Bis 2050 soll Niedersachsen nur noch fünf bis 20 Prozent von der CO₂-Menge ausstoßen, die 1990 in die Luft gepustet wurde. Der Landesregierung erscheint dieses Ziel als guter Kompromiss, liegt man mit den ungenauen Werten doch genau in der Marschrichtung, die auch auf Bundes- und Europaebene eingeschlagen wurde. Auf diesen „international anerkannten Referenzkorridor“ beruft sich die Landesregierung, wenn in der Debatte um das geplante Klimaschutzgesetz Umweltverbände monieren, das Ziel müsse ein möglichst geringer CO₂-Ausstoß und damit maximal fünf Prozent sein. Im Umweltausschuss saß gestern allerdings kein Vertreter eines Naturschutzverbands vor den Abgeordneten, sondern ein Wissenschaftler. Ruhig und sachlich erklärte Professor Stefan Rahmstorf die Auswirkungen der Erderwärmung auf die Natur und lobte das Vorhaben der Parlamentarier, auch auf Landesebene verbindliche Ziele festzulegen. Doch dann kam Kritik, und sie fiel drastisch aus. „Nach meinen Berechnungen sind fünf Prozent CO₂-Ausstoß schon zu viel, um die Erderwärmung noch stoppen zu können. Dafür darf gar kein CO₂ mehr abgegeben werden“, sagte Rahmstorf. Er fordert, Deutschland, und damit auch Niedersachsen, müsse als Industrienation eine Vorreiterrolle einnehmen und den CO₂-Ausstoß schon deutlich vor 2050 auf null setzen.

Lesen Sie auch:

 

Der Wissenschaftler, der am Institut für Klimaforschung in Potsdam seit Jahrzehnten die Grundlagen des Klimawandels und seine Folgen erforscht, hatte eine Präsentation mit Schaubildern und animierten Grafiken vorbereitet, um den Abgeordneten den Zugang zu dem komplexen Thema zu erleichtern. Er sprach von bekannten Phänomenen wie dem Abschmelzen der Polkappen, eines eisfreien Nordpols, der Verwüstung des Mittelmeerraums und Extremwetterlagen als Folgen des Klimawandels. Aber Rahmstorf flocht auch einige Details in seinen Vortrag, die die Dringlichkeit des Problems verdeutlichen. So zeigte er etwa ein Diagramm, das die Erdtemperatur in den vergangenen 20.000 Jahren nachzeichnete; von der letzten Eiszeit bis heute. Vor etwa 2000 Jahren hatte sich die Durchschnittstemperatur der Erde schon einmal um einige Milligrad über den Normalwert erwärmt. In den vergangenen Jahrhunderten war die Temperatur wieder sanft gefallen. Doch etwa ab der Höhe von 1900 zeigt die Kurve steil nach oben. Ein Grad über Null hat sie schon erreicht – der höchste Wert in der Menschheitsgeschichte. „Wir haben die Abkühlung der Erde nicht nur wettgemacht, die Temperatur steigt auch noch weiter“, sagt Rahmstorf. Das Beispiel ist ein Argument gegen jene, die eine Anhebung der Durchschnittstemperatur um ein Grad als wenig brisant empfinden. Es zeigt, dass die Folgen unbekannt sind, weil es einen solchen Fall in der Zivilisationsgeschichte noch nie gab. Auf der Klimaschutzkonferenz 2015 in Paris hat sich die Weltgemeinschaft darauf geeinigt, den Anstieg der Durchschnitttemperatur bis 2050 auf zwei Grad zu begrenzen.

Der Grünen-Abgeordnete Volker Bajus wollte vom Forscher wissen, ob Westeuropa eigentlich auch stark vom Klimawandel bedroht werde. Immerhin ist Niedersachsen keine Insel und liegt nördlich genug, um nicht von der Wüste in Beschlag genommen zu werden. Rahmstorf hatte jedoch gleich mehrere Beispiele, in denen die Veränderung des Klimas auch Gefahren für Westeuropa und Niedersachsen ausgelöst hat. „Nehmen sie etwa den Jahrhundertsommer 2003“, sagt Rahmstorf. „70.000 Menschen in Europa starben infolge der Hitze.“ Diese Daten gewinnt er, indem er die Sterbezahlen für die Sommermonate auswertet und mit denen in anderen Ländern vergleicht. Der Juli 2003 sticht in der Grafik deutlich hervor. „Wenn es nur ein Sommer gewesen wäre, könnte man von Zufall reden.“, sagt Rahmstorf. Doch 2006, 2010 und 2015 seien ebenfalls Spitzentemperaturen gemessen worden. „Das ist kein Zufall mehr, das ist Klimawandel.“ Zudem nähmen Wetterextreme wie Überschwemmungen zu. „Die treffen auch Deutschland, wie man vergangenes Jahr im bayrischen Simbach am Inn erlebt hat.“

Niedersachsen muss sich allerdings auch um seine Küste sorgen. Denn der Meeresspiegel wird weiter steigen, selbst wenn es gelingt, die Durchschnittstemperatur auf zwei Grad über dem Normalwert zu begrenzen. „Die Pole werden schmelzen und damit mehr Wasser in die Ozeane gelangen.“ Um 20 Zentimeter habe sich der Meeresspiegel in den vergangenen 100 Jahren angehoben. „In Deutschland kann der Küstenschutz in diesem Jahrhundert mit der Entwicklung noch Schritt halten“, sagt Rahmstorf. Doch am Ende der Entwicklung wird der Meeresspiegel seinen Berechnungen zufolge um zwei Meter gestiegen sein. „Dann wird es schwer, bestimmte Küstengebiete noch gegen das Wasser zu verteidigen.“

Doch offenbar gibt es noch ein bisschen Hoffnung. Im Entwurf für das Klimaschutzgesetz wird den Mooren und Wäldern eine besondere Bedeutung als CO₂-Speicher zugedacht. Der CDU-Abgeordnete Martin Bäumer merkte an, Holz könne auch länger Kohlenstoffdioxid speichern, wenn es geschlagen und etwa für den Bau von Häusern verwendet werde, anstatt im Wald zu verrotten und damit das CO₂ wieder freizugeben. Rahmstorf pflichtete ihm bei, doch die Effekte und Voraussetzungen seien noch nicht genug erforscht. Holzhäuser seien für das Klima aber allemal besser, da bei der Produktion von Beton wieder CO₂ produziert werde.

Die Landwirtschaft in Niedersachsen protestiert vehement gegen das geplante Gesetz zum Klimaschutz, doch einen eklatanten Nachteil gibt es aus Sicht des Klimaforschers Rahmstorf für die Bauern nicht. Die Bodenspeicherung von CO₂ sei noch nicht abschließend erforscht, doch das Treibhausgas schade den Böden nicht. „Es könnte für die Landwirtschaft arbeitsintensiver werden, da sie die Äcker nicht so tief umgraben dürfen“, sagt Rahmstorf. Doch Einbußen im Ertrag dürfte es nicht geben. Immerhin speicherten auch andere Pflanzen außer Bäumen CO₂ während der Fotosynthese. Das Treibhausgas im Boden könnte dadurch sogar düngend wirken. (isc)