5. Feb. 2024 · 
Justiz

Kritik an mangelnder Unabhängigkeit der Staatsanwälte

Prof. Volker Boehme-Neßler, Professor für Öffentliches Recht an der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg, hat einen bemerkenswerten Namensbeitrag im Politik-Magazin „Cicero“ (Februar-Ausgabe) veröffentlicht. Prof. Boehme-Neßler prangert darin die mangelnde Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaften in Deutschland an. Dass die dem Wesen nach zur neutralen Ermittlung verpflichteten Institutionen des Rechtsstaats zeitgleich an Weisungen der Justizminister gebunden seien, bezeichnet der Jurist und Politologe als „Relikt aus dem obrigkeitsstaatlichen 19. Jahrhundert“.

Volker Boehme-Neßler | Foto: Universität Oldenburg

Als ersten Beleg für die politische Einflussnahme führt Prof. Boehme-Neßler den Disput zwischen dem damaligen Generalbundesanwalt Harald Range und dem damaligen Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) an, der Range nach kritischen Äußerungen 2015 in den einstweiligen Ruhestand versetzt hatte. In der Regel werde der Einfluss aber weniger plump ausgeübt, sondern mittels subtiler Kommunikation, so der Universitätsprofessor. Sein Kernargument, für das er die Berliner Generalstaatsanwältin Margarete Koppers als Kronzeugin heranzieht, lautet: Wenn die Politik die Unabhängigkeit der Justiz in jeder Sonntagsrede betont, dann könnte sie das Weisungsrecht auch einfach abschaffen. Im Umkehrschluss suggeriert er: Behält die Politik das Weisungsrecht bei, wird sie es auch immer wieder einmal zu ihrem eigenen Vorteil nutzen.

Besser sei etwa die Justiz in Italien dran, wo unabhängige Staatsanwälte „unerschrocken gegen korrupte Politiker und mafiöse Strukturen“ ermittelten. Auch die Europäische Union habe bei der Konzeption der Europäischen Staatsanwaltschaft auf die Unabhängigkeit geachtet, damit Regierungs- und Wirtschaftskriminalität tatsächlich aufgedeckt werden können. Prof. Boehme-Neßler sieht vor allem die Glaubwürdigkeit der Staatsanwaltschaften gefährdet, die mit der Entscheidung für oder wider die Einleitung und den Abschluss eines Ermittlungsverfahrens schon über das Aus von Politikerkarrieren befinden können. „Der entscheidende Punkt ist also das Vertrauen der Bürger in die Justiz. Für dieses Vertrauen ist die aktuelle Rechtslage in Deutschland ein schleichendes Gift“, schreibt Prof. Boehme-Neßler und verweist auf den Cum-Ex-Skandal, für dessen Aufarbeitung unabhängige Staatsanwaltschaften unabdingbar wären.

Dieser Artikel erschien am 6.2.2024 in Ausgabe #22.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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