48 Tonnen.

„Fahren wir jetzt auf der gleichen Genehmigung zurück, müssen wir alle Auflagen aus der Genehmigung einhalten, obwohl die Auflagen nicht mehr nötig sind“, berichtet Makko und schildert ein typisches Problem: „Lassen wir diesen Transport auf einer Brücke, die erst ab 60 Tonnen von der Polizei eskortiert werden muss, begleiten, ist das ein unnötiger Einsatz für die Polizei und unnötige Kosten für uns. Befahren wir diese Brücke ohne Polizei und kommen in eine Kontrolle, erhalten wir und unser Fahrer eine Anzeige, weil wir gegen Auflagen aus der Genehmigung verstoßen.“ Theoretisch könnte dieses Problem dadurch gelöst werden, dass im Auflagenkatalog festgelegt wird, wann welche Auflage zu beachten ist. Im aktuellen Genehmigungsverfahren sei diese Möglichkeit aber nicht vorgesehen, stellt Makko fest.

13-Punkte-Programm gegen Bürokratie bei Schwerlastverkehr

Der Bauindustrieverband hat insgesamt 13 Punkte ausgemacht, bei denen dringender Handlungsbedarf besteht. Das sind weitere Bürokratie-Baustellen:

Unüberschaubare Antragsverfahren: Bei Schwertransporten müssen alle betroffenen Landkreise angehört werden. „Genehmigungsverfahren sind damit nicht nur langwierig und kompliziert, sondern auch in keiner Weise planbar“, kritisiert die Bauindustrie. Und obwohl die Gebühren gestiegen seien, habe sich die Bearbeitungsdauer und -qualität in den Behörden nicht verbessert. Die Wirtschaft fordert deswegen unter anderem mehr Personal in den Antragsbehörden, die Einführung einer maximalen Bearbeitungszeit von höchstens fünf Werktagen sowie bundesweit einheitliche Regeln.

Polizei braucht zu viel Vorlauf: Einige Groß- und Schwerlasttransporte benötigen Polizeibegleitung, die mindestens 48 Werktagsstunden vor Abfahrt beantragt werden muss. Wenn die Polizei die zugesagte Begleitung zurückzieht, ist das das Problem des Transporteurs. Er muss den Antrag neu stellen und den Transport unter Umständen verschieben. Hier fordert die Bauindustrie in begründeten Einzelfällen, dass die Frist für die Voranmeldung entfällt oder zumindest verkürzt werden kann. Zudem bemängelt die Branche, dass die Beteiligung mehreren Polizeistellen zu kompliziert ist. Bei jeder Übernahme durch eine andere Dienststelle müssten die Parameter neu kontrolliert werden, was hinsichtlich der Lenk- und Ruhezeiten zu unnötigen Verzögerungen führe. Mehrfache Abnahmekontrollen müssten deswegen unterbunden werden.

Verwaltungshelfer sind zu teuer: Seit 2017 dürfen Großraum- und Schwertransporte auch von sogenannten Verwaltungshelfern oder BF4-Fahrzeugen von externen Dienstleistern begleitet werden. „Dies hat das Genehmigungsverfahren erheblich verlängert“, kritisiert der Bauindustrieverband. Eine Polizeistreife müsse teilweise durch mehr als vier BF4-Fahrzeuge ersetzt werden. Zudem gebe es keine bundesweit einheitlichen Regeln. Der Einsatz der Verwaltungshelfer müsse deswegen dringend „auf ein angemessenes Maß“ reduziert werden.

Beifahrer digital machen: „Während der Corona-Pandemie war es gestattet, Transportfahrten ohne Beifahrer durchzuführen“, berichtet Verbandschef Makko. Inzwischen ist ab drei Brückenauflagen aber wieder ein Copilot vorgeschrieben. Diese Regelung wird angesichts des zunehmenden Fahrermangels und dem steigenden Anteil von ausländischen Lastwagenfahrern immer problematischer. Die Bauindustrie schlägt deswegen die Einführung des „digitalen Beifahrers“ vor. Das System funktioniert ähnlich wie ein Navi: Das elektronische Gerät zeigt aber nicht nur die Route, sondern auch alle für Transport maßgeblichen Auflagen, Beschränkungen und Fahrtanweisungen an. „Dieses System darf aktuell nur in Bayern ausprobiert werden, obwohl es schon in 15 Sprachen zertifiziert ist“, berichtet Serrahn und schüttelt mit dem Kopf.

Weitere Änderungsvorschläge betreffen die Auflagen für Nachtfahrten, die Verbesserung unverzichtbarer Infrastruktur oder die verhältnismäßige Gestaltung von Gebühren. „Vor uns liegt jetzt ein langer schwieriger Weg. Wir können auch nicht allein in Niedersachsen etwas verändern, aber gemeinsam“, sagt Makko. Auch die anderen Bauindustrieverbände wollen mit den Unternehmen für den 13-Punkte-Plan werben. Siegfried Serrahn ist vorsichtig optimistisch, dass sich die Verordnungslage verbessern lässt und setzt dabei vor allem auf den neuen Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP). Das komplette Positionspapier zum Großraum- und Schwerlastverkehr finden Sie hier zum kostenlosen Download.

Dieser Artikel erschien am 23.3.2022 in Ausgabe #055.
Christian Wilhelm Link
AutorChristian Wilhelm Link

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