Lange und Lies setzen auf Tempo und Freihandel statt auf Subventionen
Der internationale Handel befindet sich im Umbruch. „Die Vorstellung einer globalen Welt mit offenen Grenzen, die in den 2000ern geherrscht hat, das war ein Traum, eine Illusion“, sagt Bernd Lange. Der Vorsitzende des Handelsausschusses im Europaparlament beobachtet vielmehr eine „fragmentierte Globalisierung“, in der viele unterschiedliche Einzelinteressen aufeinanderprallen.
Seit der Corona-Pandemie habe es im weltweiten Handel rund 150 protektionistische Maßnahmen gegeben, berichtet der EU-Parlamentarier aus Hannover. Insbesondere China setze Handel immer häufiger als Waffe ein und strafe unbequeme Staaten wie Litauen oder Australien mit Sanktionen. Auf der anderen Seite der Erde förderten die USA mit dem Inflation-Reduction-Act (IRA) ihre heimische Wirtschaft ohne Rücksicht auf Verluste auch bei ihren Verbündeten. Der US-Bundesstaat Texas etwa rufe derzeit bei vielen europäischen Firmen an, um aktiv für eine Ansiedlung zu werben. Die Amerikaner würden mit viel Fördergeldern, weniger Bürokratie und niedrigeren Energiepreisen locken.
„Friend-Shoring“ nennen die Amerikaner ihre neue Außenhandelsstrategie, bei der das Element der Freundschaft allerdings etwas in den Hintergrund gerät. „Eigentlich müsste man sagen: Mit den guten und vertrauenswürdigen Partnern arbeite ich so zusammen, dass ich ihnen nicht den Markt wegnehme“, merkt der niedersächsische Wirtschaftsminister Olaf Lies beim Diskussionsabend mit dem Titel „Friend-Shoring – Zukunftsmodell der globalen Wirtschaft?“ kritisch an.
„Unsere Antwort auf ‚America first‘ kann nicht ‚Europe first‘ sein.“
Bernd Lange, EU-Handelsausschuss-Vorsitzender
In einem sind sich SPD-Politiker und Wirtschaftsvertreter an diesem Abend einig: Europa muss sich etwas einfallen lassen. „Dass man nur mit Freunden Handel treibt – das wird nicht funktionieren“, sagt Moderatorin Prof. Christiane Lemke von der Leibniz-Universität und stellt damit das Prinzip des „Friend-Shoring“ infrage. Diese Aussage bleibt unwidersprochen. Auch Lies und Lange wollen sich bei der Wahl der europäischen Handelspartner keine zu engen Grenzen setzen.
„Wir kennen in Deutschland nur ganz oder gar nicht, aber das wird nicht funktionieren“, stellt der Wirtschaftsminister klar und fordert eine Diversifizierung des Außenhandels. „Wir brauchen ein Europa, das in sich geschlossen agiert und Freihandelsabkommen schließt“, sagt Lies. Bei der Wahl der Handelspartner müssten zwar Standards bei Nachhaltigkeit und Menschenrechten gelten, an der Strategie des „Wandels durch Annäherung“ hält der SPD-Politiker aber weiterhin fest. Globalisierung und Vernetzung würden einen wichtigen Beitrag zur Friedenssicherung leisten. Protektionismus ist auch mit Lange nicht zu machen. „Unsere Antwort auf ‚America first‘ kann nicht ‚Europe first‘ sein“, sagt der EU-Politiker.
Republik im Süden Amerikas könnte interessanter Handelspartner für EU sein
Statt „Europe first“ fordert er ein schnelles Europa: „Europe fast!“ Das habe allein schon pragmatische Gründe. „Wir werden nicht in einen Subventionswettkampf einsteigen und ihn auch nicht gewinnen können, wenn wir uns die finanziellen Möglichkeiten der USA anschauen“, stellt Lange klar. Zudem sei der europäische Handel stark diversifiziert und für die Wirtschaft ganz besonders wichtig: Ein Drittel der Wertschöpfung werde durch den Im- und Export von Waren erzeugt.
Auch angesichts der hohen Abhängigkeit von Rohstoffen sei Protektionismus der falsche Weg für Europa. Schon jetzt habe die EU insgesamt 50 Handelsabkommen mit 70 Ländern geschlossen, diesen Trend will er fortsetzen. Noch in diesem Jahr sollen Freihandelsabkommen mit Neuseeland, Australien, Mexiko und Chile folgen.
Die Republik ganz im Süden Südamerikas sei etwa nicht nur aufgrund seiner Rohstoffvorkommen wie Lithium und Kupfer ein interessanter Handelspartner, sondern auch wegen der günstigen Voraussetzungen für die Produktion von grünem Wasserstoff. Chile habe sowohl sonnenreiche Wüsten wie auch mit dem Kap Hoorn eine windreiche Küste. Weiterhin würden Verhandlungen mit Indonesien und Indien laufen, wobei Lange nur mit dem Inselstaat eine baldige Einigung erwartet. „Indien ist schwierig“, sagt er.
Neues EU-Gesetz soll „unlautere Subventionen“ verhindern
Außerdem tritt Lange für eine Reform der Welthandelsorganisation (WTO) ein, deren Rolle als Streitschlichter bei den Themen Industriepolitik, Nachhaltigkeit und insbesondere Subventionierung er gerne stärken würde. Gleichzeitig kündigt er ein neues EU-Gesetz an, dass verhindern soll, dass öffentliche Aufträge an Unternehmen vergeben werden können, sobald „unlautere Subventionen“ im Spiel sind. So sollen ähnliche Fälle wie der Bau der Brücke auf die kroatische Halbinsel Peljesac verhindert werden, bei der ein chinesischer Staatskonzern die europäischen Bieter ausgestochen hatte. Das Megaprojekt, das über eine halbe Milliarde Euro gekostet hat, wurde mit 357 Millionen Euro von der EU gefördert.
Den Einwand, dass die EU nicht gerade für ihre Geschwindigkeit bekannt ist und im Gegensatz zu China und den USA selten mit einer Stimme auftrete, weist Lange zurück. „Wenn der politische Wille da ist, ist auch der Weg da“, betont der EU-Handelsausschussvorsitzende. Zum Beweis führt er an, dass die EU seit Beginn des Angriffs auf die Ukraine insgesamt 60 Rechtsakte in einer „Wahnsinnsgeschwindigkeit“ verabschiedet habe. Das Einstimmigkeitsprinzip gelte nur bei der Außen- und der Steuerpolitik, betont Lange.
Von den Unternehmern bekommen Lies und Lange an diesem Abend viel Rückenwind. „Mit der gleichen Subventionspolitik mitzumischen, wird nicht gelingen. Da müssen wir andere Mittel dagegensetzen“, bestätigt Continental-Vorstand und Contitech-Chef Philip Nelles. Statt Protektionismus plädiert er für Freihandelsabkommen und auf innereuropäische Kooperationen. „Europa hat es mal geschafft, Airbus als Konkurrenten von Boeing auf die Beine zu stellen. Warum schafft man das nicht auch in anderen Wirtschaftszweigen?“, fragt Nelles.
BASF-Managerin Christina Gommlich sieht die EU vor allem regulatorisch unter Wettbewerbsdruck. „Wir brauchen eine Taxonomie, die es ermöglicht, dass ich tatsächlich mehr Geld in grüne Industrieanlagen investiere“, sagt Gommlich und erntet dafür großen Applaus von den Unternehmern im Publikum. Die Handelsexpertin der deutschen American Chamber of Commerce (AmCham) warnt auch davor, dass sich Europa durch seine hohen Standards selbst lähme. Gommlich betont: „Je schwächer wir hier vor Ort werden, desto weniger interessiert es die USA, China, Brasilien und Indien, was wir wollen.“
Dieser Artikel erschien am 01.03.2023 in der Ausgabe #038.
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