Klingbeil und Pistorius – zwei Niedersachsen streben nach hohen Posten im Merz-Kabinett

Man hat das schon öfter erlebt in solchen Momenten: Immer dann, wenn schwierige Verhandlungen über eine neue Regierung abgeschlossen und die Ressortzuständigkeiten unter den Partnern verteilt sind, kursieren Namenslisten. Darauf steht dann, wer neuer Minister werden soll. Es passiert dann aber hin und wieder, dass der eine oder andere Kandidat am Ende doch nicht zum Zuge kommt. Denn Politik wird von Menschen gemacht, und da gibt es auch bei eigentlich schon festgeklopften Entscheidungen trotzdem auf den letzten Metern noch Änderungen. Mal liegt es an Eitelkeiten, mal an kurzfristig auftretenden Widerständen, mal auch an Kommunikationsproblemen.
Deswegen ist die Liste der – wahrscheinlichen – künftigen Bundesminister, die gestern nach Abschluss der schwarz-roten Koalitionsgespräche in Berlin verteilt wurde, auch nur mit großer Vorsicht zu genießen. SPD-Chef Lars Klingbeil erklärte am Mittwoch, die SPD werde ihre Personalentscheidungen erst treffen, wenn das Ergebnis des SPD-Mitgliederentscheids über den Koalitionsvertrag vorliegt. Auch der künftige Kanzler Friedrich Merz bat noch um Geduld. Einige Bewertungen lassen sich dennoch schon treffen:
- Lars Klingbeil könnte Finanzminister werden, er hätte damit eine enorm starke und unabhängige Position in der neuen Regierung. Als einziges Kabinettsmitglied hat der Finanzminister ein Vetorecht im Kabinett und kann damit ihm zuwiderlaufende Entscheidungen aufhalten.
- Boris Pistorius dürfte Verteidigungsminister bleiben. Da die Verteidigungsausgaben nicht mehr an die Schuldenbremse gekoppelt sind, kann er demnächst ein riesiges Investitionsprogramm in Gang setzen.
- Hubertus Heil, Bundesarbeitsminister seit sieben Jahren, dürfte sein Ministeramt verlieren. Was wird nun aus ihm?
- Matthias Miersch, SPD-Generalsekretär, will nicht in die Landespolitik wechseln. Welche Aufgabe auf ihn in Berlin wartet, ist bisher noch unklar.
- Silvia Breher, Landesvorsitzende der CDU Oldenburg, soll vermutlich als Vertreterin der Niedersachsen-CDU neue Familienministerin werden.

Sollte es zu diesem Tableau kommen, so fällt zunächst das starke Niedersachsen-Gewicht auf der SPD-Seite auf, das keine Entsprechung auf der CDU-Seite hat. Über Mathias Middelberg aus Osnabrück, bisher Unionsfraktionsvize, war als Innen- oder Finanzminister spekuliert worden. Der 60-jährige Jurist kommt aber offenbar ebenso wenig zum Zuge wie der Hannoveraner Hendrik Hoppenstedt (52), der Justizminister hätte werden können. Auch ein Wechsel des Europa-Abgeordneten David McAllister in das Amt des Außenministers geschieht nach derzeitigem Stand nicht – wobei es heißt, dass McAllister dies auch gar nicht angestrebt habe. Unterm Strich könnte die Niedersachsen-CDU mit nur einer Ministerin namens Breher nicht zufrieden sein – zumal die 53-jährige Oldenburgerin auch nicht gerade als politisches Schwergewicht gilt und sich in öffentlichen Äußerungen wiederholt stark zurückgehalten und auf klare Positionierungen verzichtet hat. In der Debatte über die Reform der Abtreibung gilt sie nicht als Vertreterin des liberalen Flügels der Union.

Der mögliche Aufstieg von Lars Klingbeil zum Bundesfinanzminister kann als Überraschung gewertet werden – denn der 47-jährige Klingbeil hat bisher keine Regierungserfahrung und soll jetzt in weltpolitisch schwierigen Zeiten über internationale Finanzbeziehungen verhandeln. Er wird dafür im Fall der Ernennung viele gute Berater brauchen. Seine hervorragende parteipolitische Verankerung und Vernetzung hat dem SPD-Mann aus Munster (Heidekreis) so manchen Karriereschritt ermöglicht – zuletzt den Aufstieg zum Fraktionschef, obwohl er doch als Parteichef Mitverantwortung für das desaströse SPD-Bundestagswahlergebnis trägt. Klingbeil hat Politikwissenschaft an der Uni Hannover studiert, im Wahlkreisbüro von Kanzler Gerhard Schröder gearbeitet und seine Flexibilität gezeigt. Begonnen hatte er bei den Linken in der SPD, inzwischen ist er bei den rechten Seeheimern. Er ist die starke Figur der SPD bundesweit, mit dem neuen Ministeramt wird er – wenn es so kommt – noch stärker sein als Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius, der auf seinem Posten bleiben dürfte. Man kann davon ausgehen, dass Klingbeil bei der nächsten Bundestagswahl 2029 der Kanzlerkandidat der Sozialdemokraten wird. Vor der Bundestagswahl gingen viele davon aus, dass Pistorius die herausragende Figur in einer schwarz-roten Koalition sein würde. Das sieht nun nicht mehr so aus, Klingbeil hat ihn offenkundig überholt. Das gilt zumindest dann, wenn Klingbeil tatsächlich am Ende ins Kabinett gehen sollte. Dann wird er wohl auch Vizekanzler werden.

Was aber wird aus Hubertus Heil, dem Arbeitsminister aus dem Wahlkreis Peine? Er ist, stärker noch als Klingbeil und Pistorius, ein SPD-Urgestein. Er kennt die SPD wie kein zweiter, er ist hervorragend vernetzt. Es sieht aber so aus, dass der 52-Jährige seinen Abschied aus dem Kabinett nehmen muss. Was nun aus ihm wird, war am Mittwoch noch nicht abzusehen. Vielleicht wird sich Heil für den Vorsitz der SPD-Bundestagsfraktion bewerben, vielleicht auch den Vorsitz der SPD anstreben. Beides wäre kein Selbstläufer, da mit Klingbeil und Pistorius schon zwei männliche Sozialdemokraten tonangebend sind. Hinzu kommt noch SPD-Generalsekretär Matthias Miersch (56) aus der Region Hannover, der ebenfalls weiterhin eine wichtige Rolle wahrnehmen will und auch soll. Miersch hat einen Wechsel in die Landespolitik, der sich mit der Neubildung der Landesregierung Ende Mai anböte, abgelehnt. Für Heil käme er wohl nicht in Frage – ein früherer Bundesarbeitsminister ist als einfacher Landesminister nicht vorstellbar.
Dieser Artikel erschien am 10.04.2025 in der Ausgabe #069.
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