
Sind die Verwaltungen des Landes und der Kommunen in Niedersachsen schon ausreichend auf das digitale Zeitalter eingestellt? Erhebliche Zweifel haben Alexander Zimbehl, der erste Vorsitzende des Niedersächsischen Beamtenbundes (NBB), und der zweite Vorsitzende Peter Specke. Die beiden meinen, dass Niedersachsen sich deutlich mehr anstrengen muss – auch deshalb, weil Nachwuchskräfte heute erwarteten, die modernen Möglichkeiten nutzen zu können. Zimbehl und Specke äußern sich im Interview mit dem Politikjournal Rundblick.
Rundblick: Herr Zimbehl, Herr Specke – wie ist die Verwaltung der Landes- und Kommunalbehörden in Niedersachsen aufgestellt, wenn man sie mit anderen Ländern vergleicht?

Zimbehl: Wir spüren eine wachsende Konkurrenzsituation, und zwar auf mehreren Ebenen gleichzeitig. Alle Ebenen suchen Fachkräfte, und nicht selten erleben wir, dass das Land mit besseren Bedingungen den Kommunen die Bewerber vor der Nase wegschnappt. Noch schlimmer ist es in den Grenzbereichen zu benachbarten Bundesländern, etwa im Kreis Harburg, im Raum Osnabrück oder im Raum Helmstedt. Wir erleben wiederholt, dass Interessenten lieber in den Landesdienst nach NRW, Hamburg oder auch Sachsen-Anhalt wechseln wollen – ganz einfach deshalb, weil die dortigen Angebote als attraktiver empfunden werden. Das liegt vor allem daran, dass die seit Jahren unter dem Stichwort „Weihnachtsgeld“ geführte Debatte immer noch nicht zu einer zufriedenstellenden Lösung gekommen ist. Im Bundesvergleich hat Niedersachsen einen traurigen letzten Platz.
Rundblick: Sie klagen dagegen…
Specke: Ja, die Sache liegt beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Noch ist nicht absehbar, wann dort eine Entscheidung fällt. Was uns Hoffnung macht, ist ein jüngstes Urteil des obersten Verwaltungsgerichts in Hessen. Aus dem geht hervor, dass die gesamte Besoldungstabelle angepasst werden muss. Das ist auch unsere Position im Streit mit dem Finanzministerium in Hannover gewesen. Aber eine Verständigung mit Minister Reinhold Hilbers konnte bisher nicht erzielt werden. Der Minister lehnt die Anpassung der Tabelle, also die Aufbesserung jeder einzelnen Stufe, bisher kompromisslos ab. Das löst bei vielen unserer Mitglieder große Verärgerung aus.
Rundblick: Geht es vor allem um Geld, wenn die Frage aufkommt, wie attraktiv der öffentliche Dienst als Arbeitgeber sein soll?
Zimbehl: Nein, die Situation hat sich gewandelt. Früher, da waren vor allem drei Dinge wichtig für ganz viele, die ihre Zukunft im öffentlichen Dienst gesucht hatten – Arbeitsplatzsicherheit, solides Gehalt und sichere Pension. In Zeiten einer faktischen Vollbeschäftigung zieht das Argument kaum noch – und verlässliche Gehaltszahlungen gibt es in der Privatwirtschaft auch. Wir stellen fest, das gerade viele junge Menschen die Angebote der Arbeitgeber hinterfragen: Kann ich mit dem Notebook arbeiten, oder fehlen moderne Arbeitsmittel? Ist das Büro auch klimatisiert? Wie steht es um die Angebote von mobilem Arbeiten in Kombination mit Tätigkeiten in der Behörde?
Rundblick: Welche Rolle spielt dabei die Flexibilität?
Specke: Eine sehr große. Wir stellen fest, dass der öffentliche Dienst besonders für Frauen immer attraktiver wird, dass wir immer mehr Bewerberinnen im Vergleich zu den Bewerbern haben. Hinzu kommt eine sehr hohe Teilzeitquote. Wir vom Beamtenbund sprechen von ,Teilzeitfalle‘, da viele Frauen anfangs diesen Weg gehen und später dort keinen Ausgang mehr finden. Was wir brauchen, sind intelligente Arbeitszeitmodelle, die es in unterschiedlichen Phasen des Erwerbslebens erlauben, zwischen Teil- und Vollzeit zu wechseln. Zwischen 30 und 40 sind die Menschen oft in der Kindererziehung gefordert, ab 50 dann wieder, um ältere Angehörige zu pflegen. Dazwischen gibt es Zeitabschnitte, in denen man sich stärker auf den Beruf konzentrieren kann. Darauf müsste man stärker Rücksicht nehmen.
Rundblick: Und das alles spielt sich vor einem riesigen Umbruch ab – einer Pensionswelle und einer Digitalisierungswelle. Wie steht es mit diesen Wellen?
Zimbehl: Gegenwärtig sind es die geburtenstarken Jahrgänge, die in den kommenden Jahren in den Ruhestand wechseln, bis 2026 betrifft das 30 Prozent der heutigen Mitarbeiter. Es kommen neue Leute mit anderen Ansprüchen, auch Ansprüchen an die digitale Ausstattung und Funktionsfähigkeit. Und hier gibt es in der realen Welt erhebliche Mängel. Neulich musste ich meinen Elterngeldantrag bearbeiten. Das waren 13 Seiten auf einem pdf-Dokument, das ich am Bildschirm nicht ausfüllen konnte. Ich musste ihn also ausdrucken, per Hand ausfüllen, in einen Briefumschlag stecken und an die Behörde schicken, wo er dort dann von einem Mitarbeiter abgetippt und ins System übertragen wurde. Das sind Zustände, wie sie 2021 eigentlich nicht mehr anzutreffen sein sollten.
Rundblick: Woran liegt das?
Specke: Das sind viele Faktoren, der Datenschutz ist nur einer davon. Ein Problem besteht darin, dass zwar alle von Entbürokratisierung reden, aber beispielsweise im Lebensmittelrecht die bürokratischen Auflagen immer stärker werden. Eine Lebensmittelbehörde hatte bei bestimmen Vorgängen früher zwei Din-A-4-Seiten an Fragebögen auszufüllen, inzwischen sind es zehn. Dann kommt die Schwierigkeit mit den verschiedenen Computersystemen hinzu. Die Kommunen benutzen eine Plattform, die nicht mit der des Landes verzahnt ist – und die Vorgaben des Bundes beziehen sich wieder auf ein drittes System. Hier muss gezielt eine Vereinheitlichung oder zumindest eine Angleichung der Schnittstellen erreicht werden. Ich bin mal gespannt, wie unter solchen Voraussetzungen die geplante Anlage eines Impf-Registers klappen soll.
Rundblick: Eigentlich müsste die Digitalisierung doch zu einer Vereinfachung der Verwaltungsarbeit führen – und in der Folge zu einem geringeren Personalbedarf in den Behörden…
Specke: Viele Politiker denken so. Dahinter steckt aber ein falsches Bild vom öffentlichen Dienst. Die Vorgänge lassen sich nicht aufteilen in Routinetätigkeiten und solche mit höheren Anforderungen. Die allermeisten Mitarbeiter bewegen sich im öffentlichen Raum und haben komplexe Arbeitsabläufe – abgesehen von den wachsenden Kontrollaufgaben. Ich sehe nicht, wie künstliche Intelligenz hier den Menschen ersetzen können soll.

Rundblick: In vielen kleinen Kommunen wird es schwer fallen, geeignete Fachleute für freie Positionen zu finden. Sind hier nicht Pool-Lösungen vorstellbar, auch dergestalt, dass Mitarbeiter größerer Nachbarkommunen hilfsweise Fachaufgaben für kleinere Verwaltungen übernehmen, oder auch dass Landesbedienstete den Kommunen helfen?
Specke: Das mit dem Personalpool hat eine große Schwäche: Wenn ein Mitarbeiter die eigene Behörde verlässt, um woanders anzupacken, wird sein Fehlen spätestens dann bemerkbar, wenn er an seinem eigentlichen Arbeitsort gefordert wird und nicht mehr da ist. Dann kehrt er zurück – und reißt sofort eine Lücke da, wo er ausgeholfen hat. Im Grunde führt also kein Weg daran vorbei, jede Kommune muss selbst in eigene gute Leute investieren.
Rundblick: Noch kurz ein anderes Thema. Die Angriffe auf Amtsträger, seien es Polizisten, Rettungskräfte, Verwaltungsbeamte oder auch ehrenamtliche Kommunalpolitiker, nehmen immer mehr zu. Was hören Sie aus Ihrer Mitgliederschaft dazu?
Zimbehl: Viele unserer Mitglieder erleben heute leider immer öfter, dass ihnen nur sehr wenig Wertschätzung entgegengebracht wird. Die Aggressivität steigt, und die Corona-Krise hat das noch einmal verschärft. Da mischt sich das Unverständnis vieler Bürger gegenüber den gerade aktuellen staatlichen Auflagen, etwa 2Gplus, mit einer allgemein wachsenden Unzufriedenheit. Die Beamten sind dann oft die Blitzableiter, die den Zorn abkriegen. Es darf nicht sein, dass der öffentliche Dienst hier besonders Angriffen ausgesetzt wird. Die Politik ist gefordert zu reagieren.