14. Nov. 2022 · Wirtschaft

Keine Nachtparkplätze für Lkw: Private Apps sollen da helfen, wo die Politik versagt

Der Güterverkehr soll von der Straße auf die umwelt- und klimafreundlichen Verkehrsträger Schiff und Schiene verlagert werden – so steht es im Koalitionsvertrag der neuen niedersächsischen Landesregierung. Doch bis es dabei zu nennenswerten Fortschritten kommt, dürften noch einige Jahre vergehen. Häfen, Bahnhöfe, Schifffahrtswege und Gleisstrecken müssen erst einmal ausgebaut werden, um die zusätzlichen Kapazitäten zu schultern.

Brummi-Fahrer, die nachts einen Parkplatz an der Autobahn suchen, gehen häufig leer aus. | Foto: GetttyImages/Ollo

Währenddessen haben Logistiker und Spediteure, die mit Lastwagentransporten derzeit die niedersächsische Wirtschaft am Laufen halten, mit ganz aktuellen Problemen zu kämpfen: Steigende Energiepreise, Engpässe beim Diesel-Zusatz AdBlue, der zunehmende Fahrermangel und auch die Parkplatznot an Rastanlagen fordern die Transportbranche heraus. Laut der Bundesanstalt für Straßenwesen (BaSt) fehlen allein in Niedersachsen rund 2400 Abstellmöglichkeiten für Lastwagen in den Nachtstunden – Tendenz steigend.

Wie schwierig es für Lastwagenfahrer in Deutschland ist, nachts einen Stellplatz zu finden, hat vor einigen Tagen der ADAC nachgewiesen. „An fast jeder zweiten Rastanlage parkten Lastwagen höchst riskant in Ein- und Ausfahrten oder auf dem Seitenstreifen der Autobahn“, lautet das Ergebnis einer Stichprobe entlang der wichtigsten deutschen Schwerlastrouten. Auf dem traurigen zweiten Platz landete dabei die Autobahnraststätte Wildeshausen-Nord an der A1 im Landkreis Oldenburg. Dort parkten acht Brummis nicht mehr auf der Rastanlage, sondern in Ein- und Ausfahrten oder auf dem Seitenstreifen der Autobahn.

"Diese Parkverstöße sind für alle Verkehrsteilnehmenden besonders gefährlich. Immer wieder fahren Autos nahezu ungebremst auf derart abgestellte Lastwagen auf – mit teils tödlichen Folgen“, mahnen die ADAC-Experten. Mit der im rot-grünen Koalitionsvertrag festgeschriebenen „Vision Zero“ mit null Toten und Schwerletzten im Straßenverkehr verträgt sich das freilich nicht.

Aber kann die Landesregierung in Hannover hier überhaupt tätig werden, wenn für die Autobahnen und Bundesfernstraßen doch eigentlich das Bundesverkehrsministerium zuständig ist? „Ja“, sagt Christian Richter vom Gesamtverband Verkehrsgewerbe Niedersachsen (GVN). Der Landeschef für Güterkraftverkehr sieht sogar nicht nur beim Land, sondern auch bei den Kommunen einen Handlungsspielraum, um die Parkplatznot zu lindern. „Man muss die Industriebetriebe dazu bringen, mehr Parkraum zur Verfügung zu stellen“, sagt Richter. Stattdessen würde aber immer mehr Gewerbegebiete „dicht gemacht“, sodass Lastwagen dort nicht mehr parken können.

Überfüllte Lkw-Parkplätze sind in Deutschland und Niedersachsen keine Seltenheit. | Foto: GetttyImages/Ollo

„Was unser Gewerbe angeht, hat die Politik in den letzten Jahrzehnten schlichtweg geschlafen. Wir müssen die Zahl der Lastwagen-Parkplätze drastisch aufbauen“, fordert Richter, der selbst gelernter Kraftverkehrsmeister ist. Erst am vergangenen Donnerstag sei er selbst mit einem Lastwagen auf der A2 Richtung Hannover unterwegs gewesen. „Um 17.45 Uhr habe ich begonnen, einen Parkplatz zu suchen – ich habe keinen bekommen. Die Rastanlagen sind randvoll“, sagt Richter und fordert die Politiker zum Perspektivenwechsel auf: „Sie können gerne bei uns mitfahren und versuchen, eine Parkmöglichkeit für die Nacht zu finden.“ Überall in der Branche ist der Ärger über die Parkplatznot groß.

„Die Raststätten sind so überfüllt, dass die Fahrer kaum noch planen können“, weiß Dennis Morische, Fuhrparkleiter bei der Spedition Fischer in Nienburg/Weser. Der Parkplatzdruck sei mittlerweile so hoch, dass die Fahrer sich eigentlich bereits am Nachmittag einen Stellplatz für die Nacht sichern müssten. Ein Lastwagenfahrer, der noch bis 17 Uhr hinterm Lenkrad sitzen darf, könne aber nicht einfach um 14 Uhr schon eine Raststätte ansteuern. „Und wenn man irgendwo im Industriegebiet beim Kunden vor der Haustür stehen muss – ohne Duschmöglichkeit und Toilette – ist das ein echtes Problem. Das machen die wenigsten Fahrer lange mit“, weiß Morische.

Auch Richter betont, wie wichtig gute Arbeitsbedingungen im Kampf gegen den Fahrermangel sind. „Uns fehlen bundesweit jetzt schon knapp 80.000 Fahrer und wir können das kaum noch kompensieren“, berichtet der GVN-Landesgeschäftsführer. Auch das Anwerben von Fahrern aus dem Ausland werde immer schwieriger. „Der Anreiz auf höhere Löhne ist auch nicht mehr so prickelnd“, sagt Richter und beobachtet mit Sorge, dass immer mehr deutsche Unternehmen ihre Lastwagen abmelden. „Der Anteil an ausländischen Lastwagen auf deutschen Straßen nimmt immer mehr zu. Dadurch werden noch mehr Parkplätze benötigt.“

In Niedersachsen fehlen insgesamt rund 2400 Parkplätze für Lastwagen an den Autobahnen. | Quelle: Bundesanstalt für Straßenwesen

Das Bundesverkehrsministerium hat im vergangenen Jahr, noch unter Andreas Scheuer (CSU), das Förderprogramm „Step“ aufgelegt. Dabei stellt der Bund insgesamt 90 Millionen Euro zur Verfügung, damit Privatinvestoren bis 2024 rund 4000 neue Lastwagen-Stellplätze im Drei-Kilometer-Radius von Autobahnanschlussstellen errichten. Obwohl die neuen Parkmöglichkeiten zu 80 bis 90 Prozent subventioniert werden, ist das Interesse überschaubar. 15 Vorhaben mit rund 700 neuen Stellplätzen wurden bislang gefördert, darunter noch kein einziges Großprojekt in Niedersachsen.

„Die Versorgung der gesamten Industrie und Bevölkerung hängt am Straßengüterverkehr“, sagt Richter und warnt davor, die Branche aus ökologischen Gründen an die Wand zu fahren. Auch der Familienvater wünscht sich eine Verkehrswende, die man aber nicht übers Knie brechen dürfe. „Da ist Fingerspitzengefühl gefragt, sonst werden wir irgendwann vor leeren Regalen stehen“, sagt der gebürtige Einbecker und nennt auch zwei Möglichkeiten, wie zusätzliche Parkflächen ohne neue Flächensiegelungen möglich sind.

Parkplatzsuche per App

Ein in der Öffentlichkeit weitgehend unbekanntes Erfolgsmodell ist die „Truck Parking“-App des Versicherungsunternehmens Kravag, das sich auf Transportunternehmen, Spediteure und Logistik-Dienstleister spezialisiert hat. „Die erfahrenen Fahrer haben ihre Orte, wo man immer stehen kann. Aber gerade als junger Fahrer ist so eine App deutlich von Vorteil“, sagt Dennis Morische von der Spedition Fischer. Als erste Firma in Niedersachsen hatte sich der Betrieb vor drei Jahren dem Projekt angeschlossen, das auch mit Landesmitteln gefördert wurde. „Unter der Woche sind die Lastwagen unterwegs, der Hof ist leer und die Parkplätze ungenutzt – da kann man sie auch anderen Unternehmen zur Verfügung stellen“, erklärt Morische das Prinzip.

Die Stellplätze auf dem Betriebsgelände nahe der B6 können per App gebucht werden, was zwar kostenpflichtig ist. Dafür bekommen die Fahrer hier aber auch unter anderem Sanitäranlagen, Videoüberwachung, einen Stromanschluss und Flutlicht geboten. Auch die Fahrer der Nienburger Spedition reservieren sich auf ihren Touren solche Stellplätze per App. „Es kommen immer mehr Standorte dazu, man kommt damit gut überall hin“, sagt Morische.

Per App können Lkw-Fahrer einen sicheren Stellplatz für die Nacht suchen. | Foto: Bosch

Das Angebot ist allerdings auf Kravag-Kunden beschränkt und bekommt ernsthafte Konkurrenz: Der Bosch-Konzern und der niederländische Anbieter Travis Road Services, die ähnliche Plattformen betreiben, wollen ihr Angebot bündeln und Europas größtes Netzwerk von Lastwagen-Parkplätzen schaffen. Ab Anfang 2023 sollen insgesamt 15.000 Parkplätze an rund 400 Standorten in 14 europäischen Ländern verfügbar sein – sowohl auf Autohöfen als auch auf Firmengeländen. Welcher der beiden Anbieter sich langfristig durchsetzt, bleibt abzuwarten.

Kolonnenparken auf der Rastanlage

Wenn Lastwagen ein- oder ausparken, benötigen sie dafür ziemlich viel Verkehrsfläche. „Bei Kolonnenparken können sie dagegen eng an eng stehen und brauchen keinen Platz zum Rangieren“, erläutert Richter. Auf der Rastanlage Inntal-West an der bayrisch-österreichischen Grenze wird dieses Parksystem seit 2019 erprobt. Laserscanner messen die Länge eines jeden einfahrenden Lastwagens und ein intelligentes Leitsystem weist den Fahrern passend zur gemessenen Länge und zur angegebenen Pausenzeit dann den optimalen Parkplatz in der richtigen Parkreihe zu. Auf der Test-Raststätte an der A93 konnte die Zahl der Lastwagen-Stellplätze dadurch von 62 auf 93 erhöht werden (plus 50 Prozent).

In Pilotprojekten ist das Kolonnenparken für Lastwagen bereits erfolgreich getestet worden.
| Foto: Bayrisches Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr

Das Bundesverkehrsministerium sieht das auch schon auf anderen Pilotanlagen getestete Verfahren allerdings kritisch. „Es sind technische und wirtschaftliche Randbedingungen zu beachten, die einem bundesweiten Einsatz entgegenstehen“, teilte die Behörde im April auf Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit. Anstatt das System großflächig einzuführen, will das Verkehrsministerium die technische Machbarkeit und Wirtschaftlichkeit in Einzelfällen prüfen.

Diese Zurückhaltung überrascht, denn in seiner Zeit als Verkehrsminister von Rheinland-Pfalz plädierte der heutige Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) noch dafür, dass die Technologie häufiger eingesetzt wird. 2017 kommentierte Wissing ein Pilotprojekt an der A3 bei Montabaur noch mit folgenden Worten: „Kolonnenparken ist eine kostengünstige, intelligente und schnell installierte Lösung.“

Dieser Artikel erschien am 15.11.2022 in Ausgabe #202.
Christian Wilhelm Link
AutorChristian Wilhelm Link

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