21. Juli 2015 · 
Archiv

Kommentar: Legendenbildung

(rb) Als der frühere niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann nach seinen missglückten Versuchen, in der Kommunalpolitik eine neue Karriere zu starten, vor einem Jahr als Nachrücker in den Landtag zurückkehrte, war das für ihn ganz sicher kein einfacher Weg. Der befürchtete Hohn und Spott aus der heutigen Regierungskoalition blieb zwar weitgehend aus. Dafür muss Schünemann bis heute damit leben, dass nahezu alles, was in der Flüchtlingspolitik Probleme bereitet, seiner damaligen Amtsführung angelastet wird. Rot-Grün profitiert dabei zudem davon, dass selbst in der eigenen Fraktion des CDU-Politikers immer noch etliche Vertreter zu finden sind, die ihn persönlich für die Wahlniederlage von 2013 zumindest mitverantwortlich machen. Sein Ruf als Hardliner in der Asylpolitik hat ihn freigegeben für allerlei Angriffe aus dem Regierungslager, wann immer sich das anbietet. Schünemann hat das mit stoischer Gelassenheit ertragen, hat sich auf sein neues Aufgabengebiet, die Europa- und Regionalpolitik, konzentriert und sich jedweder Kommentierung in der Flüchtlingspolitik enthalten – wohl auch, um nicht weiter Öl in das ohnehin schon hochemotionale Feuer zu gießen. Erst als ihm der SPD-Innenpolitiker und Landtagsvizepräsident Klaus-Peter Bachmann im Landtag auch noch vorhielt, er habe in seiner Amtszeit in der Integrationspolitik „nichts gemacht“, ist Schünemann der Kragen geplatzt. Die Legendenbildung bei SPD und Grünen hat gern alle seine Aufgabenfelder als Innenminister in einen Topf geworfen und zu einer übelriechenden Melange verkocht. Die Wahrheit aber ist tatsächlich eine andere, und an die hat Schünemann den Landtag in einer persönlichen Erklärung zum Abschluss des Juli-Plenums wieder erinnert. Denn tatsächlich, auch wenn viele das vergessen haben mögen, hat der umstrittene CDU-Politiker die Integrationspolitik zu seiner Herzensangelegenheit gemacht, die ihm in der Flüchtlingspolitik neben etlichen schlechten auch positive Schlagzeilen beschert hat. Entsprechend schwer konnte sich Schünemann damit abfinden, dass er seine Zuständigkeit für die Integrationspolitik im Jahr 2010 an die damals neue Integrationsministerin Aygül Özkan abtreten musste. Gerade für Abgeordnete, die erst seit 2013 im Landtag sitzen und Schünemann für den absoluten Buhmann halten, mag es neu sein, dass das Integrationszentrum in Friedland auf Schünemanns Initiative entstanden ist, und dass dort die angekommenen Flüchtlinge sofort Sprachkurse sowie eine Einweisung bekommen haben, um künftig in den Kommunen zurechtzukommen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat ihm in einer Evaluation attestiert, dass diese Einrichtung viel dazu beigetragen hat, dass sich Flüchtlinge, die dann auf die Kommunen verteilt wurden, viel schneller integrieren konnten. Dazu gehört auch, dass die Kinder sofort in die Schule gekommen sind und dort eine besondere Sprachförderung erhalten haben, sodass sie nach ihrer Ankunft in den Kommunen nicht automatisch in die Hauptschulen gehen mussten, sondern viele von ihnen auch Realschulen oder Gymnasien besuchen konnten. Auch die Willkommenskurse in den Erstaufnahmeeinrichtungen, die jeder Asylbewerber – mit oder ohne Aussicht auf Anerkennung – bekommen hat, gehen auf Schünemanns Konto. Vieles davon findet heute nicht mehr statt. In diese Reihe gehören auch die Integrationsleitstellen in den Kommunen, das Integrationslotsenprogramm, das auch andere Bundesländer übernommen haben, und die Einführung einer Integrationsministerkonferenz mit dem Ziel einer Vernetzung und Abstimmung der Bundesländer in der Asylpolitik. Dass die Problemlage heute mit ungleich höheren Zahlen von Flüchtlingen eine ganz andere ist als vor fünf Jahren, ist unbestritten, mindert aber nicht die Integrationsbemühungen der früheren Landesregierung und ihres damaligen Innenministers. Bei aller Kritik, die man an dessen harter Haltung in der Abschiebepraxis haben kann, die Schünemann mittlerweile selbst einräumt, sollte diese Legendenbildung ein Ende finden. az
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #137.
admin
Autoradmin

Artikel teilen

Teilen via Facebook
Teilen via LinkedIn
Teilen via X
Teilen via E-Mail