30. Juni 2018 · 
Bildung

Mehr Nachdenklichkeit als Provokation: das neue Leben der Margot Käßmann

Das Manuskript für ihr nächstes Buch hat sie schon abgegeben, wir dürften also gespannt sein auf das Erscheinungsdatum. „Schöne Aussichten“ lautet der Titel, und das Werk handelt vom Älterwerden, so viel hat sie schon verraten. Kämpferisch wirkt diese Ankündigung nun nicht gerade. Margot Käßmann, einst streitbare Landesbischöfin, aufrüttelnde und immer wieder provozierende Predigerin, ist ruhiger geworden, bescheidener. Sie tritt nicht mehr so fordernd auf, sondern milde. Vielleicht würde sie sagen: altersmilde. 60 Jahre ist sie nun seit ein paar Wochen alt, und ihr neues Buch kreist angeblich auch um die letzte Arbeits- und Lebensphase. Auch die Predigt, die Käßmann am Sonnabend in der vollbesetzten Marktkirche in Hannover gehalten hat, beleuchtete das Älterwerden. Oder anders ausgedrückt: Es behandelte die Frage, was in einem vorgeht, wenn man am Ende seines beruflichen Schaffens steht, sich zurückzieht und die Aufgaben allmählich an Jüngere abgibt. Wie wird man damit fertig?

Der Gedanke muss Margot Käßmann sehr beschäftigen. Dabei hat sie, streng genommen, den Schritt von der ersten in die zweite Reihe schon lange hinter sich. Es kam schlagartig, als sie vor gut acht Jahren quasi aus heiterem Himmel ihre Ämter als Landesbischöfin in Hannover und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) niederlegte. Damals geschah das nach einer Verfehlung, einer Trunkenheitsfahrt. Plötzlich war sie herausgerissen aus dem Stress des großen öffentlichen Amtes, aus dem Getriebe von Terminen, Interviews, effektheischender Aufmerksamkeit. Ein sehr tiefer Absturz blieb ihr allerdings erspart, sie konnte weiter für die Kirche aktiv sein, arbeitete als Botschafterin für das Jubiläum des Reformationstages 2017 und fand immer wieder ein riesiges interessiertes Publikum, wenn sie in einem Gottesdienst oder in Podiumsdiskussionen sprach. Irgendwie ist Käßmann immer populär geblieben. Es war die zweite Reihe, in der sie sich in den vergangenen acht Jahren bewegte. Und nun, mit Erreichen ihres 60. Lebensjahres, kommt ein weiterer Rückzug – der von der zweiten in die dritte Reihe.

Am Sonnabend ist Käßmann offiziell „entpflichtet“ worden. Das heißt, sie wird dann nicht mehr als offizielle Predigerin in der Landeskirche geführt, darf aber als Pastorin weiter taufen, trauen, beerdigen und Gottesdienste abhalten, denn diese Rechte gelten lebenslang. Nun ist es bei Käßmann so, dass man sich bei ihr den „Ruhestand“ gar nicht richtig vorstellen kann, denn natürlich treibt sie immer noch das Weltgeschehen um, als zutiefst politische Frau kann sie gar nicht aufhören, sich ständig auf irgendeine Art einzumischen – und sei es nur als Buchautorin. „Das Bücherschreiben macht mir Spaß. Hoffentlich gibt es noch genügend Leute, die Bücher lesen wollen“, sagt sie. Da klingt nun auch ein wenig Skepsis durch, wie sie überhaupt die Entschlossenheit und Klarheit mancher ihrer früheren Aussagen vermissen lässt. Käßmann ist abwägender geworden, vielleicht auch grübelnder.

Was sie an der aktuellen Politik stört? „Wir reden über Flüchtlinge derzeit nur noch als Problem und verlieren das Schicksal dieser Menschen aus dem Blick. Außerdem wird über viele andere Sorgen gar nicht geredet. Über die Pflege, die Kinderbetreuung und den Wohnungsmangel etwa.“ Und was sie aktuell in ihrer Kirche vermisst? „Die Kirche muss sich weiter einmischen, sie muss politisch sein. Wenn Jesus in der Bergpredigt sagt: , Selig sind die, die Frieden stiften‘, dann ist das ein Auftrag, sich dafür auch aktiv einzusetzen.“ Käßmann jedenfalls hat sich in ihrer aktiven Zeit immer eingesetzt. 1999 wurde sie zur Landesbischöfin gewählt, zu einer Zeit, als dieses Amt für eine Frau noch gar nicht vorgesehen war. Ob Homosexualität in der Kirche, der Umgang mit geschiedenen Pastoren oder die Öffnung für neue Themen – Käßmann erstritt, ja erkämpfte oft Veränderungen. Sie eckte auch an, etwa mit ihrer Kritik an internationalen Militäreinsätzen der Bundeswehr in Afghanistan zu Weihnachten 2009, die in dem Satz gipfelte: „Nichts ist gut in Afghanistan“. Ihre Anhänger schätzten, dass sie sich vor keinem Konflikt und keiner politischen Debatte fürchtete, ihre Kritiker meinten, sie politisiere zu stark und beachte dabei gegebene Grenzen nicht, inszeniere sich gar zur politischen Kämpferin, was einer Bischöfin nicht zustehe. Immerhin waren die Gottesdienste zu Weihnachten in der hannoverschen Marktkirche, zu denen Käßmann predigte, immer überfüllt. Sie war in ihrer Bischofszeit zuweilen wie ein Popstar der Kirche. Keiner ihrer Vorgänger und Nachfolger in den höchsten Kirchenämtern hatte je eine solche Wirkung entfaltet.

Und heute? In ihrer Abschiedspredigt hat sie das Bild von Mose zitiert, der sich auf den Ruhestand und auch auf den Tod vorbereitet und die Aufgaben in die Hände von Josua überträgt. „Seid getrost und unverzagt!“ hatte Mose seinem Volk als Botschaft hinterlassen. Er habe nicht mit dem eigenen Abgang gehadert, sich nicht für unersetzlich gehalten, für einzigartig oder besonders originell. Er habe zu eigenen Schwächen, Fehlern und erlebten Rückschlägen gestanden – und trotzdem die Hoffnung und Zuversicht nie verloren. „Wir brauchen solche Visionen für eine bessere Zukunft“, sagt Käßmann, „ohne sie können wir gar nicht leben“. Und sie leitet daraus ab, dass man sich beständig für eine bessere Welt einsetzen müsse – „allen Schlechtrednern, Miesmachern, Gewaltandrohern, Rassisten, Menschenrechtsverächtern und Freiheitsfeinden zum Trotz“. (kw)

Dieser Artikel erschien in Ausgabe #123.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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