15. Okt. 2025 · 
TagesKolumne

Mit Dada gegen die da oben

Die Blätter fallen wie von weit, schreiben wir am Anfang einer Kolumne, die mit Poesie gegen die Solastalgie kämpft, weil am Ende keiner mehr eine Straße baut, der noch keine hat.

In diesem Herbst fallen in Hannover nicht nur die Blätter, sondern gleich die ganzen Bäume. Die Rodung in der Leinemasch schreitet voran. Auch Anna Piquardt kann daran nichts mehr ändern. Sie hat es versucht, nach Kräften. Zuletzt hat sie sogar einen Baum „besetzt“, wie berichtet wird.

Wochenlang demonstrierte sie mit weiteren Unterstützern vorm Verkehrsministerium. Sie schrieben Briefe und Mails. Standen vorm Landtag. Banden Spruchbänder um Baumstämme. Verteilten Flugblätter. Feierten Familienfeste. Veranstalteten eine Dauermahnwache. Als alle Bäume noch standen, besetzten sie sogar die Masch.

Jeder Baum zählt: Spruchband auf Borke, Herbst 2025, Hannah-Arendt-Platz. | Foto: Kleinwächter

All das bewegte wenig. Doch die Rodung der Bäume bewegt sie noch immer. Wie sehr, lässt diese bemerkenswerte emotional-politische Expression wohl nur erahnen. Schon im Sommer des vergangenen Jahres versuchte Protest-Initiatorin Piquardt, die Rodungen am Südschnellweg mit einem dadaistischen Gedicht zu verarbeiten.

Aufschrei / au weh / Aufruf / tut das weh / die Leere, der schmale Streifen / ein großer Tod / vieler, vieler unzählbarer Lebewesen / die Leinemasch war besetzt / ist besetzt / ist Lebensraum / zerfetzter Trassenwald / wo sind die Leineschutzbäume / meine Freundinnen? / nicht mehr da …

In der vergangenen Woche erreichte mich das Video zu diesem Gedicht per Mail. Außerdem in meinem Postfach: Eine Mitteilung zu einer Studie. „Befragung zeigt: Rodung am Südschnellweg in Hannover verursacht seelische Belastung – Strafanzeige ist erstattet.“ Die Diplom-Psychologin Nadja Hirsch aus München erklärt das Phänomen der Solastalgie – das Gefühl von Schmerz, Trauer und Entfremdung, das entstehe, wenn sich vertraute Umwelt stark und unwiederbringlich verändert.

Anna Piquardt lässt nicht locker. Mit Dada, Solastalgie und Baumbesetzung kämpft sie gegen „die da oben“ in Hannover und Berlin. Doch Politik und Poesie passen am Ende nicht zueinander. Jeder Protest muss irgendwann ins Parlamentarische übersetzt werden. Sonst prallt er einfach ab. Ungehört. Unerhört.

Unsere Themen heute:

  • Polizeigesetz: Rot-Grün greift einen alten Plan wieder auf und will das Gesetz zweiteilen. Die elektronische Fußfessel für Täter der häuslichen Gewalt soll vorzeitig eingeführt werden.


  • Wissenschaft: Forschungseinrichtungen werden attackiert, seien aber auch eine Stütze der Verteidigungsfähigkeit, meint Minister Mohrs. Die CDU fragt sich: Sehen die Grünen das auch so?


  • Kommentar: SPD und Grüne wollen die Zahl der Landtagswahlkreise von 87 auf 90 erhöhen. Das Modell erregt Widerstand – und verstößt auch gegen die Vorgaben des Staatsgerichtshofs.


  • Personen und Positionen: Thomas Spieker, Holger Bormann, Jens Steinhoff

tumba ba - umf / kusagauma / ba - umf

Ihr Niklas Kleinwächter

Dieser Artikel erschien in Ausgabe #181.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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