Pro & Contra: Bedroht die Medienkrise die demokratische Kultur?
Heute feiert die Landespressekonferenz, die Institution der landespolitischen Journalisten in Niedersachsen, ihren 70. Geburtstag. Man begibt sich zu diesem Anlass in den neuen Raum der Pressekonferenzen neben dem gerade eröffneten Plenarsaal. Das Politikjournal Rundblick befasst sich zu diesem Anlass in einem Pro & Contra zur Zukunft der freien Presse in Niedersachsen.
PRO: Es droht bergab zu gehen mit der Meinungsvielfalt in Deutschland – und in Zukunft könnte das republikanische System schweren Schaden nehmen. Eine Gegenbewegung ist nötig, meint Klaus Wallbaum.
Die Auflagen der Regionalzeitungen gehen zurück. Junge Leute abonnieren heute oft keine Tageszeitung mehr, sie nutzen das Internet. Also liegt die Zukunft der Zeitung im Internet? Wenn es so einfach wäre, könnte man erleichtert sein. Leider gibt es aber viele Anzeichen, dass es nicht mehr so ist, dass die sozialen Netzwerke die neue Hauptinformationsquelle werden. Und weil die Fernsehgewohnheiten sich auch ändern, da immer mehr Menschen einen bestimmten Film nicht zur vorgegebenen Uhrzeit sehen wollen, sondern dann, wenn sie gerade Lust darauf haben, verlieren auch die Nachrichtensendungen an Gewicht. Wer schaut heute noch pünktlich um 20 Uhr die Tagesschau als Einleitung für den folgenden Film um 20.15 Uhr? Es sind wohl eher die älteren.
Die Änderung der Gewohnheiten beim Medienkonsum an sich sind nicht das Problem. Da sich die Gesellschaft und die technischen Möglichkeiten fortentwickeln, nutzen die Leute die für sie bequemeren Wege. Darauf muss man sich einstellen. Das Problem ist vielmehr, dass die sozialen Medien, Facebook insbesondere, auf eine ganz perfide Art und Weise verlockend sind – sie laden dazu ein, sich in einer Gemeinschaft der Gleichgesinnten aufzuhalten. Dort, wo die Interessen, die Haltungen, die Vorlieben und auch die Vorurteile ähnlich gestrickt sind.
Der unschätzbare Vorteil einer Tageszeitung oder einer nach journalistischen Qualitätsansprüchen gestalteten Fernseh- oder Radio-Nachrichtensendung, nämlich die Vielfalt von Themen und auch eine Vielfalt an Sichtweisen und Einschätzungen geliefert zu bekommen, spielt bei den sozialen Netzwerken keine Rolle mehr. Wer immer nur präsentiert bekommt, was ihn sowieso schon interessiert, muss sich nicht auseinandersetzen mit Fragestellungen oder Sichtweisen, die ihm erst einmal fernliegen. Dies kann eine Erklärung für Erscheinungen wie die Pegida-Bewegung sein – dort fanden in Dresden Menschen zusammen, die sich über soziale Netzwerke verabredet hatten. Lauter Menschen, die von bestimmten Vorurteilen geprägt waren. Das ist der perfekte Nährboden für Verschwörungstheorien.
Man kann mit Stolz auf die funktionierende Medienlandschaft in diesem Bundesland blicken.
In Gegenden, in denen noch viele Leute regelmäßig eine Zeitung lesen, übernimmt sie eine wichtige Funktion für die demokratische Willensbildung – sie lädt zum Widerspruch und zum Dialog ein, vermittelt die unterschiedlichen Sichtweisen, bietet somit auch Reibungsflächen. Noch besser ist es dort, wo in einem überschaubaren Gebiet – etwa Niedersachsen – gleich mehrere Zeitungen, Informationsdienste (wie das Politikjournal Rundblick) oder Radio- und Fernsehsender am Markt sind. Damit ergibt sich Vielfalt oft auch dadurch, dass die Korrespondenten der verschiedenen Blätter einen Sachverhalt unterschiedlich bewerten. Niedersachsen ist ein Land, das sich in dieser Hinsicht glücklich schätzen kann. Wenn die Landespressekonferenz, der Verein der landespolitischen Medien, am heutigen Montag ihren 70. Geburtstag feiert, dann kann man mit Stolz auf die funktionierende Medienlandschaft in diesem Bundesland blicken. Gibt diese Vielfalt doch eine Gewähr, dass die verschiedenen Beurteilungen der politischen Prozesse publiziert und damit zur öffentlichen Diskussion angeboten werden.
Aber wie lebensfähig sind die Medien in Niedersachsen noch? Wird es in 20 Jahren noch jene Vielfalt geben? Oder wird es zwar die Zeitungstitel noch geben, aber nicht mehr so viele Korrespondenten, die in Hannover sitzen und hier das Wirken der Landespolitik begleiten, beschreiben und beurteilen? Der Auflagenrückgang bedeutet für viele Zeitungen finanzielle Einbußen – und er kann einher gehen mit Kürzungen und Einsparungen, möglicherweise zu Lasten der journalistischen Qualität. Zu befürchten ist, dass die freie Presse wegen der mit Auflagenverlusten verbundenen wirtschaftlichen Probleme der Verlage künftig immer mehr schwächelt, dass damit unabhängige Beobachter und Kritiker der politischen Entwicklungen immer seltener werden.
Immer mehr Behörden wenden sich über die sozialen Netzwerke direkt an die Bürger, nicht über den Umweg von Medien.
Begleitet wird das von einem Trend, der vom neuen US-Präsidenten Donald Trump auf die Spitze getrieben wird, aber in seinen Grundzügen auch hierzulande schon zu beobachten ist: Immer mehr Behörden wenden sich über die sozialen Netzwerke direkt an die Bürger, nicht über den Umweg von Medien. Dies ist eine reale Gefahr: Wo eine Instanz fehlt, die den Institutionen des Staates kritisch auf die Finger schaut, wächst die Gefahr, dass aus Information Propaganda wird. Dann drohen Tatsachenberichte verfälscht, Missstände vertuscht und Spuren zu Fehlentwicklungen verwischt zu werden.
Manchmal vielleicht ohne böse Absicht, sondern einfach nur, weil man es so gewohnt ist. Dies fängt schon an mit amtlichen Mitteilungsblättern, geht über Video-Podcast der Staatskanzlei und kann irgendwann enden in einer Kommunikation, die vollständig auf neue Medien setzt. Sicher: All diese Formen sind sinnvoll, niemand kann etwas dagegen haben, dass auch Behörden sie nutzen. Aber sie können eben nur eine Ergänzung sein und nie ein Ersatz für den unabhängigen und kritischen Journalismus.
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CONTRA: Die Digitalisierung ist gerade eine Chance für den Journalismus. In Aussicht steht ein vielfältigeres journalistisches Angebot mit all seinen positiven Effekten meint Martin Brüning.
Die Landespressekonferenz Niedersachsen (LPK) feiert heute im Landtag ihr 70-jähriges Bestehen und man muss konstatieren, dass die Medienwelt in Niedersachsen noch weitgehend in Ordnung ist. Die großen Regionalzeitungen sind nach wie vor mit Korrespondenten in der Landeshauptstadt vertreten, auch die elektronischen Medien entsenden Vertreter in die LPK, und in der Plenarwoche ist die Pressetribüne, zumindest während der journalistisch interessanteren Tagesordnungspunkte, gut besucht. Das ist inzwischen nicht mehr in allen Bundesländern der Fall, in denen die Landespresse teilweise personell gerupft ist und die Pressetribünen in der Plenarwoche deshalb weitgehend leer bleiben. Die Niedersachsen bekommen auch im Jahr 2017 durch Zeitungen, Hörfunk, Fernsehen und Medien wie das Politikjournal Rundblick ein breites und differenziertes Bild der Landespolitik. Das ist die gute Nachricht.
Natürlich aber zieht die Medienkrise nicht an Niedersachsen vorbei. Es ist eine doppelte Krise, die zum einen gekennzeichnet ist durch den Vertrauensverlust in die etablierten Medien und zum anderen durch Auflagenschwund sowie Hörer- und Zuschauerverluste durch die digitale Transformation. Die Zeitungen auf Papier verlieren Leser an das Internet, mit dem nicht annähernd so viel Geld zu verdienen ist wie mit den alten Modellen. Die Radio- und Fernsehsender kämpfen ebenfalls mit der neuen digitalen Konkurrenz. Und die sozialen Medien führen zusätzlich dazu, dass sich Leser- und Zuschauerströme verändern und neue Medien mit hoher Reichweite entstehen. Das ist allerdings keine schlechte Nachricht.
Die Leser sind nicht weg, sie sind nur woanders. Es ist eine Mär, dass früher alles besser war.
Die Leser sind nicht weg, sie sind nur woanders. Es ist eine Mär, dass früher alles besser war und es wird durch das Internet und soziale Medien nicht weniger, sondern eher mehr gelesen als früher. Zugleich ist es weder historische Realität, dass mehr Köpfe in den Redaktionen automatisch zu einem besseren Journalismus geführt hätten noch ist es ein Automatismus, dass die Digitalisierung automatisch zu weniger Meinungsvielfalt führen wird.
Im Gegenteil: Die Eintrittsschwelle für Journalismus ist durch die neuen digitalen Möglichkeiten niedriger geworden. Guter Journalismus findet heute nicht mehr nur in der Zeitung statt. Man kann ihn auch in einem Blog, einem Podcast und sogar auf Youtube finden. Das beste Beispiel dafür war das Interview junger Youtuber mit der Kanzlerin vor der Bundestagswahl, das deutlich weniger kritisiert wurde als das TV-Duell der etablierten Fernsehsender. Zugegeben: Auch für schlechten Journalismus ist die Eintrittsschwelle heute nicht mehr so hoch. Aber war denn in vordigitalen Zeiten wirklich alles Medien-Gold, was glänzte?
Noch können sich die Verlage zwischen Progressivismus und Konservatismus entscheiden.
Gerade die regionalen Medien täten gut daran, weniger den Verlust der guten alten Zeiten zu beklagen und sich stattdessen mehr auf die neuen Möglichkeiten einzulassen. Dabei sollten sich die Betriebswirte an den Verlagsspitzen nicht immer nur auf neue Finanzierungsvarianten schielen, sondern sich auch einmal wieder mit ihrem Kerngeschäft befassen. Der Journalismus wird sich auf jeden Fall verändern. In diesen Jahren entscheidet sich, ob man Teil dieser Veränderung sein oder von anderen abgehängt wird. Noch können sich die Verlage zwischen Progressivismus und Konservatismus entscheiden.
Sowohl für Verlage als auch für Redakteure könnte manche Veränderung schmerzhaft sein. Das Mehr an Freiheit könnte einhergehen mit einem Verlust an Sicherheit. Dennoch wird es Mutige geben, die vorangehen. Es wird immer Menschen geben, die das schreiben, drehen oder senden, was andere Menschen gerne lesen, sehen oder hören wollen. Ein guter Text muss nicht in einer gedruckten Zeitung stehen.
Bleibt die Vertrauenskrise. Sie stellt für die Medien das größere Problem dar, obwohl es in der Debatte oft kleiner erscheint, weil es schwer in Zahlen zu fassen ist. Auch hier könnte die Digitalisierung zur Lösung des Problems beitragen, denn sie öffnet eine Tür für Macher, die vorher keinen Weg in den Journalismus gefunden haben. Journalismus steht auch deshalb in der Kritik, weil in den Redaktionen zumeist Menschen mit ähnlicher Herkunft, ähnlichen finanziellen Verhältnissen und ähnlichen Grundüberzeugungen zusammenkommen, um dort zu arbeiten und ihre zumindest ähnliche Sicht der Dinge nach außen tragen. Das ist das Gegenteil von Vielfalt. Der Sohn der Hartz IV-Bezieherin oder die Tochter eines Flüchtlings finden sich eher selten in Redaktionen.
Auch das könnte sich durch die digitale Öffnung der Medien ändern. Es droht deshalb gerade nicht der Untergang des Journalismus mit all seinen Auswirkungen auf die Demokratie, in Aussicht steht vielmehr ein vielfältigeres journalistisches Angebot mit all seinen positiven Effekten. Wir haben alle Chancen.
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