Landvolk-Vize: „Wir spüren die Überforderung der Bauern“
Der niedersächsische Bauernverband wählt im Dezember einen neuen Präsidenten. Jörn Ehlers und Holger Hennies bewerben sich um die Nachfolge von Albert Schulte to Brinke, der altersbedingt nicht erneut kandidiert. Beide Bewerber haben sich in der Rundblick-Redaktion vorgestellt. Zuerst sprachen wir mit Jörn Ehlers über den Streit um die Dünge-Verordnung, die neue Bauernbewegung und sein Ziel, Wertschöpfung und Wertschätzung zu verbessern.
Rundblick: Herr Ehlers, die Landwirtschaft steht derzeit gefühlt aus allen Richtungen unter Beschuss. Worin sehen Sie die größte Herausforderung, mit der die Bauern in Niedersachsen aktuell konfrontiert sind?
Ehlers: Mich beunruhigt vor allem die zunehmende Frequenz, in der Vorgaben für die Landwirtschaft geändert werden. Da kommt keiner mehr hinterher. Zu der zunehmenden Geschwindigkeit kommt dann noch eine zunehmende Oberflächlichkeit, mit der die Themen in der Öffentlichkeit behandelt werden. Wir brauchen aber Zeit, um die Themen umfassend zu erklären. Der große Knall kam im vergangenen Jahr, als in kurzer Zeit die Novelle der Dünge-Verordnung und das Insektenschutzprogramm anstanden. Es gab bereits Maßnahmen, die hätten erst einmal wirken müssen, bevor man mit neuen Verboten kommt. Das hat für viel Unverständnis gesorgt.
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Rundblick: Aus diesem Unverständnis heraus trat im vergangenen Herbst mit der Bauernbewegung „Land schafft Verbindung“ (LsV) ein neuer Akteur auf die politische Bühne. Auf den Demonstrationen gab es immer wieder Kritik am Landvolk, das sich nicht genug für die Interessen der Landwirte eingesetzt habe – etwa bei der Nitratrichtlinie und der damit verbundenen Dünge-Verordnung.
Wir sind alle Landwirte mit den gleichen Zielen. Wir nutzen nur unterschiedliche Instrumente, die sich aber auch gegenseitig ergänzen.
Ehlers: Ich glaube nicht, dass wir da Fehler gemacht haben. Das Thema Gewässerschutz und Düngeverordnung ist kein neues, da waren wir schon immer engagiert und haben uns eingebracht. Als Verband haben wir die Einteilung der „roten Gebiete“ kritisiert und zweifeln die Messstellen an. Nachdem unsere fachlichen Argumente von der Politik nicht aufgenommen wurden, haben wir Gutachten anfertigen lassen und unterstützen hierzu mehrere Klagen von Landwirten.
Rundblick: Sehen Sie die neue Bauernbewegung als Konkurrenz zum Landvolk?
Ehlers: Man wollte mit den Traktor-Demonstrationen ein Zeichen setzen und eine neue Form des Protests wagen. Treckerdemos gab es schon früher, aber die schnelle Form der Mobilisierung über die sozialen Netzwerke ist neu. Als Konkurrenz sehe ich die Bewegung aber nicht. Viele Bauern, die sich dort engagieren, sind auch Mitglied beim Landvolk. Wir stehen in regelmäßigem Austausch auf Landes- und Kreisebene. Zu Beginn haben wir LsV bei der Logistik und vor allem bei Fach-Informationen geholfen oder Kontakte zu Politikern hergestellt. Inzwischen hat LsV aber eigene Kontakte, das läuft mittlerweile selbstständig. Wir sind alle Landwirte mit den gleichen Zielen. Wir nutzen nur unterschiedliche Instrumente, die sich aber auch gegenseitig ergänzen.
Rundblick: Es gibt also eine Arbeitsteilung: LsV kümmert sich um die Demo, das Landvolk ist der seriöse Ansprechpartner für die Politik?
Ehlers: Wir spielen uns gegenseitig die Bälle zu, das kann man schon sagen. Schließlich wollen wir alle, dass es den Betrieben gut geht. Bei den Verhandlungen zum „Niedersächsischen Weg“ saßen wir gemeinsam mit LsV und auch mit der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) an einem Tisch. Wir wollen, dass der Kompromiss auch in der Landwirtschaft auf einer möglichst breiten Basis steht.
Ich werbe für das sogenannte holländische Modell bei den Agrar-Umwelt-Maßnahmen. In Deutschland werden Maßnahmen gefördert – in den Niederlanden Ergebnisse.
Rundblick: Beim „Niedersächsischen Weg“ haben Landesregierung, Naturschutz- und Bauernverbände an einem Gesetzespaket gearbeitet, das mehr Artenschutz gewährleisten soll. Ein Verhandlungspartner, der Nabu, hat aber zeitgleich ein Volksbegehren vorangetrieben. Hat das den Konflikt zwischen Bauern und Naturschützern noch verschärft?
Ehlers: Regional hat es die Stimmung schon angeheizt. Ich hätte mir vom Nabu gewünscht, dass er frühzeitig aus dem Volksbegehren aussteigt. Doch Nabu-Chef Holger Buschmann hat sein doppeltes Spiel immer mit dem Druck begründet, den die Regierung brauche. Ich habe den Druck aber eher als hinderlich empfunden. Wir haben mit dem „Niedersächsischen Weg“ viele strittige Themen abgearbeitet. Ich hoffe wirklich, dass wir wieder zur Ruhe kommen, und die Landwirte wünschen sich, dass sie wieder in Ruhe auf ihren Höfen arbeiten können. Ich spüre eine deutliche Überforderung in den Betrieben.
Rundblick: Was muss denn sonst noch passieren, damit die Landwirte wieder etwas durchatmen können?
Ehlers: Ein wesentlicher Punkt ist die Entbürokratisierung. Ich selbst werbe beispielsweise für das sogenannte holländische Modell bei den Agrar-Umwelt-Maßnahmen. Zurzeit ist es so, dass solche Förderprojekte mit vielen Nachweispflichten für den Landwirt verbunden sind. Es wird ein Vertrag unterschrieben, und dann müssen die einzelnen Bestimmungen fristgerecht umgesetzt und jeder Schritt genau dokumentiert werden. In den Niederlanden funktioniert es anders. Da schließen sich Landwirte und Naturschützer in einer Kooperation zusammen und setzen sich ein gemeinsames Ziel – zum Beispiel die Förderung einer bestimmten Vogelart. Dafür gibt es dann Geld vom Staat, aber nicht jeder einzelne Schritt wird vorgeschrieben. Stattdessen wird nach einer gewissen Zeit geschaut, wie erfolgreich der eingeschlagene Weg war und wenn das Ergebnis noch nicht stimmt, wird nachjustiert. Die Dokumentationspflichten fallen viel geringer aus, und die Verantwortung lastet nicht allein auf dem Landwirt, sondern auf der Kooperationsgemeinschaft. In Deutschland werden Maßnahmen gefördert – in den Niederlanden Ergebnisse.
Rundblick: Wenn Sie nun Präsident des Landvolks werden, was wollen Sie in den kommenden drei Jahren erreichen?
Ehlers: Da habe ich im Wesentlichen zwei Ziele, die sich unter den beiden Schlagworten Wertschöpfung und Wertschätzung zusammenfassen lassen. Es ist mir wichtig, dass wir die Wertschöpfung in den landwirtschaftlichen Betrieben erhalten, denn Landwirtschaft ist ein entscheidender Wirtschaftsfaktor in Niedersachsen. Die Art der Tierhaltung zum Beispiel wird sich in den kommenden Jahren nachhaltig verändern. Wenn es bei gleicher Wertschöpfung weniger Tiere gibt, wird der Landwirt das auch umsetzen. Entscheidend ist, dass die Betriebe von ihrer Arbeit gut leben können. Das Borchert-Papier zur Neuausrichtung der Nutztierhaltung halte ich persönlich für einen sehr guten Ansatz.
Rundblick: Und was wollen Sie für die Wertschätzung tun?
Ehlers: Mir ist wichtig, dass wir Landwirte nicht als Verursacher von Problemen gesehen werden, sondern als diejenigen, die auch zur Lösung beitragen. Auch wir suchen nach Wegen für mehr Umweltschutz und Biodiversität. In der Vergangenheit hat sich dafür der Tag des offenen Hofes bereits als gutes Instrument der Öffentlichkeitsarbeit bewiesen. Wenn man das Gesicht des Landwirts kennt, ist das viel authentischer und trägt mehr zur Wertschätzung in der Bevölkerung bei als eine Kampagne des Verbands. Auch Social Media ist zwar nichts neues mehr, aber als Verband können wir unsere Mitglieder darin besser schulen und ihnen mehr Instrumente an die Hand geben. Neben der fachlichen Expertise wird es immer wichtiger, auch Einfluss auf die öffentliche Meinung zu haben. Landwirte produzieren hochwertige Lebensmittel, engagieren sich für mehr Umweltschutz und Biodiversität, zeigen das auch gerne und sind bereit, neue Wege mitzugehen – aber auf Augenhöhe mit der notwendigen Wertschätzung von Politik und Gesellschaft.