Während im Oberlandesgericht Celle am gestrigen Donnerstag gerade ein Urteil verkündet wird, das die Republik bewegt, sucht im Untersuchungsausschuss des Landtags der hannoversche Polizeipräsident Volker Kluwe nach Erklärungen für Fehler und Mängel in seiner Behörde. Kluwe soll als Zeuge auch zum Fall Safia S. etwas sagen, zu jenem Mädchen, das just an diesem Tag in Celle zu sechs Jahren Haft verurteilt wird. Safia S., soviel ist jedenfalls für die Richter des OLG klar, wollte Ende Februar vergangenen Jahres einen Polizisten im Hauptbahnhof Hannover töten. Sie rammte ihm ein Messer in den Hals, der Mann überlebte glücklicherweise. War das die spontane Tat eines irregeleiteten 15-jährigen Teanagers, oder hat sie einen Mordauftrag einer Terrorgruppe, des „Islamischen Staates“, ausführen wollen? Das Gericht hat Chats auf dem Mobiltelefon ausgewertet, umfangreiche Akten gewälzt und sieht nun klare Belege für die Verbindung zum IS. Auch der ebenfalls angeklagte Mohammed Hassan K., der mit Safia S. im engen Kontakt stand, muss hinter Gitter – für zwei Jahre und sechs Monate, weil er die geplante Straftat nicht anzeigte. Damit fällt in Celle ein hartes Urteil. Die Richter, die den Prozess unter Ausschluss der Öffentlichkeit führten, müssen die Gefährlichkeit der beiden Jugendlichen sehr hoch einschätzen.

Blick aus der Rundblick-Redaktion auf das Innenministerium - Maulkörbe sind nicht im Sichtbereich  -  Foto: MB.

Blick aus der Rundblick-Redaktion auf das Innenministerium – Maulkörbe sind nicht im Sichtbereich – Foto: MB.

Das hat nun auch politische Bedeutung für Niedersachsen. Seit dem vergangenen Sommer geht der Untersuchungsausschuss des Landtags der Frage nach, wie konsequent Polizei, LKA und Verfassungsschutz in Niedersachsen gegen potenziell gefährliche Islamisten vorgegangen sind. Hauptsächlich wurde im Ausschuss über Safia S. gesprochen, und die Abgeordneten von CDU und FDP trieb es fast zur Weißglut, dass sie kaum Unterlagen bekamen und viele Zeugen die Aussage verweigern mussten. Das Innenministerium in Hannover hängte ihnen einen Maulkorb um, allerdings nicht vorwiegend aus eigenem Antrieb, sondern vor allem auf Anraten der Bundesbehörden und des Generalbundesanwalts. Öffentliche Erörterungen sollten die Strategie der Polizei nicht aufdecken oder die Justiz irritieren. Der Prozess gegen Safia S. in Celle, so hieß es, habe Vorrang. Erst müsse das Urteil dort fallen – dann könne man weiter sehen. Und dass es nun ein so drastisches Urteil gibt, deutet auf sehr belastende Unterlagen hin. Tatsächlich war Safia S. wohl diejenige, die den ersten gezielten Mordanschlag des IS in Deutschland verübt hatte.

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Umso größer ist jetzt der Erklärungsdruck, der auf Polizei und Verfassungsschutz in Niedersachsen lastet. Denn im Vorfeld hatte es Pannen gegeben. Safia S., die schon als Grundschülerin gemeinsam mit dem Salafistenprediger Pierre Vogel aufgetreten war, flog Ende Januar 2016 in die Türkei. Die Mutter meldete sich bei der Polizei und gab an, ihre Tochter wolle sich dem IS anschließen. Wenige Tage später kehrte Safia zurück, zwei Polizisten nahmen sie am Flughafen in Empfang und beschlagnahmten ihre Mobiltelefone. Doch die Daten wurden nur oberflächlich ausgewertet, die arabische Kommunikation, die auch eine Anschlagsankündigung enthält, blieb zunächst unentdeckt. Wenige Wochen später dann, Ende Februar, geschah der Anschlag im Hauptbahnhof. Der Polizei Hannover wird vorgeworfen, das Mädchen nicht konsequent im Blick gehabt, ihre Radikalisierung unterschätzt zu haben. Safia S. und andere Jugendliche verkehrten früher auch regelmäßig in der salafistischen Moschee in der hannoverschen Kornstraße. Sie sollen auch bei Koran-Verteilaktionen in der Innenstadt teilgenommen haben. Doch es gibt Hinweise, dass die Polizei die Namen der Teilnehmer hatte, der Verfassungsschutz die Bilder – zwischen beiden aber, so die Mutmaßung der Landtagsopposition, gab es keinen richtigen Austausch. So habe der Verfassungsschutz versäumt, die nötige Vorfeldaufklärung über die Salafistenszene in Hannover zu leisten, klagt der CDU-Innenpolitiker Jens Nacke gegenüber dem Rundblick.

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Vom FDP-Landesvorsitzenden Stefan Birkner wurde Hannovers Polizeipräsident Kluwe im Ausschuss gestern gefragt, welche Folgen der Fall Safia S. bei der Polizei ausgelöst habe. Kluwe nannte mehrere Punkte: Erstens wurde der Staatsschutz, der salafistische Extremisten im Blick haben soll, personell verstärkt. Zweitens sei die Auswertung- und Analyseabteilung (etwa zur Übersetzung von Handy-Botschaften) ausgebaut worden. Drittens gebe es ein Vier-Augen-Prinzip bei der Frage, wie die Polizei gefährliche Personen einschätzt. Und viertens verstärke die Polizei ihre Bemühungen, Internet-Recherchen zu verbessern – technisch wie personell.

Es lauert in Niedersachsen noch eine andere Gefahr – hier leben viele Menschen, die Ausreisepläne nach Syrien oder in den Irak hegen, weil sie dort am „heiligen Krieg“ mitwirken wollen. Im alten Regierungsbezirk Hannover sind das etwa zehn Menschen, einige davon gelten als gefährlich. Wo die Umstände eindeutig sind, können die Pässe entzogen werden, damit die geplante Ausreise verhindert wird. Andere werden observiert. Im Übrigen seien auch die Besucher der salafistischen Moschee in Hannover durchaus im Blick der Ordnungskräfte, versicherte Kluwe. Und er gab an, dass die Vorgänge rund um Safia S. die Polizei hier noch vorsichtiger habe werden lassen. So wurde früher der Polizeipräsident nicht persönlich informiert, sobald sich in einem dieser Ausreisefälle etwas entwickelt hat. Inzwischen aber ist die Brisanz überdeutlich. „Künftig werde ich informiert werden“, betonte Kluwe im Untersuchungsausschuss. (kw)