31. Aug. 2020 · Soziales

Osnabrücker Amtsarzt: Ausweitung der Corona-Tests ist „reiner Wahnsinn“

Vertreter der kommunalen Gesundheitsämter haben ein teilweise betrübliches Resümee der vergangenen Monate des Corona-Krisenmanagements gezogen. Mehrere Kommunalpolitiker äußerten sich am gestrigen Montag in der Sitzung der Landtags-Enquetekommission zur Gesundheitsversorgung. Der Osnabrücker Amtsarzt Gerhard Bojara übte bei dieser Gelegenheit scharfe Kritik an politischen Forderungen, man möge die bisherigen Corona-Tests ausdehnen und bestimmte Gruppen, etwa Beschäftigte in Kindergärten und Schulen, zwingend einbeziehen. https://www.youtube.com/watch?v=aUkC648la8c Es sei ein „Test-Wahnsinn“, wenn die Politik Forderungen vorantreibe, man möge immer mehr Gruppen regelmäßig auf das Virus testen. Zum einen könnten die Tests auch bisher lediglich anzeigen, wie zum Zeitpunkt des Abstrichs die Infektion aussehe – einen Tag später schon könne es ganz anders sein. Zum anderen führe die Ausweitung der Tests dazu, dass „das System lahmt“ und die Testergebnisse wegen der Labor-Überlastung später eintreffen. Das aber sei „kontraproduktiv“. „Wichtig ist, dass ich bei einem konkreten Anlass, etwa einer Infektion in einem Altenheim, sehr schnell die Mitbewohner testen und die Verbreitung des Virus feststellen kann. Wenn aber zu viele Tests gleichzeitig in den Laboren bearbeitet werden müssen, ist das Ergebnis aus dem Altenheim oft nicht schon am nächsten Tag vorhanden, sondern erst nach einer Woche. Das ist entschieden zu spät“, sagt Bojara. Auch die verstärkten Tests bei Reiserückkehrern, die man gegenwärtig vornehme, führen schon zu Verzögerungen der Arbeit in den Laboren.
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Auch andere Kommunalpolitiker äußerten erhebliche Kritik an den bisherigen Abläufen. Der hannoversche Regionspräsident Hauke Jagau (SPD) rügte die Neigung von Bund und Land, zu viele Vorgaben im Detail festlegen zu wollen. „Weil kein Mitarbeiter etwas falsch machen will, die Regeln aber sehr kompliziert sind und oft sehr kurzfristig erlassen werden, kommt es zu einer Überforderung der Mitarbeiter“, betonte Jagau und riet „zum amerikanischen System“: „Anstatt alles perfekt vorgeben zu wollen, sollten wir zum Verfahren von Versuch und Irrtum übergehen.“ Das bedinge aber, von Bund und Land möglichst wenig vorzugeben und den Kommunen viel mehr Spielraum zu lassen. Wenn man die Vorgaben des Robert-Koch-Instituts zur Quarantäne in Kliniken eins zu eins umgesetzt hätte, meint Jagau, wäre das Krankenhaussystem zusammengebrochen. In der Corona-Zeit hätten die Arztpraxen völlig unterschiedlich reagiert, vor Ostern hätten viele Ärzte ihre Praxen einfach geschlossen und sich verweigert. Der Kontakt zur Kassenärztlichen Vereinigung (KVN) sei nicht immer einfach gewesen. Das berichtete auch Petra Broistedt, Göttinger Sozialdezernentin. Mit der KVN habe man im Göttinger Krisenstab „immer wieder Reibereien“ erlebt. So hätten Ärzte ihre Praxen geschlossen und ins Fenster einen Zettel mit der Handy-Nummer des Gesundheitsamtsleiters gestellt, weil sie Corona-Patienten abweisen wollten. Die KVN habe das Göttinger Angebot, Schutzausrüstung für Arztpraxen zu beschaffen, abgelehnt – dann aber selbst nicht schnell genug gehandelt. Auch die Rufnummer 116-117 habe oft nicht funktioniert, berichteten Broistedt und Jagau übereinstimmend. Broistedt sagte, das Angebot von Arztpraxen mit Corona-Spezialisierung sei in manchen Gegenden, etwa im Harz, nicht ausreichend. Dass die Kommunikation zwischen KVN und Ärzten nicht immer problemlos gelaufen sei, berichtete auch Jutta Dreyer vom Gesundheitsamt in Verden. Nach Angaben des hannoverschen Regionspräsidenten Jagau ist ein großer Mangel auch die fehlende Digitalisierung. So muss die Region Hannover von Flugreisenden, die in Langenhagen landen, die handschriftlich ausgefüllten Rückkehrer-Daten entgegennehmen und an die zuständigen Gesundheitsämter der Heimatkommunen weiterleiten. „Wir haben 35.000 Zettel bekommen, ein Drittel war unleserlich ausgefüllt. Dabei wäre es einfach, wenn die Fluggesellschaften die Daten einschließlich derer, die im Flugzeug vor und hinter einer infizierten Person gesessen haben, elektronisch übermitteln“, sagte Jagau. Problematisch sei auch die Androhung von Bußgeldern für Leute, die sich an Corona-Auflagen nicht halten: „Solche Vorgaben helfen wenig, wenn man gar nicht weiß, wie die Verwaltung die Kontrollen gewährleisten kann.“ Eine Anordnung, die sich nicht vollziehen lasse, wirke nicht stabilisierend sondern destabilisierend, hob Jagau hervor.
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #151.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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