Die immer noch nicht vollständig geklärten Umstände, die zu der fragwürdigen scharfen Kritik des Innenministeriums am Verhalten der Northeimer Polizeiinspektion führten, sind am Donnerstag in einer mehrstündigen Sitzung des Landtags-Innenausschusses erörtert worden. Dabei stand der Referatsleiter für Kriminalitätsbekämpfung im Innenministerium, Dirk Pejril, den Abgeordneten Rede und Antwort. Der FDP-Abgeordnete Marco Genthe wollte wissen, ob die Vorhaltungen an die Adresse der Northeimer Polizeibeamten, sie hätten durch Unterlassen womöglich einen fortgesetzten Kindesmissbrauch begünstigt, vor allem als Vorwand für die spätere Ablösung des Göttinger Polizeipräsidenten Uwe Lührig gedient hätten.

Ende Februar war Lührig von Innenminister Boris Pistorius in den einstweiligen Ruhestand versetzt worden. Im Landtag kursiert der Verdacht, die Kritik an den Polizeibeamten sei von Landespolizeipräsident Axel Brockmann und Pejril aufgebauscht worden, um einen nachvollziehbaren Grund für Lührigs Rauswurf zu schaffen. In Wahrheit aber sei die Kritik unberechtigt, denn die Staatsanwaltschaft Göttingen erklärte Ende März, das Verhalten der Polizisten sei „frei von Fehlern, die strafrechtlich bedeutsam sein könnten“.


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In einer intensiven Befragung meinte Pejril, zu möglichen Verknüpfungen der Vorgänge mit dem Schicksal von Lührig könne er „nichts sagen“. Er wiederholte noch einmal die Darstellung, die er und Brockmann Anfang Februar in einer eilig einberufenen öffentlichen Ausschusssitzung gegeben hatten: Gegen einen 48-jährigen Northeimer, der im Zusammenhang mit dem Missbrauchsskandal im nordrhein-westfälischen Lügde aufgefallen war, hatte das Jugendamt Northeim Vorbehalte geäußert – auch gegenüber der Polizeiinspektion in Northeim. Pejril analysierte das jetzt so wie bereits im Februar, dass nämlich das Jugendamt vielfältige Hinweise bekommen und die Northeimer Polizei gebeten habe, beispielsweise die Handydaten des Northeimers zu überprüfen. Aber die Northeimer Polizei habe sich nur darauf beschränkt, die federführende Ermittlungsgruppe in NRW zu informieren, die wiederum die Staatsanwaltschaft Detmold eingeschaltet habe. „Das ist aber zu wenig gewesen“, betonte Pejril.

Er hätte erwartet, dass die Polizei sich wenigstens beim Northeimer Jugendamt näher informiert oder aber die Göttinger Staatsanwaltschaft auf die Probleme hingewiesen hätte. Unterstützung bekam Pejril im Ausschuss von Ulrich Watermann (SPD), der bei allen beteiligten Behörden eine Nachlässigkeit erkennt: „Jede für sich hat richtig gehandelt, alle zusammen haben falsch gehandelt.“ Schon der leiseste Verdacht auf Kindesmissbrauch hätte mehr Umsicht und Nachforschung der Polizei auslösen müssen, meinte Watermann. Hier sei überhaupt mehr Umsicht gefordert. Genthe widersprach: Er fühle sich von Pejril „nicht tendenzfrei unterrichtet“, denn die spätere Feststellung der Staatsanwaltschaft Göttingen zeige, dass die Northeimer Polizisten korrekt gehandelt hätten. Im Übrigen zweifele er auch Pejrils Darstellung an, dass das Jugendamt Alarm geschlagen habe – denn genau dieses Jugendamt habe ja nicht einmal einen Anlass gesehen, die Kinder aus der Familie zu nehmen.

Innenressort schiebt Justizministerium die Verantwortung zu

Pejril widersprach einerseits dem FDP-Vorwurf, Brockmann und er hätten die Northeimer Polizisten an den Pranger gestellt oder – wie Genthe sagte – „vorverurteilt“. Andererseits räumte er ein, in der Bewertung der Vorgänge habe es zwischen Innenministerium und Polizeidirektion Göttingen seit März 2020 gravierende Meinungsverschiedenheiten gegeben, die Sache sei „eskaliert“. Genthe hakte nach, wieso das Innenministerium denn Abteilungsleiter Thomas Hackner vom Justizministerium eingeschaltet und um ein Gutachten gebeten habe – und wie ein von Hackner formulierter Kernsatz später in den Bericht gekommen sei, den Pejril und Brockmann Anfang Februar 2021 im Innenausschuss vortrugen: „Der mutmaßlich fortgeführte Kindesmissbrauch hätte durch ein anderes Verhalten der Northeimer Polizei möglicherweise verhindert werden können.“

Pejril erklärte nun, dieser Satz „kommt aus dem Bericht des Justizministeriums“. Sven Mirko Damm, Referatsleiter aus dem Justizministerium, wollte zu Details in diesem Fall nur in vertraulicher Sitzung informieren. Da dies aber in der Einladung so nicht vorgesehen war, vertagte der Innenausschuss seine Beratung auf die nächste Woche. Parallel wurde Akteneinsicht beantragt, Unterlagen liegen dem Ausschuss aber noch nicht vor. Uwe Schünemann (CDU) erklärte, nach seiner Einschätzung hätten die Northeimer Polizeibeamten völlig korrekt gehandelt, das Auftreten der Polizeispitze in dieser Frage habe in der Region „erhebliches Unbehagen ausgelöst“.