Reformationstag: Die Kritiker bäumen sich noch einmal auf
Selten ist ein Thema über Monate so emotional diskutiert worden wie die Frage, ob der Reformationstag am 31. Oktober der geeignete neue Feiertag in Niedersachsen sein soll. In drei Wochen wird der Landtag seine endgültige Entscheidung treffen, und sehr viel spricht für eine breite Mehrheit zugunsten eines Antrages der Landesregierung. Dieser plädiert für den arbeitsfreien Reformationstag. Aber die politische Debatte ist verkorkst, von vielen Missverständnissen und Vorwürfen begleitet. Und die Kritiker des 31. Oktober geben auch nicht klein bei. In einer Anhörung des Landtags-Innenausschusses versuchten sie am gestrigen Donnerstag ein weiteres Mal, die Politiker vom Reformationstag abzubringen. Der Erfolg des Unternehmens ist aber zweifelhaft.
Mehrere Vertreter von jüdischen und katholischen Organisationen traten auf, und einige von ihnen argumentierten drastisch. Katarina Seidler vom Landesverband der Israelitischen Kultusgemeinden zitierte den Philosophen Karl Jasper: „Was Hitler tat, hatte Luther geraten.“ Gern, sagt sie, hätte ihr Verband sich mit der Landespolitik auf die Suche nach einem geeigneten Feiertag begeben, aber hier sei eine „Chance vertan“ worden. Denn in dem Moment, als die Regierung zu Gesprächen eingeladen habe, sei die Sache „schon entschieden“ gewesen – obwohl formal die Abstimmung freigegeben werde, also die Koalitionsabgeordneten nicht an Vorgaben ihrer Fraktionsvorstände gebunden sein sollen.
Seidler berief sich auf Berichte unter anderem im Rundblick, dass Abweichler etwa in der SPD von ihrer Fraktionsspitze ins Gebet genommen und auf die Linie der Regierung eingeschworen wurden. „Sollte jemand versuchen, ihnen in ihr Gewissen hineinzureden, dann sagen sie einfach nein!“, meinte sie an die Adresse der Abgeordneten. Dort erntete sie leicht irritierte Blicke, etwa von Ulrich Watermann (SPD). Ähnlich argumentierte Ingrid Wettberg von der Liberalen Jüdischen Gemeinde in Hannover. Die Nationalsozialisten hätten sich immer auf Luther berufen, diesen Zusammenhang werde man beim Reformationstag nie ausblenden können. Sie empfehle als Feiertag stattdessen den 23. Mai, den Tag des Grundgesetzes. Das tat Wettberg wohl überlegt. Musste sie doch wissen, dass in der SPD-Landtagsfraktion zeitweise eine Strömung zugunsten des 23. Mai als Alternative zum 31. Oktober im Entstehen begriffen war. Eine Bewegung ist daraus bisher aber nicht geworden.
Fürst: Druck ist völlig unangebracht
Sehr nachdrücklich trat in der Anhörung Michael Fürst vom Landesverband der Jüdischen Gemeinden in Hannover auf. Er habe den Eindruck, die Abgeordneten seien vom Entwurf der Landesregierung „fehlgeleitet“ worden – da dort etwa erwähnt werde, die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung sei für den Reformationstag. Diese Darstellung bezweifelt Fürst. Wenn Juden, Muslime und Katholiken gegen den Reformationstag seien, dann hätten wichtige Gruppen der Gesellschaft ihr Nicht-Einverständnis klar signalisiert. Fürst sagt, er hätte in dieser Gemengelage von der evangelischen Kirche erwartet, dass sie von sich aus auf ihren Wunsch nach dem arbeitsfreien Reformationstag verzichtet. Dass SPD und CDU jetzt Druck ausübten, möglichst schnell über den neuen Feiertag zu entscheiden, sei völlig unangebracht – „der Reformationstag ist der falscheste, den sie auswählen können“. Der Buß- und Bettag, sagt Fürst, sei doch viel geeigneter.
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Sprecher von Organisationen der katholischen Kirche unterstützen diese Hinweise von Fürst. Prälat Felix Bernard vom katholischen Büro sieht im 31. Oktober „keinen Tag zum Feiern“, da er für die Kirchenspaltung stehe. Auf den Buß- und Bettag, der nicht an Luthers Wirken erinnere, sondern an Umkehr, Versöhnung und Einkehr, könne man sich überkonfessionell viel leichter verständigen – dieses Datum Mitte November sei sehr viel weniger belastet. Das gelte umso mehr, als die CDU im Landtag schon vor mehr als 20 Jahren gefordert habe, alsbald wieder zu einem arbeitsfreien Buß- und Bettag zurückzukehren – sobald eine alternative Finanzierung für die Pflegeversicherung geschaffen werde.
Ulrike Jureit vom Hamburger Institut für Sozialforschung ergänzte das katholische Nein zum Reformationstag noch mit ein paar Hinweisen: Das Erbe der Reformation sei nicht etwa Glaubensfreiheit und Toleranz, da Luther dies nicht im Sinn gehabt habe – es sei auf seiner Grundlage später den Fürsten als Landesherren ermöglicht worden, für ihre Untertanen die Konfession festzulegen. Die von der Reformation begünstigte Kirchenspaltung habe dann auch noch den Dreißigjährigen Krieg ausgelöst, und so stehe die Reformation nicht etwa für den Beginn der Aufklärung, sondern „für die bestürzend gewalthafte religiöse Konfliktgeschichte“.
Fülle von Bedenken
Ergänzt wurden die Bedenken von jüdischen, katholischen und humanistischen Organisationen noch von kritischen Hinweisen der Wirtschaft. Susanne Schmitt von der IHK Niedersachsen meinte, sie rechne mit einem Schaden für die niedersächsische Volkswirtschaft von 260 Millionen Euro jährlich bei Einführung eines neuen arbeitsfreien Feiertages bei vollem Lohnausgleich. Volker Müller von den Unternehmerverbänden klagte: „Man schafft einen freien Tag – aber die Party sollen andere bezahlen, nämlich die Arbeitgeber in Niedersachsen.“ Ähnlich argumentiert Benjamin Sokolovic vom Gesamtverband Verkehrsgewerbe.
Angesichts dieser Fülle an Bedenken und Einwänden gegen den Reformationstag gerieten die Vertreter der evangelischen Kirche während dieser Anhörung leicht in die Defensive. Dabei betonte Prof. Christiane Tietz von der Bonhoeffer-Gesellschaft, gerade die Ambivalenz der Figur Luther biete Gelegenheit, am Reformationstag „über Leistungen wie Gefahren von Religion nachzudenken, über menschliches Gelingen und Scheitern“.
Auch der evangelische Landesbischof Ralf Meister hob hervor, dass man den Reformationstag stets als Feiertag für den Dialog der Religionen nutzen werde. Kein anderer Tag biete im Übrigen die Gewähr, im ganzen Land und auch in den kleinsten Orten begangen zu werden. 2050 Kirchengemeinden habe die evangelische Kirche – und überall werde man dann einen „weltoffenen“ Tag begehen. „Das gehört dann zur DNA dieses neuen Feiertags.“ Da klang der Landesbischof ganz so, als sei es schon beschlossen. (kw)