1. März 2020 · 
Wirtschaft

Müssen die Handelskammern ihre Rücklagen auflösen?

Seit Jahren tobt ein Streit um die Frage, ob die Industrie- und Handelskammern zu Unrecht hohe Rücklagen angehäuft haben. Die Kritiker sagen, dies stehe diesen Einrichtungen, die auf einer Zwangsmitgliedschaft ihrer Mitglieder beruhen, gar nicht zu. Das Eigenkapital müsse vermindert und an die Mitglieder zurückgezahlt werden – womöglich auch über den Weg, für die Zukunft erst einmal auf Beiträge zu verzichten. Die Kammer entgegnen, diese Vorwürfe würden aufgebauscht, tatsächlich seien die früher einmal hohen Rücklagen längst vermindert worden, das Geschäftsgebaren entspreche im vollen Umfang den Anforderungen. Seit ein paar Wochen sorgt ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts dafür, dass diese Debatte neu aufflammt. Die Richter hatten entschieden, dass die IHK Lüneburg-Wolfsburg und die IHK Braunschweig in der Vergangenheit zu hohe Beiträge verlangt und damit unzulässigerweise Rücklagen angehäuft hätten. Daher seien die Beitragsbescheide, auf die sich die Klage bezog, rechtswidrig – bezogen auf die Jahre 2011, 2014 und 2016. Die Urteilsbegründung, die womöglich diese Kammern zu aktuellen Konsequenzen veranlassen müsste, liegt bisher noch nicht vor.
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Der Sprecher der IHK Hannover, Stefan Noort, wies die Vorwürfe des BFFK zurück. Seine Kammer habe bundesweit im Durchschnitt die niedrigsten Beiträge, bereits 2009 sei die Beitragsrückerstattung umgesetzt worden. Schon 2015 habe der Landesrechnungshof der IHK eine straffe und mit kaufmännischer Vorsicht betriebene Haushaltsführung bescheinigt. „Alle Rücklagen der IHK werden nach dem Gebot der Schätzgenauigkeit jährlich neu ermittelt und durch die Vollversammlung festgestellt. Bis heute hat kein Gericht einen Bescheid der IHK Hannover unter Verweis auf die Rücklagen aufgehoben.“ Auch das Kapital der Kammer sei nicht überhöht. Der BFFK instrumentalisiere das Urteil gegen die IHK Braunschweig und Lüneburg-Wolfsburg für „einen Aufruf zu sinnlosen Klagen“ und handle damit „unverantwortlich“. Eine Sprecherin des niedersächsischen Wirtschaftsministeriums, das die Kammeraufsicht ausübt, zeigte sich zurückhaltend. Zunächst müsse man die Urteilsbegründung des Bundesverwaltungsgerichts abwarten, bisher gebe es daher keinen Anlass, von rechtswidrigen Wirtschaftsplänen der IHKen auszugehen.

Bis heute hat kein Gericht einen Bescheid der IHK Hannover unter Verweis auf die Rücklagen aufgehoben.


Doch die Debatte über die Folgen des Urteils geht bereits los. Kai Boeddinghaus, Geschäftsführer des „Bundesverbandes für freie Kammern“ (BFFK) und damit vehementer Gegner von Zwangsmitgliedschaften, sieht als Folge des Ende Januar getroffenen Urteils weitreichende Konsequenzen für mehrere niedersächsische Kammern – auf jeden Fall aber für die IHK Hannover, Braunschweig, Lüneburg-Wolfsburg und Osnabrück. „Ohne Nachtragshaushalte, die das unzulässige Vermögen auflösen, sind alle Beitragsbescheide angreifbar“, erklärte Boeddinghaus im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick. Die Sorge bestehe, so Boeddinghaus, dass die Kammern zunächst einmal gar nicht reagieren und in diesen Wochen Beitragsbescheide verschicken. Dabei vermutet der BFFK hohe Summen an Rücklagen, die nach der Rechtsprechung fragwürdig sein könnten – 3,5 Millionen Euro in Braunschweig, 3,25 Millionen in Lüneburg-Wolfsburg, 3 Millionen in Hannover, und 1,67 Millionen in Osnabrück. In Oldenburg liegt der Fall auch nach Ansicht des BFFK anders, hier soll es Boeddinghaus zufolge Rücklagen von 1,7 Millionen Euro geben.
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #041.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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