Landkreise: Niedersachsen liegt hinten bei der Digitalisierung der Verwaltung
Die 37 niedersächsischen Landkreise sind höchst unzufrieden mit dem Tempo und den Inhalten einer Mammutaufgabe, die allen Ländern abverlangt wird. „Die Digitalisierung der Landes- und Kommunalverwaltung kommt nicht voran“, sagte Celles Landrat Klaus Wiswe (CDU), Präsident des Niedersächsischen Landkreistages (NLT), in seiner Rede vor der Landräteversammlung in Varel (Kreis Friesland).
Das Online-Zugangsgesetz des Bundes verlangt von allen Bundesländern, bis Ende 2022 insgesamt 525 Behörden-Dienstleistungen online zu ermöglichen. Das bedeute, die Bürger müssten dann die Chance haben, alle diese Aufgaben zuhause am Computer zu erledigen. „In Niedersachsen sind die Ergebnisse der bisherigen Vorbereitungen aber außerordentlich ernüchternd“, sagte Wiswe.
Kein einziges der 525 Projekte, die dann verbindlich geregelt sein müssen, habe jetzt schon den nötigen Reifegrad erreicht – obwohl Geld und Personal dafür genügend vorhanden seien. Die Pläne würden jetzt in Hannover neu justiert, obwohl doch Entscheidungen des Landes nötig seien. Wiswe hält das für völlig unzureichend. In einer IT-Umfrage liege Niedersachsen bezüglich der Zusammenarbeit von Landes- und Kommunalverwaltung mittlerweile im Länderranking auf dem letzten Platz, betonte der NLT-Präsident.
Es muss doch vorangehen, wir brauchen doch Entscheidungen über die Möglichkeit, Anträge elektronisch zu stellen. Wenn die Wirtschaftlichkeitsprüfung des Landes negativ ausgehen sollte, muss die kommunale Familie selbst etwas aufbauen.
Wiswe ärgert es auch, dass auf Landesebene gerade die Wirtschaftlichkeit einer gemeinsamen technischen Basis einer Online-Verwaltung überprüft wird. „Es muss doch vorangehen, wir brauchen doch Entscheidungen über die Möglichkeit, Anträge elektronisch zu stellen. Wenn die Wirtschaftlichkeitsprüfung des Landes negativ ausgehen sollte, muss die kommunale Familie selbst etwas aufbauen.“ Ein neues Portal für die Kommunen würde aber Kosten im sechsstelligen Bereich verursachen, und das sei vermeidbar.
Vordringlich seien jetzt ein Servicekonto und ein Online-Formularservice. Das aus Sicht des Landekreistages schwerfällige Voranschreiten beim Aufbau der elektronischen Aktenführung ist nur einer von mehreren Punkten, die Wiswe in seiner Rede kritisch ansprach. Das Verhältnis zur Landesregierung sei zwar „sehr gut und störungsfrei“, betonte der Celler Landrat. Aber in einigen Details gebe es Schwierigkeiten:
Natura 2000: Die Auflagen der EU, die notwendigen Gebiete auszuweisen, würden seit 2014 von den Landkreisen zielstrebig angepackt. Aber es habe zwischen Umwelt- und Agrarministerium wiederholt Konflikte in der Sache gegeben, und das schon seit rot-grünen Zeiten. Die Ursache dafür, dass die Pläne schwerfällig vorangingen, lägen noch am früheren Umweltminister Hans-Heinrich Sander von der FDP. Bezogen auf 306 Gebiete habe man die Pläne erfolgreich abgeschlossen, in 79 „schwierigen Fällen“ jedoch ließen die Ergebnisse auf sich warten. Auch wenn Umweltminister Olaf Lies (SPD) angesichts der Erwartungen aus Brüssel jetzt Druck mache, könnten die Landkreise die restlichen Arbeiten „nicht in den nächsten drei Monaten flächendeckend erledigen“.
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Ein anderes Problem sei die Frage, wie die als naturnah ausgewiesenen Areale später gepflegt werden sollen. Bis 2027 seien dafür nach Schätzungen des Umweltressorts 400 Millionen Euro nötig, doch in der Finanzplanung des Landes tauchten lediglich 9 Millionen Euro auf. „Das reicht nicht“, betonte Wiswe. Ministerpräsident Stephan Weil entgegnete später, diese 9 Millionen Euro seien lediglich die geplante Steigerung. Insgesamt seien es 60 Millionen, und mit dem Klimaschutz-Maßnahmenplan komme man „wohl auf eine Summe von 90 Millionen Euro“.
Tierseuchen: Die Veterinärämter der Landkreise erfüllen für das Land wichtige Aufgaben – die Überwachung etwa von Schlachthöfen und auch die Kontrolle von Lebensmitteln auf ihre Reinheit. 22 Millionen Euro erhielten die Kreise dafür jährlich vom Land, und das Geld reiche nicht. Irritierend seien auch Überlegungen, das Landesamt für Verbraucherschutz könne viele Kompetenzen von den Kreisen übernehmen. „Wer etwas für den Tierschutz und den Verbraucherschutz tun will, muss bei den Kommunen ansetzen“, betonte Wiswe. Von der drohenden „afrikanischen Schweinepest“ sei Deutschland inzwischen „umzingelt“. Nötig sei jetzt eine „Vorsorgegesellschaft“, in der Land und Kommunen zusammenhalten und Regelungen treffen, die im Fall eines Ausbruchs der Seuche eine rasche Abriegelung und auch Entschädigung ermöglichen.
Infrastruktur: Wiswe rügt, dass das Land für den Ausbau von Breitbandnetzen teilweise nur zehn Prozent der Kosten trage. Hier müsse stärker investiert werden. Es gehe auch nicht an, dass die Mobilfunkbetreiber erwarteten, die Kreise mögen nun aktiv werden und die nötigen Mobilfunkmasten in Eigenregie errichten. Was die neuen Windkraftanlagen angehe, die für die Energiewende nötig seien, müsse die Haftungsfrage klar geregelt werden: Wenn die Kommunen auf Wunsch des Landes verstärkt den Neubau von Anlagen genehmigen sollten, müssten die Vorgaben des Landes dafür auch hinreichend konkret sein.
Die Digitalisierung kommt nicht voran. In Niedersachsen sind die Ergebnisse der bisherigen Vorbereitungen aber außerordentlich ernüchternd.
Gesundheit: Die 120 Millionen Euro, die das Land jährlich an Investitionen für die Krankenhäuser bereitstellt, reichten nicht aus. Zusätzlich eine Milliarde Euro würden benötigt, wenn man den Stau in einigen Bereichen beseitigen wolle. Wiswe empfahl, Geld aus dem Haushaltsüberschuss von 2019 dafür zu verwenden. Ministerpräsident Weil betonte, seine Regierung folge nicht den Ratschlägen, die Zahl der Krankenhäuser in Niedersachsen, derzeit 172, drastisch zu verringern. Gleichwohl könne es keine Bestandsgarantie für jede Klinik geben.
Altschulden: Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Landkreistages, Prof. Hans-Günter Henneke, wandte sich gegen Pläne von Bundesfinanzminister Olaf Scholz, der Bund könne die Altschulden der deutschen Kommunen von 35 Milliarden Euro tilgen – vornehmlich der Städte in NRW, Rheinland-Pfalz und Saarland. Henneke betonte, das sei ein „Monopolyspiel“, denn eigentlich hätten die Kommunen einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf eine ausreichende Mindestausstattung. Beispielsweise NRW und Rheinland-Pfalz hätten diesen aber nicht erfüllt. In Niedersachsen, wo schon vor zehn Jahren ein Entschuldungsprogramm für die Kommunen vom Land gestartet worden war, sei dies anders gewesen. Wenn man sich auf Scholz‘ Überlegungen einlasse, gefährde man die eigenen Position im Drängen auf die Einhaltung verfassungsrechtlicher Vorschriften. Ministerpräsident Weil sagte, der Plan von Bundesminister Scholz könne nur zum Tragen kommen, wenn die niedersächsischen Vorleistungen, also das bereits laufende Programm der Kommunalentschuldung, dabei berücksichtigt werden. (kw)