Pro & Contra: Brauchen wir ein bedingungsloses Grundeinkommen?
In Niedersachsen gibt es nicht nur in einigen Parteien Sympathien für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Bei der Bundestagswahl kann man sogar bei einem „Bündnis Grundeinkommen“ sein Kreuz auf dem Wahlzettel machen. Aber ist ein Grundeinkommen überhaupt sinnvoll? Klaus Wallbaum und Martin Brüning sind unterschiedlicher Ansicht.
[caption id="attachment_14869" align="aligncenter" width="780"] Unser Pro & Contra zur Sonntagsöffnung lesen Sie hier - Foto: DqM[/caption]
PRO: Wir sollten einer Reform für ein bedingungsloses Grundeinkommen aufgeschlossen gegenüber stehen und den Sachverhalt genau prüfen, meint Klaus Wallbaum.
Die Idee mit dem bedingungslosen Grundeinkommen ist auf den ersten Blick nur wenig erbaulich. Sie klingt ganz nach Karl Marx und seine Vorstellungen vom Kommunismus: „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen.“ Mit anderen Worten: Leistungsbereitschaft, Engagement und persönlicher Ehrgeiz, die Triebfedern der gedeihlichen Entwicklung einer Gesellschaft, spielen keine Rolle mehr. Jeder soll so viel bekommen, wie es zum Leben reicht – ohne dass er sich in irgendeiner Form dafür ins Zeug legen muss. Damit ein solches Modell finanzierbar ist, muss die Volkswirtschaft florieren – und man muss in den natürlichen Trieb des Menschen vertrauen, sich trotz einer finanziell gebetteten Lage noch anzustrengen, nach Höherem zu streben und sich für die Gemeinschaft einsetzen zu wollen. Man braucht das, was man ein „optimistisches Menschenbild“ nennt: das Zutrauen in den Altruismus der Leute.
Deshalb sollte man bei der folgenden Betrachtung zwei Dinge vor die Klammer ziehen, sozusagen vorweg als Grundbedingung festschreiben: Erstens muss es Anreize für jedermann geben, seine Fähigkeiten so gut wie möglich zum Wohle der Allgemeinheit einzusetzen. Leistung muss sich weiterhin lohnen, Leistungsverweigerung muss Sanktionen zur Folge haben. Zweitens darf der Missbrauch nicht belohnt werden. Wer sich asozial und nur egoistisch verhält, sich ausgrenzt und auf Kosten anderer leben will, darf nicht Profiteur dieses Systems sein.
https://soundcloud.com/user-385595761/warum-das-bundnis-grundeinkommen-eine-partei-wider-willen-ist
Wenn das beides geregelt ist, wie auch immer, dann beginnt der Gedanke mit dem bedingungslosen Grundeinkommen attraktiv zu werden. Jeder Mensch erhält, vom Baby bis zum Greis, einen bestimmten Betrag vom Staat, mit dem er über die Runden kommen kann. Dies geschieht pauschal und ohne Einzelfallprüfung (abgesehen von den Bedingungen, die vor die Klammer gezogen wurden). Danach gibt es dann keine Sondertöpfe mehr und keine aufwendigen Prüfungen, wer unter welchen Bedingungen aus den Sondertöpfen etwas erhalten kann. Also: Keine Rentenversicherung mehr, keine Arbeitslosenversicherung, kein Kindergeld und keine Grundsicherung, keine Sozialhilfe und Überprüfung der Anspruchsberechtigung von Sozialhilfe. Wenn man das durchdenkt, wird auch deutlich, warum dies ein auf die Bedingungen der Zukunft, nicht so sehr die Gegenwart zugeschnittenes System ist: Wenn die deutsche Gesellschaft schrumpft, immer mehr Arbeiten von Robotern versehen werden, dann muss auch der Sozialstaat kleiner werden mit all seinen Instanzen – von der Sozialverwaltung über die Tarifpartner bis zur Rechtsprechung.
https://twitter.com/phoenix_kom/status/837736084201164801
Der Staat in diesem Modell ist großzügig und rigoros zugleich: Das bedingungslose Grundeinkommen muss reichen, um damit gut leben zu können – vielleicht nicht mit Wohnung in der Innenstadt von Hamburg oder München, sondern eher in der Randlage. Wer sein Geld versäuft, verspielt oder verschenkt, kann dann nicht mehr auf einen schützenden Sozialstaat hoffen, der ihn auffängt. Worauf er aber immer setzen können müsste, wäre Bildung: Nicht nur die Chance, sondern die Pflicht für alle, die sich bemühen, mehr Wissen und damit mehr Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt zu erwerben. Wichtig ist außerdem, dass die Besteuerung der hohen Einkommen nicht übertrieben werden darf – denn es muss ja einen Anreiz geben, über das bedingungslose Grundeinkommen hinauszuwachsen. Ein Vorschlag zur Finanzierung dieses bestimmt recht teuren Modells aber, der auf die stark steigende Besteuerung der höheren Einkommen abzielt, würde das Leistungsprinzip empfindlich stören. So könnte das Modell nicht funktionieren. Sinnvoller wäre ein anderer Weg, nämlich die Begrenzung der staatlichen Aufgaben. Das bedingungslose Grundeinkommen könnte ja einen Weg ebnen, die staatliche Verwaltung radikal zu vereinfachen – damit würde auch ein radikaler Personalabbau im öffentlichen Dienst einhergehen. Weniger Staatsausgaben für Beamte heißt aber auch mehr Spielraum für das bedingungslose Grundeinkommen.
Seit vielen Jahren gibt es solche Vorstöße, von politischen Utopisten in der Piratenpartei über versprengte Bürgerbewegte bei den Grünen bis zu engagierten Sozialpolitikern der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung, von der Vorsitzenden der Linkspartei bis zu einem früheren Thüringer Ministerpräsidenten mit CDU-Parteibuch, der zum konservativen Kreis seiner Partei gerechnet wird. Eine wirkliche Reform mit diesem Ziel hat es nie gegeben, was vermutlich auch daran liegt, dass man hier nur ein völlig neues gegen ein altes System austauschen müsste. Mit schrittweisen, vorsichtigen und immer wieder überprüften Reformen, wie sie im deutschen Sozialstaat üblich sind, kommt man an diesem Punkt wohl nicht viel weiter. Und teuer, sehr teuer, würde es auch.
Warum aber soll man es nicht versuchen? Weil es zu radikal ist, weil man gewohnte Wege verlassen müsste? Was wir brauchen, ist der Mut, ein solches Modell man gründlich zu durchdenken und intensiv zu diskutieren. Es könnte, unter Umständen, der richtige Weg für die Zukunft darin verborgen sein.
Mail an den Autor dieses KommentarsCONTRA: Radikal ungerecht und teuer: Das bedingungslose Grundeinkommen würde unsere Gesellschaft radikal verändern, meint Martin Brüning.
„Ich ging also in das Haus hinein und holte meine Geige, die ich recht artig spielte, von der Wand, mein Vater gab mir noch einige Groschen Geld mit auf den Weg und so schlenderte ich durch das lange Dorf hinaus.“ So macht sich bei Joseph von Eichendorff der junge Müllersohn, den sein Vater einen „Taugenichts“ schimpft, auf den Weg. Hätte es im frühen 19. Jahrhundert bereits das Grundeinkommen für alle gegeben, dann wäre von Eichendorffs Buch vermutlich niemals geschrieben worden. Denn der junge „Taugenichts“ hätte sich erst gar nicht auf den Weg gemacht, warum auch? Die Erlebnisse in Wien und Italien wären dem Leser nicht vergönnt gewesen. Das bedingungslose Grundeinkommen würde auch unsere Gesellschaft radikal verändern, viele Lebensgeschichten würden anders geschrieben werden.
Dabei klingt die Idee eigentlich verlockend. Das Grundeinkommen würde ein Sammelsurium an bürokratischen Regeln überflüssig machen, es müssten keine Bedarfe mehr geprüft und Diskussionen über die Gerechtigkeit mancher Ausnahme müssten nicht mehr geführt werden. Jeder einzelne hätte eine finanzielle Basis und könnte sein Leben nach dem Prinzip „Alles kann, nichts muss“ führen. Das Grundeinkommen ist ein großer Gleichmacher, wo allerdings, und das ist das Manko, nichts gleichzumachen ist. Denn die Stärke der Idee ist zugleich ihre Schwäche. Nur weil jeder dieselbe Summe bekommt, steht nicht jeder vor denselben Herausforderungen im Leben. Die alleinerziehende Mutter mit drei Kindern, der Rentner mit einer schweren Krankheit und der junge, alleinstehende Arbeitslose werden immer noch auf eine unterschiedliche finanzielle Unterstützung angewiesen sein. Ein bedingungsloses Grundeinkommen ohne bürokratische Ausnahmen? Zu schön, um wahr zu sein.
https://twitter.com/iw_koeln/status/826739236216913920
Gerechter wird es auch nicht, wenn dem lustlosen Millionärssohn und der arbeitslosen Pflegekraft dasselbe Grundeinkommen zusteht. Teurer wird es aber allemal. Dabei ist völlig unerheblich, ob die Kosten bei den häufig diskutierten 800 Milliarden Euro liegen oder sogar die Billionenmarke geknackt wird. Viel komplizierter wird die Frage, wie eigentlich die weitere Finanzierung von Arbeitslosen-, Renten- und Pflegeversicherung aussehen wird. Denn ein Parallelsystem von Grundeinkommen und den sozialen Sicherungssystemen wird sich diese Gesellschaft vermutlich nicht leisten können. Wer auf Dauer zu viel aus- und zu wenig einzahlt, der landet auf Dauer nicht im sozialpolitischen Paradies, sondern im Zweifel bei RTL-Schuldnerberater Peter Zwegat, der dann erst einmal sein Board aufstellt und vorrechnet, was gerade schiefläuft.
Nein, wir werden auch nach der Einführung des Grundeinkommens nicht alle aufhören zu arbeiten und damit in das Sozialsystem einzuzahlen. Dennoch wird sich gerade bei kleinen Einkommen die Frage nach der Verhältnismäßigkeit stellen. Wer am Ende nach Steuern 1200 Euro auf dem Konto hat, der wird sich überlegen, ob ihm 1000 Euro nicht auch reichen, wenn er dafür keinen Finger krumm machen muss. Manche Befürworter des Grundeinkommens meinen, dass gerade unattraktivere Jobs dann besser bezahlt werden müssten. Das würde aber auch bedeuten, dass die Konsumenten für diese Leistungen dann mehr Geld bezahlen müssten. Darunter leiden dann aber wieder gerade diejenigen, die lediglich vom Grundeinkommen leben. Ein Teufelskreis.
Zuletzt stellt sich die Frage, warum sich eigentlich einige Konzerne für das Grundeinkommen so stark machen? Denn inzwischen gibt es nicht mehr nur in politisch linken Kreisen Verfechter der Idee, sondern auch auf Seiten von Unternehmern. Sie wären massive Profiteure, weil Arbeitnehmer durch einen Sockelbetrag abgesichert wären und man bei den Einkommen Milliardensummen einsparen könnte. Das Grundeinkommen würde zu Mitnahmeeffekten bei Lohndrückern führen. Das soll gerecht sein?
Mag sein, dass das bedingungslose Grundeinkommen auf den ersten Blick wie eine gute und faire Idee wirkt. Es ist aber nur eine radikale Idee – radikal teuer und ungerecht.
Mail an den Autor dieses KommentarsDieser Artikel erschien in Ausgabe #49.