Ob „afrikanische Schweinepest“ (ASP) oder Geflügelpest: Besonders der an Nutztieren reiche Nordwesten und Westen Niedersachsens leidet derzeit massiv unter Ausbruchsfällen und deren Folgen. Niedersachsens Agrarministerin Barbara Otte-Kinast (CDU) sucht nun mit gleich mehreren Initiativen die Unterstützung durch die Bundespolitik – im Bundesrat und in der Agrarministerkonferenz. So möchte sie beispielsweise Geflügelhaltern, die stark von der Geflügelpest bedroht sind, den Wechsel der Haltungsverfahren einfacher machen. Dazu strebt sie eine Bundesratsinitiative an, die tierwohlbezogene Bauvorhaben erleichtern soll, erklärte Otte-Kinast gestern in der Sitzung des Agrarausschusses des niedersächsischen Landtags. Der entsprechende Antrag werde derzeit im Umlaufverfahren vom Landeskabinett beschlossen.

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„Langfristig sollten Geflügelproduktionssysteme, die sehr anfällig für die Geflügelpest sind, umstrukturiert werden. So sollte die Umnutzung offener Putenställe zu zwangsbelüfteten Hähnchenställen möglich sein“, sagte die Ministerin. Betriebe mit Putenhaltung seien allerdings in der Regel eher flächenschwach und würden bei einem Umbau und Wechsel des Haltungsverfahrens ihren Privilegierungstatbestand verlieren. „Damit ist ein Umstieg von der Putenhaltung auf die Masthühnerhaltung praktisch nicht möglich“, begründete sie ihr Anliegen. Kurz- und mittelfristig sei es in den betroffenen Landkreisen sinnvoll, die Geflügeldichte zu verringern, sagte Otte-Kinast. In Gebieten mit einer Geflügeldichte von mehr als 500 Stück Geflügel pro Quadratkilometer könne dies bereits jetzt durch ein zeitlich begrenztes Wiederbelegungsverbot für bestimmte Geflügelarten bewirkt werden.

Die Verschnaufpause für die niedersächsische Geflügel-Industrie war in diesem Jahr kurz wie nie. Nur im Mai gab es keine neuen Ausbrüche der Geflügelpest in hiesigen Betrieben. Die neuen Zahlen sind alarmierend: Die Ausmaße der aktuellen „Sommerwelle“ übersteigen schon jetzt jene des Ausbruchsgeschehens im vergangenen Winter. Seit dem 1. Juli waren in Niedersachsen zehn Betriebe betroffen, mehr als 616.000 Tiere mussten getötet werden, wie das Landesagrarministerium erklärte. Die Entschädigungen durch die Tierseuchenkasse für diesen Zeitraum belaufen sich demnach auf bislang 4,9 Millionen Euro. Otte-Kinast ordnete gestern die Lage in einen größeren Kontext ein: „Seit dem Herbst 2020 wird Europa von einem Geflügelpestgeschehen bei Haus- und Wildvögeln in einem teilweise dramatischen Ausmaß heimgesucht.“ Frankreich sei mit über 1800 Fällen seit Oktober 2020 besonders stark betroffen, hunderte Fälle habe es zudem in Polen und Italien gegeben.



Seit Sommer 2021 habe sich nun eine neue Lage ergeben: Das Geflügelpest-Virus H5N1 verschwindet nun offenbar nicht mehr mit den Zugvögeln, stattdessen wird der Erreger inzwischen dauerhaft auch in nordeuropäischen Wildvogelbeständen nachgewiesen. Auch das für Tierseuchen zuständige Friedrich-Loeffler-Institut geht in seiner jüngsten Risikoeinschätzung davon aus, dass das Virus ganzjährig in Europa vorhanden ist. Im Frühjahr seien Tausende von Vögeln an Nord- und Ostsee an einer Infektion gestorben, Küken verhungerten daraufhin in ihren Nestern. Für einige Brutkolonien seien die Einbrüche sogar existenzbedrohend, sagte die Ministerin und konstatierte: „Damit hat das Geflügelpest-Geschehen eine neue, sehr besorgniserregende Qualität angenommen.“ Die nun einsetzende Zugvogelbewegung bereitet der Ministerin zusätzlich Sorgen, da voraussichtlich Jungtiere ohne ausreichenden Immunschutz ins Land kommen werden. Der Druck auf die Betriebe wird dadurch voraussichtlich ebenfalls zunehmen.

Mehr Entschädigung für Gänsehalter?

Von der Geflügelpest sind bislang hauptsächlich Legehennen- und Putenbetriebe betroffen. Aber auch eine Gänsehaltung zählt zu den Leidtragenden. Für diese besonders wertvollen Tiere sei die maximal zugelassene Entschädigung über die Tierseuchenkasse in Höhe von 50 Euro aber viel zu gering, findet Agrarministerin Otte-Kinast. Im September-Plenum des Bundesrates wird deshalb über eine Initiative aus Niedersachsen abgestimmt, die diese Grenze auf 110 Euro anheben soll.

Seuchen-Schlachthof für den ASP-Fall?

Mit einem weiteren Vorstoß auf Bundesebene möchte Otte-Kinast für den Krisenfall eines Ausbruchs der „afrikanischen Schweinepest“ (ASP) vorsorgen. Seit Juli haben die Landkreise Emsland und Grafschaft Bentheim mit den Folgen eines ASP-Ausbruchs in einem Hausschweinebestand zu kämpfen. Weil das gesunde Fleisch der Tiere aus der Restriktionszone keine Abnehmer findet, stauen sich die Tiere in den Ställen. Otte-Kinast möchte ihre Kollegen in der kommenden Woche auf der Agrarminister-Konferenz davon überzeugen, dass ein vom Staat finanzierter Notfall-Schlachthof für derartige Situationen vorgehalten werden soll. Dieser könnte dann verpflichtet werden, zu schlachten, zu verarbeiten und einzufrieren, bis die Vermarktung wieder nachkommt.

Landesgeld für Schweine-Halter?

Zur Unterstützung der von den ASP-Restriktionen betroffenen Landwirte hat die Landesregierung Kühlhäuser angemietet, um das überschüssige Fleisch einzufrieren. Das Land wird eine Billigkeitsleistung gewähren, eine entsprechende Förderrichtlinie wird zeitnah rückwirkend zum 5. Juli in Kraft treten, erklärte Otte-Kinast. Darüber hinaus erhalten die Landwirte, die selbst keine Versicherung abgeschlossen haben, keine Entschädigungsleistung. Die Agrarministerin hat nun angedeutet, dass Betriebe, die unverschuldet in diese Notlage gekommen sind, durchaus über eine Landesförderung Gelder erhalten könnten. Ein Haushaltsbeschluss ist in der laufenden Legislaturperiode aber nicht zu erwarten. Die agrarpolitischen Sprecher Mehrheitsfraktionen drückten allerdings ihre Skepsis aus, weil versicherte Betriebe ungerecht behandelt würden.