Ein breites Bündnis aus Politik, Wirtschaft, Gewerkschaften und Kirchen aus Niedersachsen hat zur Teilnahme an der Europawahl am 9. Juni aufgerufen. „Europa ist ein historischer Fortschritt“, sagte Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), der das pro-europäische Bündnis am Dienstag im Gästehaus der Landesregierung in Hannover versammelt hatte. Der Regierungschef argumentierte für die Stärkung der EU-Institutionen durch eine hohe Wahlbeteiligung sowohl mit den Errungenschaften der Vergangenheit (offene Grenzen) als auch mit den Herausforderungen der Zukunft. Wichtiger werde die Frage der Sicherheit – Weil sprach von „europäischen Verteidigungsanstrengungen“ – und die Migrationspolitik.

Es sei im deutschen Interesse, die Fragen der Migration auf EU-Ebene zu klären, wie es kurz vor Ablauf der Legislaturperiode noch gelungen sei. Auch hinsichtlich der wirtschaftlichen Entwicklung warb Weil für die EU, denn nur wenn die Staaten Europas gemeinsam auftreten, könnten sie die Regeln etwa gegenüber China mitbestimmen. Auf Nachfrage äußerte sich Weil auch zur AfD und meinte, die Partei verfolge noch immer das Ziel, Deutschland aus der EU herauszuführen („Dexit“), was aus seiner Sicht „eine massenhafte Verarmung in Deutschland“ nach sich ziehen würde.

Werben für die Europawahl (v.l.): Kerstin Gäfgen-Track, Thorsten Gröger, Julia Willie Hamburg, Stephan Weil, Volker Müller, Wiebke Osigus, Felix Bernard. | Foto: Kleinwächter

Vize-Ministerpräsidentin Julia Willie Hamburg (Grüne) sprach davon, dass das Konstrukt der EU in diesem Wahlkampf infrage gestellt werde. Insbesondere der russische Angriff auf die Ukraine habe jedoch gezeigt, „wie wichtig eine starke Union ist, die auch Planungssicherheit gibt“. Als Kultusministerin lobte Hamburg das Austauschprogramm Erasmus-Plus, das es jungen Leuten erlaube, in Europa über den Tellerrand zu schauen, sowie die Teilnahme von 580 Schulen an der diesjährigen Juniorwahl. Europaministerin Wiebke Osigus (SPD) pries die EU als Garant für Frieden, Sicherheit und wirtschaftliche Stabilität. Dass in diesem Jahr erstmals 16-Jährige bei der Europawahl ihre Stimmen abgeben dürfen, bezeichnete sie als Brückenschlag von den Aktivitäten auf der Straße hin zu politischer Beteiligung.

Volker Müller, Hauptgeschäftsführer der Unternehmerverbände Niedersachsen (UVN), sprach angesichts der Veränderungen in Asien und den USA davon, dass Europa seine Zukunft selbst in die Hand nehmen sollte – „wir können, dürfen, müssen das!“ Thorsten Gröger von der IG Metall sprach sich gegen eine Sparpolitik aus und forderte eine europäische Investitionsoffensive.

Kerstin Gäfgen-Track, die für die evangelischen Kirchen sprach, betonte, dass Demokratie und gesellschaftlicher Zusammenhalt keine Selbstläufer seien. Sie warnte vor „scheinbar einfachen Lösungen“, vor Nationalismus und Extremismus sowie Parteien, die Ausgrenzung und Abschottung wollten. „Rechtsextreme Parteien sind für Christen nicht wählbar.“ Für Felix Bernard, Leiter des Katholischen Büros Niedersachsen, sei die EU mehr als ein technokratisches Gebilde, Europa lebe von Menschen, die „beseelt“ seien. Die Unabhängigkeit der Justiz dürfe nicht angetastet werden, zudem sei ein Heimatgefühl wichtig: Europa müsse erlebt werden, damit man sich als Europäer fühlen könne.

  • Europaparlament zieht Bilanz: In der vergangenen Woche tagte das Europaparlament ein letztes Mal in dieser Legislaturperiode. Parlamentspräsidentin Roberta Metsola (EVP) erklärte dabei, diese Wahlperiode sei eine schwierige, aber auch eine sehr gute gewesen. Zu den besonderen Herausforderungen zählte sie den Brexit, die Corona-Pandemie sowie den russischen Angriff auf die Ukraine – auf den das Parlament schnell und im Einklang mit den europäischen Werten reagiert habe. Das Presseteam des Parlaments verwies bei einer Pressekonferenz am Montag darauf, dass insgesamt um die 450 Legislativdossiers beschlossen worden seien, 120 weitere Arbeitspakete würden an das nachfolgende Parlament weitergereicht. Die EU kennt weder ein Initiativrecht für das Parlament noch das Prinzip der Diskontinuität, weshalb an den Kommissionsvorschlägen direkt nach der Konstituierung des Parlaments weitergearbeitet werden kann.
  • Brüssel warnt vor Desinformation: Die bevorstehenden Wahlen werden von den EU-Institutionen als heikle Phase wahrgenommen. Verschiedene Mechanismen zur Destabilisierung habe man identifiziert, berichtete Delphine Colard aus dem Presseteam des EU-Parlaments. So würde versucht, die Wahlen als „gestohlen“ darzustellen, Wähler würden unterdrückt oder einzelne Themen von interessierter Seite vereinnahmt – beispielsweise der Krieg in der Ukraine aber auch die Frauenrechte oder die Rechte von queeren Menschen. Das Ziel dieser Aktionen sei es, dass sich die Bürger von der EU abwendeten und nicht zur Wahl gingen. Colard berichtete auch von konkreten Versuchen, die Wahlen zu torpedieren. So seien etwa in Griechenland und Frankreich falsche Informationen zum Wahlprocedere verbreitet worden, in Spanien seien Kugelschreiber mit verschwindender Tinte entdeckt worden und in den Niederlanden werde auch mit gefälschten Umfragen versucht, die Stimmung zu lenken. Als bestes Instrument gegen Desinformation bewertet das EU-Parlament eine bessere Information über die Fakten, die von einer pluralistischen Medienlandschaft verbreitet werden müssen.

In unserem neuen Rundblick-Dossier finden Sie eine Sammlung von Artikeln mit Europa-Bezug. | Foto: Zbynek Pospisil via Getty Images

  • Parlament wirbt für Wahlbeteiligung: Das EU-Parlament startete in dieser Woche in die zweite Phase der Wählermobilisierung. Seit Beginn des Jahres wird mit dem Spruch „Use Your Vote“ („Nutze deine Stimme“) auf den Wahltermin hingewiesen. Jetzt wird dieser Satz ergänzt um einen zweiten Halbsatz: „Or Others Will Decide For You“ („Sonst entscheiden andere über dich“). Begleitet wird diese Plakatkampagne nun auch noch mit Videoaufnahmen, in denen ältere Menschen vermeintlichen Erstwählern erzählen, wie es in Europa vor der EU gewesen ist. Mit den durchaus emotionalen Sequenzen sollen die Errungenschaften der EU (Sicherheit, Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, wirtschaftliche Stabilität) deutlich gemacht werden. Ab dem 7. Mai wird in Deutschland der Wahl-O-Mat der Bundeszentrale für politische Bildung wieder zur Verfügung stehen, und einen Überblick über die Programme der Parteien bieten.