Ein untrainiertes Auge erkennt auf den Bildern nur Grau. Schemen in unterschiedlichen Schattierungen, die Gebäude darstellen könnten, Straßen, oder einfach nur unebener Boden. Für die sieben Luftbildauswerter des niedersächsischen Kampfmittelbeseitigungsdienstes (KBD) dagegen sind die Luftaufnahmen von Niedersachsen aus den letzten Jahren des Zweiten Weltkriegs Fenster in eine längst vergangene Wirklichkeit. Nur hier können sie Antworten finden auf eine Frage, die in der Gegenwart wichtig ist: Kann auf einem Grundstück bedenkenlos gebaut werden oder liegt im Erdreich eine Bombe, die mehr als 70 Jahre unbeschadet überstanden hat? Wie gefährlich Blindgänger sind, zeigt sich immer wieder. 2010 starben zwei Sprengmeister und ein Vorarbeiter, als eine Weltkriegsbombe in Göttingen detonierte; gerade, als die Männer mit der Arbeit beginnen wollten.

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Vor dem Unglück hatte der damalige Innenminister vorgehabt, den KBD zu privatisieren, die Planungen war schon abgeschlossen. Doch der öffentliche Druck war nach Göttingen so groß, dass die Privatisierungspläne fallen gelassen wurden. Und der KBD ab 2012 nicht mehr der Polizei, sondern dem Landesamt für Geoinformation und Landesvermessung (LGLN) zugeschlagen wurde. Für den KBD war die Zuordnung ein Glücksfall, denn durch die Techniken und das Wissen des LGLN konnten die Luftbildauswerter ihre Suche nach Bombenblindgängern verbessern – und werden künftig auch nahezu komplett digital arbeiten. Denn beim heutigen Festakt zum 70-jährigen Bestehen des KBD nimmt Innen-Staatssekretär Stephan Manke das neue Kampfmittelinformationssystem Niedersachsen (kurz: Kisni) offiziell in Betrieb.

Lupen und ein scharfes Auge spielen die Hauptrollen

Mehr als 3000 Aufträge zur Blindgänger-Recherche bekommen die Mitarbeiter des KBD jährlich, denn jeder Bauherr ist verpflichtet, vor einem Bauprojekt nachzuweisen, dass im Baugrund keine explosionsfähigen Kampfmittel mehr liegen. Bislang reichen die Bauherren deshalb einen schriftlichen Antrag auf Prüfung des Grundstücks ein. Der Mitarbeiter, der den Antrag auf den Schreibtisch bekommt, verschwindet erst einmal im Archiv und sucht Luftbilder heraus, die das betroffene Grundstück zeigen können. Und dann beginnt ein Puzzlespiel, bei dem Lupen und ein sehr scharfes Auge die Hauptrollen spielen. In etwa einem Drittel der Fälle muss schließlich tatsächlich ein Kampfmittel geräumt werden, Verdachtsmomente gibt es noch mehr.

Doch in der Regel dauert es mehr als drei Monate, bis der KBD dem Antragsteller eine Antwort geben kann. „Fast alle Arbeitsprozesse bei der Luftbildauswertung sind analog“, sagt Thomas Bleicher, Leiter des KBD. Das soll sich jetzt endlich ändern. Denn in den vergangenen zwei Jahren haben Ingenieure des LGLN zusammen mit der Technischen Hochschule Wildau und finanziert vom Innenministerium das Programm Kisni entwickelt. Dadurch werden nun alle Arbeitsschritte, die die Antragstellung betreffen, digital: die Daten werden in einer Datenbank gehalten und in einem Geographischen Informationssystem visuell dargestellt.  Für den gesamten KBD, und insbesondere für die Beschäftigten der Luftbildauswertung ist das ein riesiger Schritt in Richtung Digitalisierung“, sagt Karl-Heinz Bertram, Leiter der Regionaldirektion Hameln-Hannover, dem die Gesamtleitung des Projektes obliegt.

Wie bei einem Daumenkino

Musste ein Luftbildauswerter bisher im Computer- und Papierarchiv genau wissen, wo er nach Bildern zu suchen hatte, die das betroffene Grundstück zeigen, so gibt er künftig nur noch die Adresse ein und das Programm präsentiert ihm alle Bilder, die diese Gegend zeigen. Das wird durch die sogenannte Georeferenzierung möglich. Ein Vermessungsbüro hat rund 120.000 Luftbildaufnahmen, die das Land besitzt, digital mit Koordinaten versehen und dadurch den Orten zugewiesen, die auf den Bildern zu sehen sind. Doch die Georeferenz ermöglicht noch mehr. Sie ordnet die Bilder auf der Raumordnungskarte so an, dass sich ein großes Überblicksbild von der Gegend ergibt. Die Bilder sind nach ihrem Aufnahmedatum geordnet, sodass sich der Luftbildauswerter die Veränderung einer Gegend wie bei einem Daumenkino anschauen kann. „Dann filtern wir erst einmal alle Bilder heraus, die unscharf sind, nicht den Ausschnitt zeigen, den wir brauchen, oder zeitlich vor einem Bombenabwurf aufgenommen wurden“, erklärt Julia Rebke, Leiterin des Teams Luftbildauswertung.

Dreidimensionales Sehen ermöglicht besseren Einblick

Die Suche nach Bombentrichtern, in denen noch nicht explodierte Kampfmittel liegen können, muss weiterhin mit den menschlichen Augen erledigt werden. Doch es gibt digitale Hilfsmittel. „Das System speichert zum Beispiel, wenn ein Gebiet als abgesucht gilt, und zeichnet die Fläche auf dem betroffenen Grundstück ein, bei der eine Überprüfung noch gemacht werden muss“, sagt Rebke. Zudem ermöglicht das System eine digitale, stereoskopische Auswertung der Bilder. Dazu sucht man sich zwei Fotos, die den gleichen Ort aus dem gleichen Blickwinkel zeigen, legt sie übereinander und betrachtet sie durch eine spezielle Brille. „Das ermöglicht ein dreidimensionales Sehen, wodurch man eher erkennt, ob eine Vertiefung im Boden ein Bombentrichter sein kann oder nicht“, sagt Rebke.

Auch Bomben in Wäldern können jetzt gefunden werden

Der KBD hofft, dass durch das neue Programm bald auch noch ganz andere Ansichten zur Blindgängersuche möglich sein werden. „Wir haben das Problem, dass wir nach wie vor nicht in Wälder hineinschauen können“, sagt Bleicher. Eine große, graue Fläche bleibt auch aus der stereoskopischen Sicht eine große graue Fläche. Doch die Landesvermessung hat in den vergangenen drei Jahren die Oberfläche des Landes per Laserscannverfahren abtasten lassen und stellt die Datenberge dem KBD zur Verfügung. Mithilfe verschiedener Messtechniken lassen sich dreidimensionale Modelle von der Erdoberfläche erstellen, um so auch Bombentrichter in dichten Wäldern aufzuspüren. „„Bisher stehen uns die Daten für Einzelfälle zur Verfügung, aber die Integration in die Kisni-Arbeitsprozesse werden wir in diesem Jahr noch nicht abschließen können“, sagt Thomas Stübke, Dezernent für Geodatenmanagement beim LGLN und verantwortlich für die Umsetzung von KISNI. „Das Zeitalter der digitalen Bombensuche öffnet sich erst, da ist noch viel Forschung nötig.

Abgesuchte Gebiete öffentlich machen

Bis dahin aber will der KBD die technischen Möglichkeiten nutzen und die Blindgängersuche auch in der Öffentlichkeit für die Gemeinden und Städte als „Behörden der Gefahrenabwehr“ transparenter machen. „Wir können uns vorstellen, als Internetdienst bekannt zu geben, welche Gebiete von uns bereits abgesucht wurden, wo wir Kampfmittel entschärft haben und in welchen Gebieten wir eine Luftbildauswertung anraten würden“, sagt Stübke. Besonders Energieversorger und Verkehrsunternehmen wie die Deutsche Bahn hätten dafür schon Interesse signalisiert. Ihnen könnte das zusätzliche Wissen die Planung von Trassen oder Leitungen erleichtern. Konkrete Verdachtspunkte für Blindgänger würden aber weiterhin nur dem Antragsteller und den Gemeinden offengelegt. (isc)