24. Aug. 2017 · 
Justiz

Niewisch-Lennartz skeptisch wegen neuer Ermittlungsmethoden

Ohne große politische Begleitmusik ist gestern ein Bundesgesetz in Kraft getreten, das sowohl die Strafverfolgung wie auch die Debatte um den Schutz der Privatsphäre massiv beeinflussen dürfte. Der Paragraf 100a der Strafprozessordnung ist dahingehend geändert worden, dass er den Ermittlungsbehörden nun auch erlaubt, bei Tatverdächtigen digitale Kommunikation wie Chatverläufe bei WhatsApp oder Facebook mitzulesen. Niedersachsens Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz (Grüne) begrüßt es zunächst, dass diese Form der Überwachung nun möglich wird. Doch sie übt gleichzeitig scharfe Kritik an einer zweiten Änderung des Gesetzes. Denn diese ermöglicht nicht nur das Eingreifen der Ermittler in eine Unterhaltung, sondern gleich in das ganze Gerät, das von den Überwachten genutzt wird. Die Behörden bekommen dadurch Zugang zu gespeicherten Daten, können Unterhaltungsverläufe mitlesen und sogar Kamera und Mikrofon aktivieren,  ohne dass der Besitzer es bemerkt. „Das ist eine Eingriffsintensität, die das Mitlesen von Chats bei WhatsApp weit übersteigt“, sagt die Justizministerin. Ein solches Gesetz hätte viel intensiver und vor allem länger diskutiert werden müssen, meint sie. Bisher verhinderte die Verschlüsselung von WhatsApp, dass Gespräche abgefangen und ausgewertet werden können. Das neue Gesetz gibt den Ermittlern nun die Möglichkeit, die Nachrichten schon vor dem Versenden zu lesen, indem sie sich in das Gerät des Verdächtigen einhacken. Etwa mit dem sogenannten „Bundestrojaner“. Diesen gibt es aber noch nicht,  weil die Anforderungen per Gesetz sehr streng sind. „Der Trojaner darf nur eine einzige Tür ins System öffnen, nämlich die zu WhatsApp“, sagt Frank Lange, Oberstaatsanwalt in der Verdener Zentralstelle für Cybercrime. Allerdings könne man nie ausschließen, dass der Trojaner auch die Türen zu anderen Programmen und Daten öffne. „Ich finde den Einwand von Staatsanwaltschaft und Polizei nachvollziehbar, dass Telefongespräche abgehört werden dürfen, aber WhatsApp ist bisher tabu“, sagt Justizministerin Niewisch-Lennartz. Deshalb finde sie es legitim, wenn beides gesetzlich erlaubt wird. „Obwohl der gewaltsame Eingriff nicht der Königsweg ist. Es wäre besser, man würde die Anbieter gesetzlich dazu zwingen,  im Ermittlungsfall den Zugriff auf Chatprotokolle zu gewähren.“ Anders sieht es bei der Online-Überwachung aus. „Anders als bei einer Beschlagnahmung dringt man hier heimlich in den Computer ein und bleibt da“, erläutert Niewisch-Lennartz. Das sei in mehrerlei Hinsicht problematisch. „Zum Einen ist da natürlich der Schutz der Privatsphäre. Denn nicht alles, was dort gespeichert ist, ist auch ermittlungsrelevant.“ Zumal es hier nur um Ermittlungen gegen Verdächtige gehe. „Diese Maßnahme würde auch Unschuldige treffen“, sagt Niewisch-Lennartz. Die Kriterien für die Anwendung leiteten sich aus dem Haftbefehl her. Die Ermittler könnten die Online-Überwachung dann beantragen, wenn es gesicherte Beweise gibt, dass der Verdächtige eine schwere Straftat begehen will oder es schon getan hat. Dazu muss es das letzte Mittel sein,  um den Verdächtigen aufspüren oder die Tat aufklären zu können. „Hier beißt sich die Katze aber in den Schwanz“, sagt Staatsanwalt Lange,  „denn wir brauchen die Überwachung ja gerade dafür, um Beweise zu sammeln.“ Er kritisiert zudem die gesetzlich verankerte Auswahl der Straftaten,  bei denen eine Online-Überwachung überhaupt möglich ist. „Als das Bundesverfassungsgericht im vergangenen Jahr zu dem Thema ein Urteil gefällt hat, hat es die Straftaten für Leib und Leben dafür vorgesehen.
Eigentlich soll der Staat Sicherheitslücken schließen und nicht nutzen
Die Bundesregierung hat diesen Katalog nun um Delikte erweitert, bei denen mir nicht ganz klar ist, zu welchem Zweck.“ So sei unter anderem bandenmäßiger Diebstahl aufgeführt, aber nicht der bandenmäßige Onlinebetrug. „Dabei brauchen Einbrecher eher selten einen Computer, während er bei Online-Betrügern zur notwendigen Ausstattung gehört“, sagt Lange. Niewisch-Lennartz ärgert zudem die Rolle, die die Justiz bei der Online-Überwachung spielen soll. „Eigentlich soll der Staat Sicherheitslücken schließen und nicht nutzen.“ Denn wenn die Ermittler durch eine Lücke im System in den Computer eines Verdächtigen einbrechen,  so müssen sie diese Lücke zwangsläufig offen lassen. „Und damit haben auch Kriminelle Zugriffsmöglichkeiten.“ Die Justizministerin bemängelt zudem, dass das Gesetz angeblich „klammheimlich und ohne Diskussion“ verabschiedet worden sei. Mängel und Fehler seien jetzt schon erkennbar.
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #146.
Martin Brüning
AutorMartin Brüning

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