Pro & Contra: Brauchen wir neue Kommunikationsformen in der Politik?
Ist die Politik zu langweilig geworden? Hört noch jemand zu? Nicht erst seit der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten fragen sich Politiker, wie sie Wähler besser erreichen können. Auch in den Wahlkampfzentralen der niedersächsischen Parteien befasst man sich derzeit vermutlich mit der Frage: Brauchen wir neue Kommunikationsformen in der Politik? Ein Pro & Contra von Martin Brüning und Klaus Wallbaum.
PRO: Die Wahlkampfaussichten der Parteien in Niedersachsen sind eher heiter bis peinlich. Seid mutig. Probiert etwas aus. Langweilt uns nicht. Begeistert uns. Gebt uns Fünf-Wort-Sätze. Killt das Komma, appelliert Martin Brüning:
Am 13. September 1986 begann in Österreich eine neue Zeitrechnung in der politischen Kommunikation. An diesem Tag wurde Jörg Haider Vorsitzender der rechtspopulistischen FPÖ. Beobachter stellten in den Folgenjahren eine regelrechte kommunikative Revolution fest. Parteitage, Pressekonferenzen, Wahlkampfveranstaltungen – alles wurde bei der FPÖ nach amerikanischem Vorbild professionalisiert und inszeniert. Die anderen Parteien sahen gegen die FPÖ-Show schlagartig alt aus. Auch die sozialen Netzwerke nutzte die FPÖ von Beginn an. Heute, in der Post-Haider-Ära der Partei, zählt FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache rund 535.000 Facebook-Freunde – wohlgemerkt in einem Land mit einer vergleichbaren Einwohnerzahl wie das Bundesland Niedersachsen. Wer auf Straches Website geht, findet nicht nur Links zur Neuen Freien Zeitung, dem Organ der FPÖ, sondern auch zu FPOE-TV mit zahlreichen, teilweise journalistisch anmutenden Videos.
Die Bemühungen der etablierten Parteien in Niedersachsen knapp ein Jahr vor der Landtagswahl wirken dagegen wie die bemitleidenswerten Versuche eines Kleintierzüchtervereins, ein wenig Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben. Man kann sicher sein, dass sich die AfD wie alle anderen rechtspopulistischen Parteien Europas eingehend in Österreich über das FPÖ-Modell informiert hat. Man kann froh sein, dass ihr bisher offensichtlich die professionellen Mitarbeiter und Berater fehlen, um dasselbe auch in Niedersachsen und Deutschland umzusetzen. Der Blick nach Wien macht allerdings deutlich: Die Wahlkampfaussichten der Parteien in Niedersachsen sind eher heiter bis peinlich.
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Es geht nicht nur um eine neue Konkurrenz mit politischen Populisten. Alle Parteien haben in den vergangenen Jahren nicht nur die Kommunikation auf Augenhöhe mit dem Bürger sträflich vernachlässigt. Sie haben sich auch nicht bemüht, durch neue, interessante und mutige Formate Politik wieder anfassbar und interessant zu machen. Vielleicht liegt es an der großen Zahl von Juristen, die nicht gerade für ihre Kreativität bekannt sind, dass Politik inzwischen so sexy ist wie ein Aktenordner im Bürgeramt. Der Rundblick wurde kürzlich in der taz unter der Überschrift „Futter für Politik-Nerds“ porträtiert. Das sind wir inzwischen: Nerds. Politikinteressierte, die ein bisschen schräg sind und leicht belächelt werden, weil das wirkliche Leben woanders spielt.
Es wird nicht ausreichen, im Landtag endlich einmal bessere Reden zu halten. Denn das würde ja bedeuten, dass zahlreiche Menschen sich diese Reden immer noch ansehen. Auch Parteitage wirken inzwischen wie aus einer anderen Zeit. In den Schulen üben wir seit Jahren den offenen Unterricht mit anderen und neuen Formen der Interaktion. Auf Parteitagen gibt es immer noch Frontalunterricht. Der Frust und das Desinteresse der Wähler ist auch damit zu erklären, dass sich die Politik seit Jahren nicht um sie bemüht hat. Wer versteht noch die Schwurbel-Sätze der Juristen? Wer sieht sich noch Parteitags-Berichte an? Der 37-jährige CDU-Bundestagsabgeordnete Steffen Bilger wurde kürzlich im Radio gefragt , wie man junge Menschen wieder für Politik begeistern kann. Seine Antwort: „Da geht es ganz viel um das Internet.“
Die Politik muss endlich raus aus der German Angst-Falle. Bloß nichts falsch machen, nur keinen falschen Satz sagen, auf keinen Fall etwas ausprobieren und dabei peinlich wirken. Stephan Weils Hemdknopf spannte beim Facebook-Interview? Bei Althusmanns Video war im Hintergrund alles spiegelverkehrt? Egal, macht es nochmal. Macht es besser, professioneller. Seid mutig. Probiert etwas aus. Langweilt uns nicht. Begeistert uns. Gebt uns Fünf-Wort-Sätze. Killt das Komma.
Den Mutigen gehört die Zukunft. Die Ängstlichen sind Populisten-Futter, sobald diese den Dreh raus haben.
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CONTRA: Wir brauchen keine neuen Formen, mit denen Politiker auf die Menschen zugehen. Was wir wirklich brauchen, sind Politiker, die sich mehr Mühe mit ihren Reden geben, meint Klaus Wallbaum.
Ganz schlimm ist das Verwaltungsdeutsch. Es gibt – Gott sei Dank – Mitarbeiter in Behörden, die geben sich die beste Mühe, ihre Botschaft in verständlichen Sätzen zu sprechen. Sie wollen wirklich, dass der Zuhörer, meist ein Verwaltungsunkundiger, das Wesentliche versteht. Niemand kann auf Anhieb alles begreifen, was in einer Behörde geregelt ist, dafür sind die Regeln im Laufe der Jahrzehnte viel zu kompliziert und teilweise sogar widersprüchlich geworden. Aber jeder Bürger, der von einem Verwaltungsakt betroffen ist, möchte wenigstens in groben Zügen nachvollziehen können, warum eine Entscheidung so oder so ausgefallen ist. Dafür braucht er dann einen Verwaltungsmitarbeiter, der wie ein Übersetzer tätig ist: Er gibt den Kern der Abläufe in einfachen Worten und anschaulichen Bildern wieder. Zur Not muss er dann auch mal sagen: Dies und das verstehe ich selbst nicht so recht – aber es ist nun mal so vorgeschrieben. Wichtig ist: Er muss sich anstrengen, um verstanden zu werden.
Man kann von Glück sagen, wenn man an solche Leute gerät. Ob leitender Beamter, Politiker, Journalist oder Verbandsvertreter – für sie alle gilt: Es kommt stärker denn je darauf an, den Empfänger der Botschaft, die Nicht-Behördenkenner, zu erreichen. Zwei Entwicklungen machen diese Aufgabe viel schwerer als sie vielleicht noch vor 15 oder 20 Jahren war. Erstens haben die Vertreter des Staates – Politiker, Verwaltungsleute, Polizisten, Feuerwehrmänner, Rettungssanitäter oder Richter – enorm an Respekt verloren. Die früher übliche Achtung, die man gegenüber diesen Personen hatte, ist flächendeckend verschwunden. Viele Menschen sind weniger geneigt als früher, ihnen zuzuhören – oder genauer: sich darauf zu konzentrieren, was sie sagen wollen. Zweitens ist die Politik auch umständlicher geworden, die weltweiten Verflechtungen engen den Handlungsradius der Kanzler, Minister, Ministerpräsidenten und Abgeordneten immer mehr ein, Globalisierung und Digitalisierung bahnen sich wie Naturgewalten in der Gesellschaft ihren Platz – und auch viele Politiker betrachten die Entwicklung häufig ratlos. Der kluge Rat, sie mögen dann dazu stehen und ihre eigene Unsicherheit eingestehen, hilft nur begrenzt weiter. Schließlich sind Politiker nicht gewählt worden, um sich in ihrer Handlungsunfähigkeit zu beschränken.
Was aber erleben wir heute immer wieder? Es gibt noch ganz viele Behördenmitarbeiter, die das Verwaltungsdeutsch als Waffe gegen ihre Umwelt einsetzen. Sie wollen gerade nicht verstanden werden, sie wollen, dass die Zuhörer verzweifeln und aufgeben, die komplizierten Vorgänge begreifen zu wollen. Sie wollen sich abschotten gegen Einblicke von außen. So etwas gibt es nicht nur in Verwaltungen, man sieht vergleichbare Entwicklungen in der Wissenschaft (Professoren, die sich am eigenen Fachchinesisch ergötzen), in der Medizin (Ärzte, die mit Fremdwörtern um sich werfen) und im Management (Chefs, die mit Anglizismen ihre Überlegenheit betonen wollen). In den Ausschüssen des Landtags treten regelmäßig Bedienstete der Ministerien auf, die das Parlament über interne Abläufe unterrichten sollen – immerhin gibt die Landesverfassung dem Landtag das Recht, hier informiert zu werden. Einige Ministerialbeamte bemühen sich dann um eine verständliche Ausdrucksweise, denn sie wollen wahrhaftig informieren. Andere wirken so, als wollten sie es sich verbitten, dass die Landtagsabgeordneten ihnen bei ihrer Arbeit über die Schulter schauen wollen. Sie werfen dann mit gestelzten Worthülsen und Begrifflichkeiten um sich, alles in der Absicht, sich möglichst wenig konkret auszudrücken. Im Sprachnebel von „im Rahmen“, „erfolgen“, „finalisieren“ oder „zur Kenntnis gelangen“ wird dann die wirkliche Intention versteckt – möglichst keine Antwort auf die Fragen von Abgeordneten geben zu wollen.
Dabei ist es so einfach, die wachsende Kluft zwischen „den Bürgern“ auf der einen, den Politikern, Verwaltungsleuten, Verbandsfunktionären und PR-Mitarbeitern auf der anderen Seite endlich wieder kleiner zu machen. Beide Seiten müssen sich nur etwas anstrengen. Die Bürger müssen aufhören, „denen da oben“ mit ständigem Misstrauen zu begegnen, sie sollten ihnen – bis zum Beleg des Gegenteils – gute Absichten unterstellen. Die Politiker müssen endlich merken, dass sie sich verständlich auszudrücken haben. Jeder, der eine Rede hält, sollte dabei das ernsthafte Ziel verfolgen, seinen Zuhörer zu erreichen – rational wie emotional. Er sollte keine Worte oder Satzbausteine verwenden, die er selbst nicht versteht. Er sollte Brücken bauen zwischen seiner Welt und der Welt seiner Zuhörer, und er sollte stets im Blick haben, wie die Leute auf seine Rede reagieren.
Es stimmt ja nicht, dass die Politiker allesamt so schlecht geworden wären. Immer wieder gibt es solche, die überraschen mit guter Redekunst. Joachim Gauck zählt dazu, der frühere Bundespräsident. Auch Bundestagspräsident Norbert Lammert kann das. Und Martin Schulz von der SPD hat vorgeführt, was es heißt, wenn einer einen Draht zu den Leuten hat. Wir müssen nicht die ganze Kommunikation zwischen Politik und Volk neu erfinden, wir brauchen nicht unendlich viele neue Formen des Gesprächs. Eigentlich reicht es doch schon, wenn sich jeder nur klar macht: So viele schlechte Reden werden jeden Tag gehalten, da müsste man doch den Ehrgeiz haben, positiv herauszustechen.