23. Juli 2015 · 
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Kein „Senioren-Knast“ in Niedersachsen

(rb) Hannover. In Niedersachsen werden auf absehbare Zeit keine besonderen Abteilungen für ältere Gefangene eingerichtet, wie es sie in anderen Bundesländern bereits gibt, obwohl die Gruppe „60 plus“ in den Justizvollzugsanstalten des Landes seit 2008 mit 190 bis 200 Gefangenen pro Jahr konstant bleibt. Wie das Justizministerium auf Anfrage der Landespressekonferenz am Mittwoch mitteilte, waren am Stichtag 30. Juni 2015 zwei Männer im Alter von 80 Jahren in Niedersachsen inhaftiert. Insgesamt saßen 194 Gefangene im Alter von über 60 Jahren in den Justizvollzugsanstalten ein. Mit dem Verzicht auf eine gesonderte Abteilung für Senioren folge Niedersachsen einer Empfehlung des Ministerkomitees des Europarates vom 8. April 1998 über ethische und organisatorische Aspekte der Gesundheitsfürsorge in den Vollzugsanstalten. Danach sollten Gefangene fortgeschrittenen Alters nicht von den übrigen Häftlingen abgesondert werden. Mit dieser Position stimme Niedersachsen mit der weit überwiegenden Anzahl der Bundesländer überein. Auch in einer zunehmend älteren Gesellschaft bestehe Altersdiskriminierung. Wichtig werde es daher für eine gelungene Inklusion von älteren Menschen in Zukunft sein, neue Modelle des Zusammenlebens zu finden. Eine Separierung von älteren Gefangenen in speziellen Einrichtungen oder Abteilungen wäre eine Entwicklung in die entgegengesetzte Richtung. Die neu errichteten Justizvollzugsanstalten in Oldenburg, Rosdorf, Sehnde und Bremervörde seien barrierearm bzw. barrierefrei gebaut. Damit würden die Belange behinderter und älterer Menschen berücksichtigt. Auch in älteren Justizvollzugseinrichtungen seien entsprechende Haftplätze geschaffen worden. Wie auch schon in der Vergangenheit werde bei künftigen Bauplanungen die Einrichtung entsprechender Haftplätze einbezogen. Dabei sei je nach gesundheitlicher Einschränkung immer auch die Vollzugstauglichkeit oder Haftfähigkeit gemäß § 455 StPO zu prüfen. Ob eine Person von über 90 Jahren in Niedersachsen noch inhaftiert werden könne, müsse die jeweils zuständige Staatsanwaltschaft prüfen, teilte der neue Sprecher des Justizministeriums, Marco Hartrich, mit. Hintergrund ist der jetzt vorläufig zu Ende gegangene Prozess gegen den „Buchhalter von Auschwitz“: Das Landgericht Lüneburg hat den 94-jährigen Oskar Gröning wegen Beihilfe zum Mord in 300 000 Fällen zur vier Jahren Haft verurteilt. Sowohl ein Nebenkläger als auch die Verteidigung haben mittlerweile Revision eingelegt. Ob der gesundheitlich angeschlagene ehemalige SS-Mann haftfähig ist, wird die Staatsanwaltschaft erst prüfen können, wenn das Urteil rechtskräftig ist.
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #139.
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