Bundesernährungsminister Cem Özdemir hat vorgeschlagen, dass Jugendliche nicht mehr den Verlockungen der Werbung ausgesetzt werden sollen – wenn es um Lebensmittel geht, die besonders zucker-, fett- oder salzhaltig sind. Dies soll ein Beitrag zur gesunden Ernährung sein. Aber ist dieser Weg richtig? Die Rundblick-Redaktion diskutiert darüber in einem Pro und Contra.

PRO: Jahrzehntelang haben wir tatenlos zugesehen, wie Deutschlands Kinder immer dicker werden. Das liegt sicher nicht nur an der Werbung für ungesunde Lebensmittel, sie spielt dabei aber keine unwesentliche Rolle. Das von Cem Özdemir geplante Werbeverbot ist deswegen absolut sinnvoll, findet Christian Wilhelm Link.
„Auf die Lebensbausteine kommt‘s an!“, behauptete in den 80er Jahren ein Schauspieler in der Nutella-Werbung. Der Mann hatte einen weißen Kittel an, eine Brille auf und eine Halbglatze, wodurch er eindeutig als seriöser Wissenschaftler zu erkennen war. Außerdem besaß er wohl mindestens das kleine Latinum. „Nutella hat – summa summarum – viel Eiweiß, Kalzium und Eisen. Das sind unentbehrliche Lebensbausteine“, log er frech in die Kamera. Wer knapp 7 Gramm Eiweiß pro 100 Gramm Nussnougatcreme als „viel“ bezeichnet, leugnet genau genommen die Existenz von Käse, Fleisch und Hühnereiern. Andere Werbetreibende, wie etwa die Hersteller der „Fruchtzwerge“ und der „Capri-Sonne“ waren damals ähnlich dreist unterwegs.
Heute bestehen die Werbebotschaften in der Regel nicht mehr aus esoterischer Ernährungslehre und offensichtlichen Fehlinformationen, sondern aus subtilerer Manipulation. Da werden billigst hergestellte Fett- und Zuckerbomben als Lifestyle-Produkte vermarktet, die das Leben besser und den traurigen Alltag lebenswert machen. Menschen, die es nicht besser wissen und in vielen Fällen auch nicht besser wissen können, wird der Eindruck vermittelt, als wäre es das Natürlichste der Welt, sich teelöffelweise mit Industriezucker und Palmfett zu ernähren. Der Cremepudding „wärmt die Seele“. Das gemeinsame Familienfrühstück ist spaßiger als jede Geburtstagsparty, wenn nur genug Haselnuss-Creme am Start ist. Das Knabbern von Schokoladenriegeln ist pädagogisch mindestens so wichtig wie Domino-Spielen, Cola-Trinken genauso ereignisreich wie ein Straßenfest oder ein Mädelsabend. Und die attraktive Nachbarin auf dem Balkon nebenan wartet eigentlich nur darauf, dass man ihr eine frisch gebackene Tiefkühlpizza rüberreicht.

Das sind Botschaften, mit denen Erwachsene, Teenager und Kinder unablässig bombardiert werden. Eine nur logische Folge daraus ist, dass die Deutschen immer dicker werden, weil sie zu viele Lebensmittel mit „hoher Energiedichte verzehren“, wie es Ernährungsexperten formulieren. Jedes sechste Kind ist bereits übergewichtig. Es wird Zeit, dass dieser Trend mit allen Mitteln gestoppt wird. Und wenn die Unternehmen nicht selbst zur Einsicht kommen, muss die Politik eben tätig werden. Wie eine Foodwatch-Studie im August 2021 zeigte, ist im deutschen Werbemarkt nämlich einiges faul: Mehr als 85 Prozent der an Kinder beworbenen Lebensmittel sind ungesund.
Dass mit Cem Özdemir ein deutscher Verbraucherschutzminister endlich die Reißleine zieht, ist längst überfällig. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt bereits seit 2008, dass man Kinder vor Werbung für ungesundes Essen und Trinken schützen sollte. Eine Meta-Studie im Auftrag der WHO wies zuletzt 2022 nach, dass „Lebensmittelmarketing mit erhöhtem Verzehr, Vorlieben und Kaufwünschen bei Kindern und Jugendlichen“ in Verbindung stehen. Es sind auch nicht nur die internationalen Experten, die hier Handlungsbedarf sehen. Der wissenschaftliche Beirat des Landwirtschaftsministeriums forderte 2020 unter der damaligen Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CSU) in einem Gutachten, dass „an Kinder gerichtete Werbung für nicht und wenig gesundheitsfördernde Lebensmittel eingeschränkt wird“. Die Experten schlugen sogar noch einige andere Maßnahmen vor, um die „Werbeumgebung nachhaltiger zu gestalten“.
„Im Gegensatz zu seiner Vorgängerin nimmt Özdemir die öffentlich bestellten Fachleute endlich ernst.“
Im Gegensatz zu seiner Vorgängerin nimmt Özdemir die öffentlich bestellten Fachleute endlich ernst – dafür wird er als ausführendes Organ einer „Verbotspartei“ kritisiert. Das ist schon irgendwie kurios, zumal das geplante Werbeverbot mit Zeitfenster (6 bis 23 Uhr) und vielen Ausnahmen wirklich moderat ausfällt. Man sollte auch nicht außer Acht lassen, dass die vermeintlich grüne Ökodiktatur ihre neueste Idee sogar eigentlich aus Großbritannien entlehnt hat. Im Mutterland der freien Marktwirtschaft wurde ein Verbot von TV- und Online-Werbung für Lebensmittel mit hohem Fett-, Salz- und Zuckergehalt am Tage bereits vor anderthalb Jahren beschlossen – noch unter Premierminister Boris Johnson.
Der Gesellschaft entsteht durch das Wegbrechen des Werbemarktes für Ungesundes sicher kein nennenswerter Schaden, auch wenn Vermarkter und Privatmedien das anders sehen mögen. Und die Hersteller brauchen auch nicht zu jammern, denn Junk-Food, Süßigkeiten und Softdrinks werden auch weiterhin reißenden Absatz finden. Schließlich werden sie ja nur von den Bildschirmen und nicht aus den Supermärkten verbannt. Die aktuelle Diskussion sollte auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Kampf gegen ungesunde Ernährung erst begonnen hat. Das Werbeverbot ist dabei sogar nur eine niedrig hängende Frucht, die aber trotzdem gepflückt werden muss. Die noch wichtigere Aufgabe des Agrar- und Verbraucherschutzministers ist es, die Konsumenten durch Aufklärung und Wissen gegen schlechte Ernährungsentscheidungen zu wappnen. Dazu müsste unter anderem eine Reform des völlig sinnlosen Nutriscores her und die Einführung eines Schulfachs Ernährung. Wenn nämlich alle Konsumenten wüssten, was ungesunde Lebensmittel sind und welche Folgen sie für die eigene Gesundheit haben, dann bräuchten wir gar kein Werbeverbot.
CONTRA: Werbeverbote sind kein richtiger Weg – wie überhaupt eine auf Verbote ausgerichtete Politik in die falsche Richtung führt. Außerdem ist ein Angriff auf die Werbeindustrie unfair, meint Tomas Lada.
47,34 Milliarden Euro Marktvolumen erzielte die Werbewirtschaft im Jahr 2021 in Deutschland. Das zeigen Zahlen des Zentralverbandes der deutschen Werbewirtschaft ZAW e.V.. Werbung ist somit ein starkes Mittel in der kommerziellen Kommunikation und sie übt einen starken Einfluss auf jeden einzelnen von uns aus. Wenn ich den Begriff „Steinschlag“ höre, bin ich vermutlich nicht der einzige, der den einprägsamen Slogan des Steinschlagbeseitigungs-Platzhirschen im Kopf und die dazu passende Melodie im Ohr hat. Gleiches gilt für den Begriff „Müsli“. Na, haben Sie die kräftige Männerstimme aus dem Radio auch gerade im Ohr? Die Stimme, die den Markennamen so unnötig affektiert und lange betont?
Zumindest bei letzterem könnte es sein, dass die sonore Stimme bald verstummt, weil die Produkte teilweise die Vorgabe von maximal 15 Gramm Zucker pro 100 Gramm Müslimischung überschreiten und somit unter das gewünschte Werbeverbot von Bundesernährungsminister Cem Özdemir fallen. Mit diesem Vorstoß hat sich der Bundesminister keinen Gefallen getan – man könnte fast sagen: eine schlechte Werbekampagne initiiert. Aus zweierlei Gründen.
Erstens erweckt der Gesetzesentwurf aus dem Bundesministerium erneut den Anschein, dass die Grünen hiermit reine Klientel-Politik betreiben und die eigene Wählerschaft mit ihren Vorstößen zufriedenstellen will: Die Woke-Bubble, die Autos, Fleisch, Zucker, Grundgesetz-Denkmäler, Gasheizungen und nunmehr auch Werbung verteufelt und zudem ein großer Fan von Verboten ist. Natürlich ist Zucker in großen Mengen ungesund und schädlich, gerade für Kinder, die auch besonders empfänglich für bunte und witzige Werbung im Fernsehen sind. An dieser Stelle müssen aber vielmehr die Eltern in die Pflicht genommen werden und nicht die Werbeindustrie mit Verboten konfrontiert werden. Wenn Eltern nicht möchten, dass ihre Kinder in der Flimmerkiste von Werbung für Süßkram und Spielzeug beeinflusst werden, dann sollten sie ihren Nachwuchs nicht vor den Fernseher setzen, sondern ihm stattdessen ein Buch in die Hand drücken.

Denken wir die Idee des Werbeverbotes mal weiter: Fernsehwerbung soll zwischen 6 und 23 Uhr für Produkte mit zu viel Zucker, zu viel Fett, zu viel Nüssen, zu viel Salz, zu viel Fettsäuren verboten werden, um Kinder davor zu schützen. Wenn dies der tatsächliche Zweck des Gesetzes sein soll, an Kinder gerichtete Werbung für ungesunde Lebensmittel zu verbieten, müsste das Kindergesicht auf der Kinderschokolade-Verpackung nach Jahrzehnten auch verschwinden. Ebenso knallige Farben auf Verpackungen von schokolierten Erdnüssen, bunte Fantasiewesen auf Fruchtzwergen oder Spielzeuge aus Überraschungseiern. Das Verbot gilt im Übrigen auch für Saucen, die mehr als ein Gramm Salz enthalten. Haben Sie schon einmal ein Kind im Supermarkt schreien hören „Mamaaaaaa, ich will die Cocktailsauce haben!“. Vermutlich nicht. Das Gesetz ist somit eine Mogelpackung, denn hier geht es um weit mehr als den Schutz von Kindern vor ungesunden Lebensmitteln, sondern um generelle Bevormundung bei der Auswahl unserer Lebensmittel im Supermarktregal.
Es stößt aber auch an ganz praktische Grenzen: Von dem Verbot ist auch das Influencer-Marketing betroffen. Die oftmals gut „versteckte“ Werbung durch Influencer bei Facebook, YouTube, TikTok und Instagram dürfte im Vergleich zur TV-Werbung einen weitaus größeren Effekt zumindest auf Jugendliche ausüben. Wie sollen hier zeitlich begrenzte Werbeverbote funktionieren? Schließlich sind soziale Medien nicht linear wie beispielsweise Fernsehen oder Radio. Ein solches Werbeverbot ließe sich lediglich als Gesamtverbot für ungesunde Lebensmittel umsetzen – nicht ausschließlich für Kinder und Jugendliche.
Auf der anderen Seite ist das angestrebte Verbot ein massiver Eingriff in den Wettbewerb der Werbeindustrie. Es ist sinnvoll, dass Werbung für Tabak und Alkohol reglementiert ist. Ebenso, dass Werbung für Medikamente streng reguliert ist. Aber wie der größte Hersteller von Gummibärchen in Zukunft seine Waren unter das Volk bringen soll, bleibt derweil offen. Der Süßkram an der Theke der örtlichen Kinos darf demnach auch erst in der Nachtvorstellung beworben werden, es geht um Chips, Eis und Co. Bei den Plänen von Cem Özdemir ist nun ein Punkt erreicht, an dem die Kirche im Dorf, beziehungsweise die Werbung im Fernseher gelassen werden muss. Werbung ist ein Ausdruck der Pop-Kultur. Was wäre der Superbowl ohne witzige und kreative Werbespots von Herstellern von Softdrinks mit prominenter Besetzung? Werbung hat Kult-Charakter, wenn wir beispielsweise an den Werbespot eines Kaffee-Produzenten aus dem Jahr 1992 denken, Stichwort „Ich habe gar kein Auto“. Dass Bruno Maccallini in dem Werbespot kein Auto besitzt, dürfte Cem Özdemir zwar gefallen, sein Vorhaben indes ist aber unausgereift, scheitert an praktischen Beispielen und bestraft die Werbeindustrie mit unnötiger Härte.
„Viel wichtiger ist, dass Kinder den Umgang mit Medien und Werbung erlernen.“
Aus Werbesicht muss Werbung funktionieren und wird selbstverständlich dort platziert, wo sie den vermeintlich größten Effekt auslöst. Deswegen gibt es kurz vor Weihnachten viel Fernsehwerbung für Parfum, vor James-Bond-Filmen für Autos und in Werbeblöcken öffentlich-rechtlicher Sender zur Mittagszeit für Medikamente und Wärmedecken. Gleiches gilt für Werbung, die sich an Kinder richtet. Natürlich wird diese zur besten Hausaufgabenzeit zwischen beliebte Kinderserien platziert und soll Begehrlichkeiten wecken. Aber das ist nun einmal der Zweck von Werbung und Teil der Medienrezeption geworden. Die kreative Werbeindustrie wird zudem vermutlich Mittel und Wege finden, ihre Produkte zu bewerben und diese an den Mann und an die Frau – und ihre Kinder! – zu bringen. Wenn es nicht auf Plakaten im Umfeld von Schulen sein soll, dann eben anderswo.
Viel wichtiger als ein weiteres Verbot ist, dass Kinder den Umgang mit Medien und Werbung sowie Aufklärung über gesunde Lebensmittel an anderen Orten erlernen: im Elternhaus und vor allem in der Schule. Denn mehrere Studien belegen, dass es Zusammenhänge zwischen Übergewicht und dem Bildungsgrad von Kindern und Jugendlichen gibt. Der Werbung einzig und allein die Schuld dafür in die Schuhe zu schieben, dass rund 15 Prozent der 3- bis 17-Jährigen übergewichtig sind, ist ein heikles und vermutlich falsches Werbeversprechen für das Gesetz des Ernährungsministers.