Landkreistag: Bundesregierung lässt uns mit Flüchtlingen im Regen stehen
Es war eine Art Krisengipfel, zu dem Innenministerin Daniela Behrens (SPD) am Montag die Spitzen der Kommunalverbände ins Innenministerium gebeten hatte. Künftig werde man sich wöchentlich treffen und die Lage beraten, sagte die Ministerin anschließend. Denn die Situation sei angespannt. Noch im Juli waren es wöchentlich rund 600 neue Flüchtlinge, die in Niedersachsen angekommen sind. „Seit drei bis vier Wochen liegt der Zulauf nun aber bei 1300 bis 1600. Das ist viel, da die Unterbringungsmöglichkeiten erschöpft sind. Wir brauchen daher vom Bund Signale für eine Begrenzung der Zuwanderung“, betonte Behrens. Ihre eigenen, vom Land organisierten Erstaufnahmelager sind erschöpft, neue Möglichkeiten kommen nur schrittweise hinzu. Daher sind nun verstärkt die Kommunen gefordert.
Sven Ambrosy (SPD), Landrat in Friesland und Präsident des Landkreistages, erwähnte einen „wichtigen Unterschied zur Situation während der Flüchtlingskrise 2015“: „Damals hat der Bund den Kommunen die finanzielle Belastung abgenommen. Heute stellt der Bund die Kommunen nicht von den Kosten frei – und das gefährdet den sozialen Frieden im Lande.“ In Berlin müsse sich „dringend etwas tun“.
Am 1. Oktober wird nun zunächst die Verteilquote für neue Flüchtlinge erhöht. Das heißt, mehr Menschen als bisher werden vom Land Niedersachsen an die Kommunen überstellt – ein Grund dafür ist auch, dass kurzfristig 3000 Plätze für das Landes-Aufnahmelager auf dem Messegelände in Hannover kompensiert werden müssen, da die Messe die Räumlichkeiten jetzt selbst braucht. Vor allem jene Kreise und kreisfreien Städte, die bisher gemessen an ihrer Einwohnerzahl unterdurchschnittlich betroffen waren, müssen nun mehr Flüchtlinge beherbergen.
Eine einzige Ausnahme gibt es: Die Stadt Salzgitter wird derzeit verschont, da sie in den vergangenen Jahren ein besonders starker Zuzugsort für Asylbewerber war und daher jetzt immer noch vor gewaltige Integrationsaufgaben gestellt ist. Behrens räumte ein, dass die Lage für alle Kommunen besonders schwer wird: „Anders als 2015 haben wir heute keinen Wohnungsmarkt, der noch aufnahmefähig wäre. Außerdem sind in Niedersachsen heute 260.000 Flüchtlinge, die integriert werden müssen – das waren 2015 nur 50.000.“
Man merke in der Bevölkerung eine „schwindende Akzeptanz, auch bei den ehrenamtlichen Kräften, die helfen sollen“, fügte Behrens hinzu. Die Ministerin formulierte konkrete Erwartungen an die Ampel-Koalition in Berlin: „Ich erwarte, dass die Ost-Route der Flüchtlingsströme geschlossen wird und dass die Balkan-Route ernsthaft überprüft wird. Ich erwarte, dass osteuropäische Länder die Flüchtlinge aufnehmen und nicht nach Deutschland weiterleiten. Und ich erwarte Grenzkontrollen und Schleierfahndung an den Grenzen zu Polen und zu Tschechien.“ Das Grundrecht auf Asyl für politisch Verfolgte sei „unantastbar“, aber Behrens betonte im nächsten Satz: „Es darf aber nicht ausgehöhlt werden.“
„Es muss eine Art von Begrenzung her, sonst schaffen wir das nicht.“
Frank Klingebiel als Präsident des Niedersächsischen Städtetages (NST) betonte: „Der Bund und mehrere europäische Staaten machen sich einen schlanken Fuß, das ist nicht länger hinnehmbar.“ Marco Trips vom Städte- und Gemeindebund sagte: „Es muss eine Art von Begrenzung her, sonst schaffen wir das nicht.“ Der Kanzler halte sich zurück, die im Landtagswahlkampf befindliche Bundesinnenministerin „äußert sich mal so und mal so“. Behrens meinte, das Land werde jetzt schon winterfeste Zelte anschaffen, denn bis zum Winter rechne man mit einem vermutlich noch stärkeren Zustrom.
Wie aus den Gesprächen zwischen Ministerin und Kommunalvertretern verlautete, hat eine einmütige Beurteilung der Lage vorgeherrscht – mit sehr strengen Erwartungen Richtung Bundesregierung. Bemängelt wird auch, dass sich das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sehr schwer tue mit raschen Entscheidungen über die Berechtigung eines Asylantrags. Die Behörde schaffe 300 Anhörungen in der Woche, es müssten aber eigentlich 600 sein. Vor allem aus der Türkei, Afghanistan, Syrien, dem Irak und Kolumbien kommen derzeit viele Asylbewerber – wobei die Anerkennungsquote aus Kolumbien minimal ist. Was die Ukrainer angeht, wird teilweise kritisch deren Sonderstellung kritisiert. Sie bekommen als Kriegsflüchtlinge Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch, damit höhere als für Asylbewerber.
Dieser Artikel erschien am 26.09.2023 in der Ausgabe #166.
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