Landesregierung tief beunruhigt über Infektionsgeschehen
Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) und sein Stellvertreter Bernd Althusmann (CDU) haben sich tief besorgt über das Corona-Geschehen in Europa und auch in Niedersachsen geäußert. „Wir stehen eindeutig am Anfang einer zweiten Welle. Entscheidend wird nun sein, wie sich die Infektionszahlen in den kommenden Tagen entwickeln“, erklärte Weil. Althusmann fügte hinzu, er habe vorsorglich weitere Hilfen für das Gastgewerbe und für Überbrückungshilfen bereitgestellt. Dazu nutze er die vorhandenen Töpfe des Landes und hoffe noch auf zusätzliches Geld des Bundes.
Am umstrittenen Beherbergungsverbot wollte Niedersachsen noch gestern Mittag vorerst festhalten – „wir hoffen aber, dass wir es nach den Herbstferien werden lockern können“, fügte Althusmann hinzu. Damit ist Personen aus Gebieten, die besonders vom Virus betroffen sind, eine Übernachtung in Hotels oder Ferienwohnungen untersagt. Am Nachmittag kippte dann das Oberverwaltungsgericht Lüneburg diese Verfügung – das Beherbergungsverbot sei nicht hinreichend bestimmt und umfasse sowieso nur einen Teil des Reisegeschehens, stelle also keine wirkliche Schutzmaßnahme dar.
Einschnitte bei 35er- und 50er-Inzidenz
Als Maßstab für wesentlich verschärfte Einschnitte soll die Zahl von 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner gelten, die in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt innerhalb einer Woche gemessen worden sind, also die sogenannte Inzidenz. Bundesweit nimmt die Zahl der Regionen, in denen dieser Wert überschritten wurde, seit Tagen zu. Nach Auskunft von Weil und Althusmann wird in der neuen Landesverordnung, die nun schnellstmöglich erlassen werden soll, die Pflicht zum Tragen von Masken ausgeweitet. Wenn die Inzidenz in einem Kreis über 35 liegt, wird dringend dazu geraten, die Regeln zu verstärken.
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Wenn sie 50 übersteigt, soll das sogar verpflichtend werden. Weil wies auf das Beispiel der Stadt Delmenhorst hin, wo der Oberbürgermeister für das Bewegen in der Fußgängerzone die Maskenpflicht verfügt hat. Bei einer Inzidenz von 50 solle auch festgelegt werden, dass Gaststätten um 23 Uhr schließen müssen und sie ganztägig im Außenbereich keinen Alkohol ausschenken dürfen. Die Zahl der Personen, die maximal an einer privaten Feier teilnehmen können, ist bisher schon in der niedersächsischen Verordnung auf 25 festgelegt, bei einer Inzidenz von 50 sind es zehn Personen. Maximal 100 Personen können an privaten Feiern, etwa in Gaststätten, teilnehmen. Liegt die Inzidenz bei 35, sind es noch 50 Personen, liegt sie bei 50, sind es nur 25 Personen. Die Obergrenze für Veranstaltungen, in denen die Teilnehmer sitzen, ist bisher bei 500 Personen geregelt. Hier dürfte noch festgelegt werden, dass bei den Inzidenz-Stufen 35 und 50 weitere Begrenzungen verbindlich werden. Bisher gilt eine solche Regel noch nicht.
Die Verantwortung für Entscheidungen vor Ort liege in der Hand der jeweiligen Landräte oder Oberbürgermeister, betonte Weil. Er wollte auch nicht ausschließen, dass dort dann nach Bedarf weitere harte Einschnitte verhängt werden können – etwa das Betretungsverbot für bestimmte Plätze oder sogar eine Ausgangssperre. Auf die Frage nach dieser Ausgangssperre antwortete Weil nicht, erklärte aber, die komplette Abriegelung eines Risikogebietes würde „ernsthafte verfassungsrechtliche Probleme“ auslösen. Möglich ist es nach den Worten des Ministerpräsidenten auch, dass Landräte und Oberbürgermeister für ihre Region etwa die Schließung von Schulen anweisen können.
Ich habe mich wirklich sehr geärgert, dass auch aus einer solchen Sitzung, die nun wirklich einen sehr ernsten Anlass hat, irgendwelche Vollpfosten meinen, dann gleich wieder Indiskretionen rausgeben zu müssen.
Ungehalten reagierte Weil auf Teilnehmer der Sitzung von Ministerpräsidenten, Kanzlerin, Mitgliedern des Bundeskabinetts und ihren Beamten, die Details an die Medien durchgesteckt haben: „Ich habe mich wirklich sehr geärgert, dass auch aus einer solchen Sitzung, die nun wirklich einen sehr ernsten Anlass hat, irgendwelche Vollpfosten meinen, dann gleich wieder Indiskretionen rausgeben zu müssen. Mir ist vollkommen schleierhaft, was solche Menschen damit bezwecken.“ Unterdessen hat die aktuelle Zuspitzung noch weitergehende Folgen:
CDU überdenkt Terminplan: Althusmann sagte, die CDU erwäge, mehrere Veranstaltungen abzusagen – den Landesparteitag am 7. November, bei dem der Vorstand neu gewählt werden sollte (die Grünen planen das für den gleichen Tag auch), und die Gedenkveranstaltung aus Anlass der 70. Wiederkehr des Tages der Gründung der CDU in Goslar. Laut Bundesgesetz, das aber noch nicht verkündet ist, könnten die Parteien ihre Vorstandswahlen neu organisieren – über regionale Veranstaltungen, bei denen jeweils Briefwahlen stattfinden.
Weihnachtsmärkte in Gefahr: Die Planungssicherheit für Weihnachtsmärkte steht stark in Frage – denn in einigen Orten könnte kurzfristig ein Anstieg der Infektionen solche Angebote zunichte machen.
Bundeswehr steht bereit: Die Landesregierung hofft auf ausreichende Unterstützung durch die Bundeswehr, wenn die lokalen Gesundheitsämter wegen personeller Engpässe allein nicht in der Lage sein sollten, die Infektionsketten zurückzuverfolgen.