17. Jan. 2023 · Inneres

Niedersachsens Innenminister übernimmt das Verteidigungsressort – wer folgt ihm hier?

Da stehen sie beide nebeneinander vor den Mikrophonen, und sie berichten über ihre Trennung. „Stephan Weil, Olaf Lies und ich sind fast zehn Jahre in der Regierung, das schweißt zusammen“, sagt Boris Pistorius. Bei allen Reibereien, die man so habe, habe doch eine ganz enge Beziehung geherrscht. „Ich verlasse nicht nur den Ministerpräsidenten, sondern auch einen Freund“, fügt der bisherige Innenminister hinzu. Stephan Weil sieht sich gefordert, etwas zu beschwichtigen: „Ganz so ist es ja nicht, ich werde ja auch öfter in Berlin sein.“

"Die Truppe kann sich darauf verlassen, dass ich mich – wann immer es nötig ist – vor sie stellen werde. Ich will die Bundeswehr stark machen für die Zeit, die vor uns liegt", sagt der neue Verteidigungsminister Boris Pistorius. | Foto: Wallbaum

Das sind Szenen eines doch etwas emotionalen Tages in der Landespolitik, der seine Dramatik erst seit dem frühen Morgen entfaltete. Am Vormittag sickerte die Nachricht durch, dass Pistorius neuer Bundesverteidigungsminister werden soll – jener niedersächsische Innenminister, der zwar Mitte 2022 schon für dieses Amt gehandelt worden war, in jüngster Zeit dann aber nicht mehr. War er in den bundesweiten Spekulationen nicht mehr im Rennen, da man ihn schon abgeschrieben hatte? Spätestens seit 2019, dem Rücktritt von Andrea Nahles, hatte Pistorius ziemlich deutlich sein Interesse an einem Wechsel in die Bundespolitik bekundet. Es gab jedoch bisher stets keine Gelegenheit. Jemand anders wurde SPD-Chef, jemand anders übernahm das Bundesinnenministerium nach dem Sieg bei der Bundestagswahl. Pistorius blieb, was er war – und verkündete weiter, er habe „noch sehr viel vor“. So klang er Ende November 2022, bei einem Presseempfang. „Lassen Sie sich überraschen“, sagte er damals zu den Journalisten.

Das klang seltsam. Ob ihm damals schon klar war, dass sein Aufstieg doch noch bevorsteht? Am Montag, sagt Pistorius, habe Olaf Scholz ihn angerufen und gefragt – und er hat nicht gezögert und sofort ja gesagt. Dann ging alles wie am Schnürchen. Aufgeregte Telefonate und Gespräche, ein kurzer Abschied in der überraschten SPD-Landtagsfraktion – und dort stehender Applaus. Pistorius ist gerührt, und nicht nur er. Wieder einmal bestätigt sich jetzt die alte Weisheit der Politik: Man muss seine Absichten klar zeigen und dazu stehen – und man darf sich nicht beleidigt zurückziehen, wenn es nicht sofort etwas wird. Man muss warten können, notfalls auch vier Jahre lang, wie jetzt bei Pistorius. Geduld zahlt sich aus.



Es gibt nun viele Argumente, warum er für das neue Amt tatsächlich eine gute Wahl ist. Stephan Weil brachte einen davon treffend auf den Punkt: „Er hat die Fähigkeit, Autorität und Sicherheit zu vermitteln.“ Tatsächlich kann Pistorius gut mit Polizisten, wirkte nach außen stets als einer, dem Ordnung und Gesetzestreue sehr wichtig sind – ohne jedoch den linken Flügel der SPD zu verprellen. Sein Innenministerium galt als vorbildlich geführt, straff, reaktionsschnell und sicher. Auch verlässlich. Das mag auch mehr am Ministerium als am Minister gelegen haben.

Skandale gab es zwar auch, etwa Lücken in der Überwachung der Islamistenszene vor dem Anschlag der Salafistin Safia S. auf einen Polizisten, oder massive Mängel im Verfassungsschutz, als beispielsweise sensible Daten über einen V-Mann an die Überwachten gerieten, sodass dieser enttarnt wurde. Pistorius schaffte es stets, dass diese Affären nie für ihn selbst zum ernsten Problem wurden. Es mag daran liegen, dass er es verstand, ein vertrautes Team als Schutzschild um sich zu scharen. Oder daran, dass er in der Selbstverteidigung und Außendarstellung brillieren konnte. Man hat das Bild von einem Mann, der immer mit klarem Blick in die Augen des Gegenübers und ohne Umschweife deutliche Positionen von sich gab – auch um den Preis, manchmal zu vereinfachen und zuzuspitzen, zuweilen auch übertrieben zuzuspitzen.

Stephan Weil und Boris Pistorius treten zum Abschied noch einmal gemeinsam vor die Fernsehkameras. | Foto: Wallbaum

Dies alles beschreibt nun tatsächlich „große Schuhe“, die der scheidende Innenminister hinterlässt. Wer wird ihm folgen? Aus dem Umfeld von Weil ist zu hören, dass der Ministerpräsident schon eine klare Vorstellung hat und nun schrittweise, mit der Einweihung und Beteiligung immer weiterer Genossen, eine Basis für breite Zustimmung dafür organisiert. Die Ausgangslage ist jedenfalls nicht rosig, nach zehn Jahren in der Landesregierung ist das Personalreservoir der SPD für Führungsaufgaben doch ausgezehrt. Ein besonderes Problem kommt hinzu: Viele, die als Hoffnungsträger gelten können, sind erst kurze Zeit in ihren jetzigen Ämtern und würden zu früh wechseln. Das gilt etwa für den Braunschweiger Oberbürgermeister Thorsten Kornblum, der lange der Büroleiter von Pistorius war und topfit in der Innenpolitik ist. Erst seit gut einem Jahr arbeitet er als OB. Gleiches gilt für Hannovers Regionspräsidenten Steffen Krach, den viele auch für einen Mann der Zukunft halten.


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SPD-Landtagsfraktionschef Grant Hendrik Tonne hat zwar Führungserfahrung im Kultusressort, genießt Anerkennung und Respekt, doch in seinem derzeitigen Amt gilt er als unverzichtbar. Die noch junge rot-grüne Koalition mit vielen Neulingen unter den Abgeordneten braucht eine starke Fraktionsführung der SPD. Daher lässt sich heute sagen, dass Tonne auf jeden Fall aus dem Kreis der möglichen Nachfolger Pistorius‘ ausscheidet. Wenn man nun in den Kreis der SPD-Landtagsabgeordneten schaut, fallen Sebastian Zinke (Walsrode) und Wiard Siebels (Aurich) auf. Beide könnten das Amt wohl ausfüllen. Doch Siebels stößt nicht auf ungeteilte Zustimmung in der SPD, und Zinke gehört zum kleinen Parteibezirk Nord-Niedersachsen, der mit einem Ministeramt (Daniela Behrens) schon über Gebühr repräsentiert ist.

Boris Pistorius wird Hannover in Richtung Berlin verlassen. Nach zehn Jahren im niedersächsischen Innenministerium geht es für den SPD-Politiker künftig im Bundesverteidigungsministerium weiter. | Foto: Wallbaum

Denkbar wäre ein versierter Kommunalpolitiker als neuer Innenminister, und der Blick fällt auf die Landräte und Oberbürgermeister. Aber die Landräte Matthias Groote (Leer) und Sven Ambrosy (Friesland) sind die einzigen von der SPD, die schon Profil haben – alle anderen sind ähnlich wie Kornblum und Krach noch zu neu im Amt oder drängen sich nicht für höhere Aufgaben auf. Oldenburgs OB Jürgen Krogmann ist ein Lies-Vertrauter und niemand, der sehr gut mit Stephan Weil kann. Und die anderen? Tatsächlich hat es rund um die Kommunalwahl 2021 einen größeren Generationswechsel in kommunalen Führungsämtern gegeben, viele Verwaltungschefs mit Namen und Autorität sind in den Ruhestand gegangen. Man müsste einen von ihnen zurückholen – doch das wäre mit dem Risiko verknüpft, mit dem neuen Innenminister nun gerade kein Signal des Aufbruchs in die Zukunft zu senden.



Ein Import von außen wäre vorstellbar, so kommt der frühere Kommunalabteilungsleiter aus dem Innenministerium, Alexander Götz, durchaus in Betracht. Er ist mit Mitte 40 jung genug, Frische und Tatkraft zu vermitteln. Der Verwaltungswissenschaftler, der früher auch Gutachten zur Verwaltungsstruktur Niedersachsens geschrieben hatte, ist mittlerweile Vize-Hauptgeschäftsführer des Verbandes Kommunaler Unternehmen in Berlin. Kehrt er nach Hannover zurück? Viele in der SPD halten ihn zumindest für ein politisches Schwergewicht seit der Zeit, als er 2015 die Flüchtlingskrise organisatorisch und kommunikativ vorbildlich gemeistert hat. Aber will Götz sich eine so große Verantwortung aufladen?

Wen auch immer Stephan Weil sich als neuen Innenminister wünscht – es dürfte nicht mehr allzu lange dauern, bis der Name feststeht.

Dieser Artikel erschien am 18.1.2023 in Ausgabe #008.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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