Lindner fordert Abschied von „Stechuhr-Mentalität“
Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner hat scharfe Kritik an den neuen Vorschlägen von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) für ein Gesetz zur Stärkung der Heimarbeit geübt. Der Plan, eine Höchstarbeitszeit für berufliche Tätigkeiten in den privaten Räumen der Mitarbeiter einzuführen, weise in die falsche Richtung. „Wir brauchen den Abschied von der alten Stechuhr-Mentalität. Heil aber will die Stechuhr für zuhause verpflichtend einführen. Das lehne ich vehement ab“, sagte Lindner bei einer Veranstaltung des Wirtschaftsrates in Hannover.
Der Wirtschaftsrat wird CDU-nah genannt, trägt die CDU sogar im Namen, ist aber, wie Landesgeschäftsführer Dirk Abeling sagte, „parteiunabhängig“. Lindner skizzierte als Gastredner der Vereinigung in Hannover seine Vorstellungen von einer Veränderung der Gesellschaft nach der Corona-Krise.
Pandemie offenbarte „Flexibilitätsreserven“
Dabei hob der FDP-Vorsitzende hervor, dass sich mit der Pandemie in der deutschen Gesellschaft „enorme Flexibilitätsreserven“ gezeigt hätten. Zwar komme es vor, dass Menschen in Supermärkten ihren Nebenmann unfreundlich anmeckern, wenn bei denen die Maske verrutscht ist, manche würden in solchen Situationen „ihren inneren Hilfssheriff entdecken“. Die überwiegende Zahl der Bürger aber zeige ihre Hilfsbereitschaft für Ältere, ihre Rücksichtnahme und ihr Verständnis für teilweise weitgehende Grundrechtsbeschränkungen. Auch der plötzliche Umschwung zu wesentlich mehr Heimarbeit ist aus Lindners Sicht eine positive Entwicklung, zumal in den geltenden Vorschriften „der Arbeitgeber sogar den Neigungswinkel der Bürolampe, die ein Mitarbeiter zuhause für Heimarbeit nutzt, bestimmen muss“.
Aus Sicht des FDP-Vorsitzenden komme es nun aber darauf an, die richtigen Lehren zu ziehen. Nicht mehr Regulierung, wie von Heil geplant, sondern mehr Freiraum zur Flexibilität sei etwa bei einer dauerhaften Stärkung der Heimarbeit nötig. Die staatliche Verwaltung brauche zudem einen Schub an Digitalisierung und Technisierung. Es sei unmöglich, dass in der Krise die Gesundheitsämter noch darauf angewiesen seien, für den schnellen Datenaustausch untereinander ein Fax-Gerät nutzen zu müssen.
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Das Lieferkettengesetz, das dem Händler eine Mitverantwortung für die Herstellung von Vorprodukten zuordnet, sei ein Ausbund an „Bürokratismus“. Lindner hält es zudem für einen Fehler, die Kurzarbeiterregelung bis Ende 2021, also die Zeit nach der Bundestagswahl, zu verlängern. Das geschehe offenbar in der Absicht, ein Firmensterben auf die Zeit nach dem Wahlkampf zu verlagern. Bis März 2021, meint der FDP-Chef, wäre das richtiger gewesen, man dürfe die Existenz kranker Firmen nicht zu sehr künstlich verlängern. Er schlage daher vor, dass die Firmen den steuerlichen Verlust 2020 mit Gewinnen 2018 und 2019 verrechnen können. In einem solchen Fall profitierten nur Betriebe, die vor Ausbruch der Corona-Krise noch eine reelle Fortführungsperspektive hatten.
Lindner gegen EU-Klimaziele
Kritisch beleuchtet Lindner die aus seiner Sicht übereifrigen Pläne zur Kohlendioxidreduktion in der EU-Kommission. Eine rot-grüne, von der EU-Kommission gestützte Politik bedeute eine Auflage für Deutschland, in sieben Jahren 70 Prozent einzusparen. „Kommt das so, dann kann Salzgitter-Stahl seine Produktion einstellen und die Chinesen nehmen den Platz auf dem Weltmarkt ein“, meint Lindner. Wichtiger sei es aus seiner Sicht, die Wasserstofftechnologie zu stärken und hier auch über Transportwege von Süd- nach Nordeuropa nachzudenken. Die Photovoltaik-Produktion in Italien zu verstärken, wäre eine sinnvolle Verwendung der hohen Kredite, die die EU jetzt aufnehme – „das ist besser, als mit dem Geld der EU einfach nur die Schulden aus der Berlusconi-Zeit abzubezahlen“.
In einer anschließenden Diskussion auf dem Forum des Wirtschaftsrates widersprach Lindner dem Unternehmer Sebastian Koeppel (Beckers Bester), der kritisch zum Wachstumsdenken und zu den globalen Warenkreisläufen steht und für eine strikte Dezentralisierung eintritt. „Ohne Wachstum kommen wir nicht aus“, betonte Lindner, „sonst können wir keinem Flüchtling, der hier herkommt und an unserem Wirtschaftsleben teilhaben will, eine Perspektive bieten.“