Kurz vor der Halbzeit im Landtag wird der Plan für den Machtwechsel in der SPD verkündet
Das ist ein guter Brauch der niedersächsischen SPD zum Auftakt eines neuen Jahres: Die Führungsgremien der Partei treffen sich in der Heimvolkshochschule in Springe zur Klausurtagung. Hier ist man sozusagen ganz unter sich, ganz familiär. Vor genau100 Jahren wurde die Einrichtung von der Sozialistischen Arbeiter-Jugend gegründet, nach dem Zweiten Weltkrieg erwarb die SPD das Gebäude. Jetzt steht hier wieder ein historischer Termin an. Denn in der Sitzung wird es um die Frage gehen, wie in den nächsten Jahren die Machtgewichte in der Niedersachsen-SPD verteilt werden. Und das kurz vor der Halbzeitbilanz der rot-grünen Landesregierung.

Die Spatzen pfeifen es von den Dächern: Ministerpräsident Stephan Weil wird erklären, dass er beim SPD-Landesparteitag am 24. Mai nicht noch einmal als SPD-Landesvorsitzender antritt – und das Amt nach dann 13 Jahren abgibt. Sein wahrscheinlich bevorstehender Verzicht dürfte dann auch die Antwort auf die Frage drängender machen, wann Weil als Ministerpräsident aufhören möchte. Als Nachfolger steht Wirtschaftsminister Olaf Lies (57) bereit. Die Legislaturperiode des Landtags endet erst in zweieinhalb Jahren, im Herbst 2027. Die Anzeichen dafür, dass Weil früher geht, verdichten sich.
In der SPD werden nun verschiedene Varianten diskutiert, die mit unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten ausgestattet sind:

- Weil verzichtet im Mai und im Herbst: Viel spricht dafür, dass Weil den Landesvorsitz abgeben wird. Auf seinen Vorschlag dürfte dann Wirtschaftsminister Olaf Lies neuer SPD-Chef werden. Die Alternative wäre nur so vorstellbar, dass Lies der offizielle Kandidat für das Amt des Regierungschefs wird und jemand anders – etwa Innenministerin Daniela Behrens – die Position der SPD-Landesvorsitzenden übernehmen soll. Falls Lies neuer SPD-Chef würde, wäre er sowohl Vorgänger wie Nachfolger von Weil, denn der heutige Ministerpräsident hatte ihn 2012 als SPD-Landeschef abgelöst. Es gibt auch Anzeichen, dass Weil dann für den Dezember 2025 seinen Verzicht als Ministerpräsident erklärt, im Landtag könnte kurz vor Weihnachten Lies als nächster Ministerpräsident der rot-grünen Koalition gewählt werden. In einem Kabinett Lies dürfte es einige Veränderungen geben, aber keine größeren. Ein neues Team um den neuen MP herum dürfte in der Staatskanzlei etabliert werden, der neue Wirtschaftsminister (oder eine Wirtschaftsministerin?) würde eine wichtige Rolle im SPD-Bezirk Hannover einnehmen müssen. Wirtschafts-Staatssekretär Frank Doods (SPD) wäre, wenn er denn möchte, eine starke Besetzung für den Posten des Chefs der Staatskanzlei. Wahrscheinlichkeit: Hoch.
- Weil verzichtet nur auf Parteivorsitz: Eine andere Variante lautet, dass Weil den Parteivorsitz an Lies übergibt, aber bei seiner bisherigen Ansage bleibt, als Ministerpräsident bis zum Ende der Wahlperiode im Amt zu bleiben. Das hätte den großen Nachteil, dass ein neuer SPD-Landeschef Impulse setzen müsste, die er selbst im Regierungsamt nicht verwirklichen könnte – da er dort der Loyalität gegenüber dem Ministerpräsidenten verpflichtet ist. Ein solches Spannungsverhältnis wäre höchstens ein halbes Jahr lang ohne größere Konflikte auszuhalten. Das Dilemma gestaltet sich so: Ein neuer Parteichef stünde unter dem Erwartungsdruck, Signale von Aufbruch und Erneuerung zu senden. Diese würden immer als ein Unterschied zum Stil des Vorgängers Weil interpretiert werden. Wenn Weil aber weiter Regierungschef ist, würde die Dynamik des neuen Parteichefs immer an der Beständigkeit des alten Regierungschefs abprallen. An dieser Konstellation würde sich auch dann nichts ändern, wenn Weil einen möglichen Verzicht auf das Amt des Regierungschefs für 2026 statt für 2027 in Aussicht stellt. Auch das wäre, wenn der personelle Übergangsprozess mit dem Parteiamt einmal eingeläutet ist, eine zu lange Zeitspanne. Wahrscheinlichkeit: Gering.
- Weil kandidiert wieder als Parteichef: Denkbar wäre auch, dass Weil eine weitere zweijährige Periode als SPD-Landesvorsitzender anhängt, sich also erneut bewirbt. Dies würde von vielen in der SPD als eine große Überraschung aufgenommen werden, da sich weite Teile der Partei bereits auf einen personellen Neuanfang eingerichtet haben und davon auch einen Ruck zu neuer Tatkraft erwarten. Das Risiko wäre dann groß, dass die SPD-Spitze eine Frustrationswelle wegen einer ausbleibenden Erneuerung bekämpfen müsste. Ein strategischer Nachteil wäre zudem, dass diese weitere Amtszeit als Parteichef dann im Mai 2027 enden würde – also wenige Monate vor der Landtagswahl. Die jetzt vertagte Führungsfrage würde sich dann 2027 neu stellen. Wahrscheinlichkeit: Gering.

- Weil verzichtet zugunsten einer Doppel-Lösung: Vorstellbar wäre, dass Weil in Springe den baldigen Abschied von beiden Führungspositionen – Parteivorsitz und Ministerpräsidentenamt – verkündet. Die Nachfolgefrage könnte aber in einer Doppellösung bestehen. Den SPD-Landesvorsitz würde Ende Mai Innenministerin Daniela Behrens übernehmen, für das Amt des Ministerpräsidenten würde in der Folge – vielleicht sogar schon vor den Sommerferien – Olaf Lies kandidieren. Da sich Lies und Behrens gut verstehen, wäre ein Rollenkonflikt zwischen beiden nicht zu befürchten. Mit der Doppellösung würde die Breite der Aufstellung der SPD deutlich werden, außerdem würde die lange versprochene Frauenförderung in der Partei endlich konkrete Formen annehmen. Dagegen spricht, dass Behrens nicht gerade als leidenschaftliche Anhängerin der parteipolitischen Gremienarbeit gilt, das aber müsste sie dann vermutlich sein. Wahrscheinlichkeit: Nicht sehr hoch.
Dieser Artikel erschien am 28.03.2025 in der Ausgabe #060.