22. Jan. 2018 · 
Parteien

Niedersachsen braucht stärkere Minderheitenrechte in der Verfassung

Darum geht es: Als SPD und CDU in Niedersachsen ihr allererstes Sondierungsgespräch beendeten, versprachen Ministerpräsident Stephan Weil und CDU-Chef Bernd Althusmann, sie wollten „die Minderheitenrechte im Landtag stärken“. Nun zeichnet sich ab, dass Sozial- und Christdemokraten eine eigentlich geplante Verfassungsänderung ausbremsen wollen. Dazu ein Kommentar von Klaus Wallbaum. Das parlamentarische Leben, der offen ausgetragene Disput über politische Ziele, hängt zunächst einmal nicht allein von der Opposition ab. In dem Augenblick, als SPD und CDU die neue Landesregierung bildeten, musste den Parteistrategen schon klar sein: Sie müssen eine Balance finden zwischen dem notwendigen Zusammenhalt in politischen Zielen und Absichten einerseits, der erforderlichen Abgrenzung und Verdeutlichung von Unterschieden andererseits. In den ersten 60 Tagen der Großen Koalition klappt das schon ganz gut, der kleine Krach nach dem Bogumil-Gutachten endete auch geräuschlos. Aber wenn es wirklich kritisch werden sollte, wenn die Große Koalition wegen womöglich gravierender Fehlentscheidungen in eigenen Reihen ins Trudeln kommt, dann dürften bei Sozial- und Christdemokraten sofort die Reihen geschlossen werden. Dann geht Disziplin vor Diskussion. Mit anderen Worten: Wenn es ernst wird, braucht Niedersachsen eine starke Opposition, weil sonst keiner Missstände öffentlich aufklären kann oder will. Zunächst war die Hoffnung groß, dass sich Weil und Althusmann schnell an ihr im November gegebenes Versprechen halten und die Rechte der Opposition nachhaltig ausbauen werden. Mittlerweile herrscht Ernüchterung. Es geht um drei zentrale Fragen, die in der Verfassung verankert sind: Erstens die Möglichkeit, einen Untersuchungsausschuss zu bilden, zweitens die Chance, ein Landesgesetz vor dem Staatsgerichtshof auf seine Verfassungsmäßigkeit überprüfen zu lassen – und drittens das Recht, von der Regierung die Vorlage von Akten beantragen zu dürfen. Bisher gilt dafür jeweils die Mindestanzahl von einem Fünftel der Abgeordneten. Da es in Niedersachsen seit der jüngsten Landtagswahl nun eine Regierungsmehrheit von 105 Abgeordneten gegenüber einer Opposition von nur 32 Abgeordneten gibt, würden die drei Oppositionsparteien Grüne, FDP und AfD nur gemeinsam das Quorum für diese Fragen erreichen. Aber so unterschiedlich, wie diese drei Parteien gestrickt sind, ist das kaum zu erwarten. Also war die Überlegung, die Verfassung zu ändern und anstelle des Fünftels ein Sechstel vorzuschreiben. Ein Sechstel wären 23 Stimmen – so viele, wie Grüne und FDP zusammen auf die Waage bringen können. Skeptiker, die in SPD und CDU derzeit den Ton angeben, sehen in einer solchen Verfassungsänderung ein „Geschmäckle“. Man wolle FDP und Grünen nicht zumuten, mit der AfD kooperieren zu müssen - und wolle deshalb die Vorschriften anpassen. Das sei anrüchig, denn Verfassungsänderungen dürften keine aktuellen politischen Bezüge haben – schon gar nicht, um einer politischen Gruppierung wie der AfD einen Dämpfer zu geben. Aber überzeugt diese Argumentation? Nicht wirklich. Es stimmt, Auslöser der Überlegungen zu einer Verfassungsänderung ist die Tatsache, dass die derzeitigen Regierungsfraktionen übermäßig stark sind und die von der Kopfzahl sehr kleine Opposition in drei sehr unterschiedliche, sich ablehnend gegenüberstehende Gruppierungen aufgesplittert ist. Auch wäre das vorgeschlagene Quorum von einem Sechstel sehr gering – in historischen Vergleichen gibt es solch niedrige Hürden kaum. Das alles spricht aber noch nicht gegen die Reform der Verfassung. Eine „Lex AfD“ wäre das wohl nur, wenn man die AfD in ihren Rechten beschneiden würde. Das geschieht hier aber nicht. Auf der anderen Seite steht außerdem das hohe Gut eines funktionierenden parlamentarischen Betriebes. Daraus folgt bei den aktuellen Verhältnissen nun einmal, dass die Opposition gestärkt werden muss – auch in der Weise, dass nicht mehr alle drei kleinen Parteien zur Kooperation gezwungen werden müssen, wenn sie etwas gegen die die Große Koalition ausrichten wollen. Natürlich könnten sich SPD und CDU in einem Vertrag formell verpflichten, den Grünen und der FDP regelmäßig zu helfen, wenn diese Akten vorgelegt bekommen wollen – oder wenn sie noch ein paar Stimmen benötigen, um einen Untersuchungsausschuss durchzusetzen. Aber wer gäbe den Oppositionsparteien die Garantie, dass diese Absprache auch dann noch funktioniert, wenn an diesen Akten das Wohl und Wehe der Regierung hängt oder wenn ein Untersuchungsausschuss zum echten Problem für das Kabinett zu werden droht? Nach Bückeburg gehen und klagen könnten FDP und Grüne im Fall eines Streits kaum, denn laut Verfassung können sie allein eben keine solche parlamentarische Aufarbeitung durchsetzen. Auch die Normenkontrolle, also die Frage, ob ein Landesgesetz überhaupt der Landesverfassung entspricht, könnten FDP und Grüne nach der derzeitigen Verfassung nicht beim Staatsgerichtshof erreichen. Übrigens ist eine Verfassungsänderung auch für SPD und CDU selbst von großem Vorteil. Die Arbeit einer Regierung wird umso besser und genauer, je stärker die Kontrolle der Opposition ist. Anders ausgedrückt: Wollen sich Sozial- und Christdemokraten wirklich auf Dauer vorwerfen lassen, dass sie nur deshalb so regieren wie sie regieren, weil sie ja von der schwachen, weil mit nur wenig Rechten ausgestatteten Opposition nichts befürchten müssen? Weil und Althusmann sollten sich einen Ruck geben – und das Quorum für die Oppositionsrechte in der Verfassung absenken. Aus ihrem wohlverstandenen eigenen Interesse – und aus Achtung vor den Grundsätzen der parlamentarischen Demokratie.   Mail an den Autor dieses Kommentars
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #14.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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