Wer ein Pflegeheim besucht, kann schnell zu dem Eindruck kommen, dass hier nur Frauen leben. „Doch die Männer sind da“, sagt Bodo de Vries, Geschäftsführer des Evangelischen Johanneswerkes in Bielefeld, das Träger zahlreicher Pflegeeinrichtungen ist. „Männer werden immer älter. Aber weil sie eine besonders kurze Verweildauer in den Pflegeheimen haben, fallen sie dort nicht auf.“ Bei Forum „Altenpflege mittendrin“ des Evangelischen Verbandes „Kirche-Wirtschaft-Arbeitswelt“ in Hannover stellte de Vries seine Thesen vor. Der Sozialwissenschaftler kritisiert, dass sich die Politik zu wenig an der Wissenschaft orientiere, um eine alternde Gesellschaft zukunftsfähig aufzustellen. Deswegen akquiriert das Johanneswerk Forschungsmittel und stellt eigene Studien zur Demografie an.

Dreißig Prozent der Bewohner in den Einrichtungen des Johanneswerkes haben einen Partner, der noch lebt und nicht mit ins Pflegeheim gezogen ist. In den meisten Fällen ist das eine Partnerin. Diese Frauen haben ihren Partner so lange zu Hause gepflegt, wie es ging, so dass er nur die allerletzte Phase seines Lebens im Heim verbringt. Dort fungieren die Partnerinnen als „Advokaten“ ihrer Männer und „Kontrolleure“ des Personals, wie de Vries augenzwinkernd sagt. Wer dagegen als Single ins Pflegeheim kommt, lebt statistisch gesehen viel länger dort als eine Person mit Partner. Aus der Sicht der Heimverwaltung, die die knappen Plätze verteilen muss, bedeutet das: „Wer sich entscheidet, einen Single zu pflegen, entscheidet sich damit gegen zwei Bewohner mit Partner.“ Dafür hat Bodo de Vries einen Begriff, der leicht zynisch klingen kann: „Pflege-Triage“.
Zum Problem wird, dass die Zahl der Singles in der Gesellschaft steigt. Demenz beispielsweise kann in einer Partnerschaft noch vom fitten Partner aufgefangen werden. In einem Single-Haushalt wird sie zwangsläufig zum Problem. Das Fazit des Sozialwissenschaftlers dazu fällt drastisch aus: „Wir haben nicht die Ressourcen, um alle Singles zu pflegen. Sie werden das System zum Kollabieren bringen.“ Hinzu kommen die Kosten für die Sozialhilfeträger: Bei derzeit 2400 Euro Eigenanteil monatlich für einen stationären Pflegeplatz sind die Ersparnisse schnell aufgebraucht – gerade bei Witwen, deren Partner vor seinem Tod bereits kostspielige Pflege bekommen hatte. Nach drei Jahren, rechnet de Vries vor, brauchen 95 Prozent der Bewohner Sozialhilfe. Er fordert von der Politik Strategien, um die pflegenden Partner zu stärken und Senioren besser in die Wohnquartiere einzubinden. Ganze Straßenzüge altern derzeit gemeinsam. Eine Durchmischung ist nötig, damit Nachbarschaftshilfe funktionieren kann. „Ich rede nicht davon, dass die Nachbarn beim Toilettengang helfen sollen“, sagt de Vries. „Unterstützung setzt viel früher an.“