Pro & Contra: Sollten wir Facebook, Google und Amazon verstaatlichen?
Die Digitalisierung schreitet unaufhörlich voran. In einer Veranstaltung des DGB, der Friedrich-Ebert-Stiftung und des „Forums Politik und Kultur“ wurde vor wenigen Tagen über die Schattenseiten dieser Entwicklung diskutiert. Der Baseler Soziologe Oliver Nachtwey vertrat dabei die Position, man solle „Facebook verstaatlichen“. Der mögliche EVP-Spitzenkandidat für die Europawahl, Manfred Weber (CSU), befürwortet eine „Entflechtung“ von Facebook. Wäre das eine nötige und sinnvolle Schutzvorkehrung? In einem Pro und Contra diskutierten Martin Brüning und Klaus Wallbaum.
PRO: Eine staatliche Regulierung der Formen moderner Kommunikation, für die Facebook ein Symbol ist, kann die negativen Begleiterscheinungen der Digitalisierung bestimmt nicht aufhalten – aber sie gäbe uns ein Gefühl, den Veränderungen nicht hilflos ausgeliefert zu sein. Die Politik sollte das Thema endlich anpacken, meint Klaus Wallbaum.
Vor einem halben Jahr, als der Skandal mit der Firma Cambridge Analytica aufflog und enthüllt wurde, dass Facebook mit dem Verkauf von Daten dabei mithalf, die US-Wahlen zugunsten von Donald Trump zu beeinflussen, wurden wieder Rufe nach der Verstaatlichung von Facebook laut. Der Ökonom Nick Srnicek setzte sich damals mit der Frage auseinander, ob die großen, weltweit agierenden US-Kommunikationsfirmen nicht längst vergleichbar seien mit den Elektrizitäts- und Wasserwerken des 20. Jahrhunderts – also mit Einrichtungen, die der Allgemeinheit dienen müssen und nicht privatwirtschaftlichen Interessen unterworfen sein dürfen. Also ist das Regulativ des Staates gefordert? Der früher den Piraten und jetzt der SPD angehörende Politiker Christopher Lauer verglich die Situation mit der Lage der Medien in totalitären Systemen. In Deutschland seien die Zeitungen von den Besatzungsmächten nach dem Zweiten Weltkrieg nur mit der Auflage wieder zugelassen worden, dass Konzentration und Manipulation möglichst ausgeschlossen waren; eine politische Vielfalt wurde bei der Lizenzvergabe gesichert.
Zeitungssterben hat dramatische Folgen
Aus den Positionen von Srnicek und Lauer wird Unbehagen spürbar: Die Medienwelt verändert sich rasant, die Bedingungen der Auswahl von Informationen sind für diejenigen, die etwa Facebook nutzen, keineswegs nachvollziehbar. Damit wächst die Gefahr der Manipulation und des Missbrauchs. Das allmähliche Sterben der Zeitungen hat dramatische Folgen. In den USA etwa gibt es eine Studie, wonach 45 Prozent der US-Amerikaner Facebook als Nachrichtenquelle nutzen – die Hälfte davon wiederum mittlerweile als einzige Nachrichtenquelle. Gerade die junge Generation verlässt sich immer stärker auf soziale Medien, allen Schwankungen bei der Nutzung und allen Veränderungen der sich im rasanten Tempo ändernden Formen zum Trotz. Damit wird die Frage relevant, wie die Informationen sortiert werden, bevor sie den Nutzern angeboten werden. Das Problem der „Filterblase“ entsteht: Präsentiert wird oft primär das, was den Ansichten, Neigungen und Interessen des Nutzers entspricht. So verstärken sich vorgeprägte Meinungen, zusammen mit den „Freunden“, die meist die gleiche politische Ansicht teilen, bewegt man sich in einem geschlossenen Kreis und bestätigt sich ständig gegenseitig. Das kann die Radikalisierung verstärken und zur Abschottung gegenüber anderen Positionen beitragen, es kann zur Entwöhnung des notwenigen intellektuellen Disputs beitragen. Man verlernt die Auseinandersetzung.
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Dahinter steckt noch ein anderes Problem, die Frage nämlich, nach welchen Kriterien Facebook steuert, wer welche Informationen zuerst und besonders angeboten bekommt. Dieses Regelwerk ist und bleibt das Geschäftsgeheimnis von Facebook, da mag Mark Zuckerberg noch so viel von Transparenz und Offenheit reden. Es ist für Außenstehende nicht einsehbar. Hinter den Rufen nach Verstaatlichung von Facebook, die mehr oder weniger entschieden vorgetragen werden, steckt nun eine besondere Sorge: Wenn Facebook als Wirtschaftskonzern seine Daten verkaufen muss, um sich weiterentwickeln und florieren zu können, dann kann diese Datenmacht zum Instrument von reichen Geschäftspartnern mit politischen Interessen werden. Dies gilt umso mehr, als Facebook durch Zukäufe in diesem Bereich eine „marktbeherrschende Stellung“ erfährt. Auf diese Weise können Facebook-Nutzer als Kunden gesteuert – und auch mit manipulierter Informationsauswahl als Stimmbürger vor Wahlen beeinflusst werden. Der Prozess ist nicht auf Facebook und die Medienwelt beschränkt. In der Arbeitswelt hält die Digitalisierung immer stärker Einzug – und so wird es künftig über Algorithmen ebenfalls möglich werden, das Verhalten der Arbeitnehmer im Detail zu lenken und deren perfekte Überwachung zu organisieren. Die Datenprofile, die etwa Facebook über jeden seiner Nutzer vorrätig hat, sind dabei ein wichtiges Kapital – für politische Parteien ebenso wie für Warenanbieter, für Arbeitgeber wie für den Staat. Ein erheblich verschärftes und mit extrem hohen Bußgeldern bewährtes Datenschutzrecht, das gerade erst von der EU mit der neuen Datenschutzgrundverordnung festgelegt wurde, ist dabei eine Antwort. Aber reicht diese aus?
Freiheitsrechte sind wichtiger den je
Gott bewahre uns vor Entwicklungen wie im totalitären China, wo das Verhalten der immer stärker überwachten Bürger mit Bonus-Systemen gesteuert wird. Individuelle bürgerliche Freiheits- und Schutzrechte, die auch mit modernen Arbeitsschutzbestimmungen ergänzt werden müssten, sind heute wichtiger denn je. Sie sollten noch erweitert und an die Bedingungen der Digitalisierung angepasst werden. Und zurück zur Medienwelt: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland entstand einst unter den Prinzipien demokratischer Mitwirkung und Kontrolle vieler Interessengruppen und Vereinigungen – Gewerkschaften, Arbeitgeber, Kirchen, Umwelt- und Sozialverbände. Er sollte „staatsfern“ sein, damit keine noch so machtstrebende Regierung sich Hofberichterstattung kaufen kann, und er sollte gleichzeitig die demokratische Vielfalt in der Gesellschaft sicherstellen. Wenn ein Netzwerk wie Facebook in Zukunft Aufgaben übernimmt, die bisher Zeitungen und Rundfunk hatten, dann ist eine dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk vergleichbare Regulierung (durch Verwaltungs- und Rundfunkräte etwa) erforderlich. Diese Gremien würden dann auch über die Algorithmen wachen und den Anspruch erheben, diese mitbestimmen zu wollen. Das würde nicht zwingend die Verstaatlichung voraussetzen, die bei zunehmend international agierenden Unternehmen ohnehin schwierig ist. Aber so könnte die Politik in Deutschland und Niedersachsen wenigstens das gute Gewissen pflegen, sich der Revolution in der Medienwelt nicht hilflos ausgeliefert zu fühlen.
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CONTRA: Den Problemen, mit denen ein soziales Netzwerk wie Facebook naturgemäß konfrontiert ist, ist mit einer Verstaatlichung nicht beizukommen. Und die Bedeutung von Facebook wird in den kommenden Jahren voraussichtlich ohnehin rapide abnehmen, meint Martin Brüning.
Verschwörungstheorien tauchen gerne dort auf, wo Menschen ein wenig den Überblick verloren haben und die Lage komplex ist. Als die Pest im 14. Jahrhundert wütete und viele Städte in die Krise führte, warf man sozialen Gruppen, zumeist den Juden, vor, öffentliche Brunnen vergiftet zu haben. Während der französischen Revolution behauptete Maximilien de Robespierre, das Ausland habe die französische Gesellschaft unterwandert. Nach dem Kennedy-Attentat hieß es, die CIA habe in einem komplexen Bündnis unter anderem mit der Mafia, Exilkubanern und dem Vizepräsidenten unter einer Decke gesteckt. Komplexität, Krise, Ausland: Facebook ist ein hervorragendes Objekt für Verschwörungstheoretiker. Der Algorithmus des Unternehmens ist so kompliziert, dass ihn vermutlich sogar nur ein Bruchteil der 30.000 Facebook-Mitarbeiter versteht. Die Krise der Demokratien kann ganz leicht auf Facebook zurückgeführt werden, wo sich die Menschen in ihren Filterblasen von der Wirklichkeit abwenden. Und dann hat das Unternehmen auch noch seinen Sitz in den USA, wo für den guten linksliberalen Deutschen ja ohnehin nur selten Gutes entsteht – das Apple-Smartphone auf dem Schreibtisch einmal außer Acht gelassen.
Daten sind das Rohöl des 21. Jahrhunderts
Schaut man allerdings genauer hin, so ist die Kritik an Facebook wesentlich differenzierter zu betrachten und nicht jeder Vorwurf stimmt vollkommen mit der Wahrheit überein. So ist das Sammeln von Daten kein Alleinstellungsmerkmal von Facebook. Nicht nur Facebook, Google und Twitter, auch die Hersteller Ihres Autos und Ihrer Waschmaschine, der Verlag Ihrer Tages- oder Wochenzeitung oder Ihr Supermarkt, bei dem Sie vielleicht auch online einkaufen, sind inzwischen scharf auf Ihre Daten. Denn Daten sind das Rohöl des 21. Jahrhunderts, heißt es. Und deswegen möchte nicht nur Facebook mit ihnen Geld verdienen, sondern so viele Unternehmen wie möglich. An dieser Stelle sei übrigens darauf hingewiesen, dass ExxonMobil, Royal Dutch Shell und BP nicht verstaatlicht wurden, obwohl wirtschaftlich im Umkehrschluss Rohöl der globale Datensatz des 20. Jahrhunderts war. Beim Facebook-Skandal um die Firma Cambridge Analytica wurde häufig verschwiegen, dass Facebook eben nicht in großem Stil Daten an das Unternehmen verkauft hatte. Warum sollte Facebook auch daran ein Interesse haben? Die Daten der Nutzer, die für den Verkauf von Werbung eingesetzt werden, sind für das soziale Netzwerk der wertvollste Schatz. Damit verdient der Konzern 40 Milliarden US-Dollar pro Jahr. Diesen Schatz teilt man nicht mit einer kleinen Datenanalyse-Firma in Großbritannien.
Filterblasen sind kein neues Phänomen
Auch der wirkliche Einfluss von Facebook auf Wahlergebnisse ist eher umstritten. Zum einen, weil es gar nicht so einfach messbar ist, wie Wähler letztendlich zu ihren Entscheidungen gekommen sind. Zum anderen, weil das Phänomen der Filterblasen nicht neu ist und die Selektion von Informationen schon immer stattgefunden hat. Sie hat sich mit sozialen Medien lediglich verstärkt. Auch vor deren Aufkommen war es möglich, sich nur eingeschränkt zu informieren. Bleibt noch das Problem mit den sogenannten Fake-News-Seiten. Das Unternehmen versucht inzwischen härter gegen solche Seiten vorzugehen, muss aber auch immer wieder feststellen, dass das gar nicht so einfach ist. Denn der beliebte „Fakten-Check“ ist gerade im politischen Raum häufig gar nicht so eindeutig. Und in Zeiten, in denen sich Vertreter aller Parteien gerne gegenseitig unter Fake-News-Verdacht stellen, eine Unterscheidung in Schwarz und Weiß zugleich aber häufig nur schwer möglich ist, sind die Anforderungen an die Macher eines soziales Netzwerks in diesen Fällen einfach zu hoch. Auch in Medien wird dabei von den Facebook-Machern häufig ein Versprechen eingefordert, was heutige Rumpf-Redaktionen nicht einmal selbst halten können.
Nutzerzahlen sinken rapide
Den Problemen, mit denen ein soziales Netzwerk dieser Dimension naturgemäß konfrontiert ist, ist mit einer Verstaatlichung nicht beizukommen. Die Frage ist ohnehin, ob es bei dieser Dimension bleibt. Denn schon in wenigen Jahren könnte die Drohung einer Verstaatlichung wie eine Kanone wirken, die auf einen Spatzen zielt. Derzeit gibt es weltweit noch 2,34 Milliarden Facebook-Nutzer, von denen 1,47 Milliarden täglich in dem sozialen Netzwerk aktiv sind. Aber die Zahlen sinken rapide. Viele Ältere sind den ständigen Postings überdrüssig geworden, bei den Jungen ist Facebook schon seit einige Zeit ohnehin out. Nur ein Viertel der Jugendliche nutzt Facebook noch mehrmals die Woche – Tendenz sinkend. Nur für 13 Prozent gehört Facebook noch zu den wichtigsten Apps. Mark Zuckerberg weiß schon etwas, was die Politik offenbar noch nicht erkannt hat: die Bedeutung von Facebook wird in den kommenden Jahren voraussichtlich rapide abnehmen. Wer aber einer Verstaatlichung von sozialen Medien das Wort redet, wird die Frage beantworten müssen, wie er es denn mit Twitter, Instagram oder Snapchat hält. Die Nutzung wird sich in den nächsten Jahren weiter diversifizieren. Einige Netzwerke werden sterben, neue hinzukommen. Die Debatte um eine Verstaatlichung eines einzelnen Netzwerks ist deshalb heute schon von gestern.