Nach dem Rücktritt von Hüttemeyer werden die Widersprüche in der CDU Vechta deutlich
Es ist schon merkwürdig: Wenn man einige Jahre zurückschaut, ist die CDU in Vechta stärker als CDU-Verbände in anderen Gegenden aufgefallen durch internen Streit, personelle Probleme oder sogar Abspaltungen. Man könnte das vermutlich, so kurios es klingt, auf die Stärke der Partei zurückführen. Bei der Landtagswahl vor zehn Monaten war der Landtagswahlkreis Vechta mit 46,7 Prozent derjenige mit dem landesweit besten Zweitstimmenresultat für die Christdemokraten. Aber, und das ist eben auch wahr, mit minus 10,7 Prozent lagen die CDU-Verluste im Landesvergleich gegenüber 2017 an zweithöchster Stelle. Man kann also sagen: Vechta bleibt zwar die Hochburg der CDU, allerdings ist es eine schrumpfende Hochburg.
Aktuell steht die Partei vor riesigen Problemen. Der bisherige Landtagsabgeordnete André Hüttemeyer, seit 2020 auch Kreisvorsitzender der CDU, hat am 21. August überraschend alle Ämter niedergelegt. Gegen ihn wird ermittelt, wohl wegen eines Sexualdeliktes. Hüttemeyer bestreitet, rechtswidrig gehandelt zu haben, aber aus der Politik hat er sich zurückgezogen. In Vechta heißt es, diese Nachricht habe viele Mitglieder „vor den Kopf gestoßen“. Die Nachfolgesuche dürfte nicht einfach werden. Zunächst wird offenbar der CDU-Europakandidat Jochen Steinkamp die Führung des Kreisverbandes übernehmen – er gilt als ruhig und besonnen, ist damit ein ganz anderer Typ als der vorwärtstreibende, kämpferische Hüttemeyer.
Aber wird Steinkamp es auf Dauer machen – und gewinnt er die Autorität? Der CDU-Kreisverband Vechta hat rund 3000 Mitglieder, im südoldenburgischen Land ist die CDU die beherrschende Partei. Das ist vergleichbar mit der SPD in der Stadt Hannover oder in Bremen. Während Parteien in einer Minderheitsposition überwiegend Überzeugungstäter als Mitglieder haben und eine große Homogenität aufweisen, ist das Bild in den Hochburgen vielschichtiger. Da sind neben Leuten, die das Programm der CDU gut finden, auch solche, die über die Partei gern ihre Karriere ebnen oder in einflussreiche Positionen gelangen möchten. Viele schielen hier stärker nach der Macht. Das kann eine Ursache dafür sein, dass die Konflikte dann oft erbitterter oder zielstrebiger geführt werden – und dass Akteure gern Seilschaften bilden oder Grüppchen um sich scharen, dass sie „Mehrheiten bauen“, wie es so oft im CDU-Jargon heißt.
Als Hüttemeyer den Kreisvorsitz übernahm, wurde er getragen durch eine starke Gruppe von Jüngeren in der CDU, die über die JU zur Politik gekommen waren. Er folgte auf einen älteren, Dirk Lübbe, der sein Amt aufgegeben hatte. Zuvor war die CDU Vechta bei der Europawahl 2019 unter die 50-Prozent-Marke gerutscht – für die erfolgsverwöhnte Partei ein Alarmzeichen. Vor seiner Wahl kündigte Hüttemeyer an, die CDU müsse frischer, moderner und digitaler werden; sie müsse die Menschen besser erreichen.
Aus dem Kreisverband heißt es, der junge, rhetorische talentierte und kommunikative Mann an der Spitze habe daraufhin in der Partei „eine große Autorität erworben“, er sei zur klare Leitfigur aufgestiegen. Das ist in der CDU Vechta offenbar auch ein Charakteristikum: Wenn jemand vorn steht, der seine Sache gut macht, dann ordnen sich sehr viele in der Partei ihm bereitwillig unter. Das sind offenbar überlieferte, konservative Gewohnheiten, die hier noch verbreiteter sind als in Großstadt-Parteien, in denen vielleicht energischer um den Kurs gestritten wird und die Vorsitzenden häufiger Gegenwind erfahren.
Zu den ungeschriebenen Regeln der CDU Vechta gehört, dass der jeweilige Kreisvorsitzende dann einen Anspruch auf die Landtagskandidatur erheben kann. Das tat Hüttemeyer vor der Landtagswahl 2022 auch, stieß aber auf eine Gegenkandidatin. Die damals 41-jährige Carolin Grieshop, Geschäftsführerin eines Kompetenzzentrums für Ökolandbau, wollte ebenfalls Landtagskandidatin werden. Das Ergebnis fiel dann eher knapp aus für Hüttemeyer, er erreichte 51,9 Prozent – und rückblickend kann auch das als Zeichen dafür gewertet werden, dass die alten Gewohnheiten im CDU-Verband ins Rutschen gekommen waren. Trotz seiner Stärke, die er nach seiner Kür zum Kreisvorsitzenden zeigte, hatte der 33-Jährige keine übergroße Geschlossenheit bei der Wahl zum Landtagskandidaten.
Das ist die Widersprüchlichkeit der CDU Vechta, ausgedrückt beispielsweise in der Person Hüttemeyer: Einerseits ist der Verband in dieser ländlichen, katholisch geprägten Gegend in manchen Fragen weniger fortschrittlich als andere, eher großstädtische Verbände. Die überlieferten Gewohnheiten spielen hier noch eine viel größere Rolle. Doch der Altersdurchschnitt ist in Vechtas CDU eher gering, die Mitgliederzahl groß, in die Partei werden so auch neue Strömungen hineingetragen – und diese erstreiten sich zuweilen, wie bei der Landtagskandidatur, hohe Aufmerksamkeit. Hüttemeyer stand, obwohl ein junger Mann, für die alten CDU-Prinzipien: Autorität des Vorsitzenden, Prägung durch männliche Politiker, Nähe zur herkömmlichen Landwirtschaft und zu konservativen Werten.
Eine wie Grieshop, die mit dem Engagement für den Ökolandbau die Agrarstrukturen und mit ihrer Bewerbung für die Kandidatur die Macht der Männer in Frage stellt, störte die Tradition der Partei – und wurde gleichzeitig stark genug, dass sie beinahe Hüttemeyer hätte schlagen können. Sie, die „verkappte Grüne in der CDU“, drückte offenbar den Wunsch vieler CDU-Mitglieder nach Erneuerung aus. Solche Gegensätze kann man auch an anderen Personen festmachen: Silvia Breher ist CDU-Bundestagsabgeordnete für Cloppenburg und Vechta seit 2017 – eine alleinerziehende Mutter mit modernen Ansichten. Sie moderiert die Diskussionen in der örtlichen CDU gut und genießt großen Respekt, vor allem auch außerhalb der CDU. Gleichzeitig muss auch Breher immer wieder spüren, wie schwer der CDU gerade hier in der Hochburg die Erneuerung fällt, wie langsam sich die Abkehr von alten Machtstrukturen vollzieht.
In der Vergangenheit hat das Ringen in der Vechtaer CDU wiederholt zu Vorkommnissen geführt, die überregional Schlagzeilen erzeugten:
Der Fall Bartels
2004 zerstritt sich die CDU in der Stadt Vechta so stark, dass ein Sozialdemokrat die Bürgermeisterwahl gewann, der frühere Agrarminister Uwe Bartels.
Der Fall Dalinghaus
Einige in der CDU-Ratsfraktion der Stadt Vechta wollten 2018 die Wiederwahl von Bürgermeister Helmut Gels (CDU) verhindern. Das Mittel dazu war das Herausschieben des Wahltermins, damit Gels die Alters-Höchstgrenze für die Kandidatur überschreiten sollte. Das gelang über Abweichler aus der CDU-Ratsfraktion bei einer geheimen Abstimmung im Rat über den Wahltermin. Am Ende stürzte CDU-Ratsfraktionschef Claus Dalinghaus darüber, er spaltete sich gemeinsam mit anderen Getreuen von der alten Fraktion ab und gründete eine neue, die „Vechtaer Christdemokraten“. Bei der Bürgermeisterwahl siegte wieder ein Sozialdemokrat, Kristian Kater. Hier war es ein Machtgerangel unter Männern, das für die CDU Vechta in einem Debakel endete.
Der Fall Gehrold
2018 erkannte der damalige CDU-Kreisvorsitzende Stephan Siemer, dass die Oldenburger CDU nur mit einer weiblichen Kandidatin Chancen auf einen guten Listenplatz zur Europawahl haben würde. Denn etliche altgediente Abgeordnete aus anderen Landesteilen wollten wieder kandidieren. Die Position drei aber, die mit einer Frau zu besetzen wäre, hätte Chancen für die Oldenburger geboten. Doch ein Mann mit Ambitionen, Stefan Gehrold, baute beim Kreisparteitag Mehrheiten gegen Siemers Plan.
Am Ende wurde in Vechta keine Frau nominiert, sondern Gehrold – mit der Konsequenz, dass er erwartungsgemäß bei der Aufstellung der Landesliste auf den aussichtslosen fünften Platz kam und bei der Europawahl scheiterte. Die Nominierung des Europa-Kandidaten beim Kreisparteitag war offenbar auch ein Aufbegehren der Kräfte, denen die Frauenförderung in der CDU suspekt ist. Der Kreisvorsitzende Siemer gab nach dieser Niederlage enttäuscht auf.
Fall „Hüttemeyer“ noch nicht Höhepunkt der Misere?
Das Kuriose ist: Der aktuelle Hüttemeyer-Rückzug muss nicht der Höhepunkt der Misere der Vechtaer CDU gewesen sein, denn es gibt noch weitere Probleme. Wieder steht, wie zuletzt 2018, die Nominierung eines Europakandidaten an. Diesmal ist es noch schwerer als vor fünf Jahren, denn alle drei Abgeordneten, die derzeit für die Niedersachsen-CDU in Brüssel tätig sind, wollen wieder antreten. Ausgerechnet Jochen Steinkamp, der designierte neue Kreisvorsitzende, möchte aber auch gern EU-Abgeordneter werden.
Nach Lage der Dinge müsste er einen Zweikampf gegen den emsländischen EU-Abgeordneten Jens Gieseke gewinnen. Manche in der Oldenburger CDU denken darüber nach, ob nicht an Steinkamps Stelle besser eine Frau hätte aufgestellt werden sollen – dann wäre die Gegenkandidatur zu Gieseke womöglich erfolgversprechender. Doch dafür ist es jetzt zu spät, die Oldenburger CDU hat Steinkamp schon nominiert. Für die CDU Vechta kann das zu einem Problem werden, denn wenn Steinkamp im November bei der Aufstellung der CDU-Europaliste einen schlechten Platz bekäme, was derzeit wahrscheinlich ist, würde sein Start als Kreisvorsitzender davon überschattet werden. Dabei hat die CDU Vechta derzeit einen politischen Erfolg nötiger denn je.
Dieser Artikel erschien am 29.08.2023 in der Ausgabe #146.
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