8. Juni 2023 · 
Justiz

Justiz in Niedersachsen verschärft Kampf gegen Kinderpornographen und Behörden-Hasser

„Niedersachsen wird sicherer“: Diese Bilanz zog gestern Justizministerin Kathrin Wahlmann (SPD) bei der Vorstellung der niedersächsischen Strafverfolgungsstatistik für das Jahr 2022. Die Zahl der Verurteilungen ist wieder einmal gesunken und liegt nun bei 62.164 Fällen – das sind etwa 10.000 weniger als noch 2012. Auch der Anteil der Freisprüche liegt auf dem niedrigsten Stand seit zehn Jahren und macht nur noch 3,7 Prozent aller Strafverfahren aus.

Kathrin Wahlmann und Thomas Hackner stellen die Niedersächsische Strafverfolgungsstatistik 2022 in Hannover vor. | Foto: Link

„Die Staatsanwaltschaft erhebt nur dann Anklage, wenn die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung größer ist als die einer Freisprechung. Und diese Fälle finden Sie in der Strafverfolgungsstatistik“, erläuterte Wahlmann, die vor ihrer Berufung in die Landesregierung am Landgericht Osnabrück als Richterin tätig war. Der Rückgang betreffe so gut wie alle Deliktbereiche, insbesondere aber die Schwerverbrechen. „Gerade bei den Straftaten, vor denen die Bevölkerung am meisten Angst hat, gehen die Verurteilungen zurück“, sagte die Justizministerin. Bei den Sexualstraftaten und der Gewalt gegen Amtsträger und Rettungskräfte ist Wahlmann mit der Entwicklung allerdings nicht zufrieden.

Verurteilungen wegen Kinderpornographie auf Rekordhöhe

Kinderpornographie: „Es ist für die Täter sehr leicht über das Internet und über das Darknet an große Mengen hochwertigen Materials heranzukommen und untereinander zu teilen“, sagte Thomas Hackner, Leiter der Strafrechtsabteilung im Justizministerium. Aber nicht nur deswegen sei die Zahl der verurteilten Kinderpornographen in Niedersachsen auf einen neuen Höchststand geklettert. Zu dem Anstieg auf 333 Verurteilungen (Vorjahr: 297) sei es auch deswegen gekommen, weil die Ermittlungsbehörden ihre Aktivitäten verstärkt hätten und der Strafrahmen für Verbreitung, Erwerb und Besitz von Kinderpornographie verschärft wurden. Außerdem würden die US-Behörden immer mehr Fälle melden.

„Diese perfide Form der Kriminalität ist leider die Kehrseite der Digitalisierung“, sagte die Justizministerin und betonte: „Hinter jedem dieser Fälle steht ein Kind, das tatsächlich missbraucht wurde. Jedes dieser Schicksale ist eines zu viel, deswegen werden wir das entschieden bekämpfen.“ 2022 sei die Zentralstelle zur Bekämpfung von Kinderpornographie bei der Staatsanwaltschaft Hannover bereits um zehn Mitarbeiter erweitert worden, weitere Personalverstärkungen würden geprüft. Beim sexuellen Missbrauch und schweren sexuellen Missbrauch von Kindern lag die Zahl der Verurteilungen auf dem Niveau der Vorjahre.

„Wir nehmen aber auch ein verändertes Anzeigeverhalten wahr. Opfer ziehen sich nicht mehr zurück, sondern begeben sich aus der Deckung. Das ist ein sehr positiver Trend."

Thomas Hackner, Leiter der Strafrechtsabteilung im Justizministerium

Sexualdelikte: Im vergangenen Jahr wurden so viele Sexualstraftäter wie noch nie von den niedersächsischen Gerichten verurteilt. 974 Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, 74 Vergewaltigungen und 62 Fälle von Stalking wurden geahndet. Der Justiz spiele dabei das vom Bundestag verschärfte Sexualstrafrecht mit dem Grundsatz „Nein heißt Nein“ in die Karten, berichtete Hackner. „Wir nehmen aber auch ein verändertes Anzeigeverhalten wahr. Opfer ziehen sich nicht mehr zurück, sondern begeben sich aus der Deckung. Das ist ein sehr positiver Trend“, sagte der Ministerialdirigent. Schließlich könnten die Ermittler nur dann tätig werden, wenn solche Vergehen auch gemeldet werden.

Justizministerin will "mit voller Härte dagegenhalten"

Gewalt gegen Amtsträger: Mit dem Ausklingen der Corona-Pandemie sind auch die tätlichen Angriffe gegen Vollstreckungsbeamte wieder etwas zurückgegangen, blieben mit 661 Verurteilungen (im Vorjahr noch 701) aber auf sehr hohem Niveau. Der Widerstand gegen Staatsbeamte erreichte dagegen mit 540 Verurteilungen einen neuen Rekordwert (2022: 489 Verurteilungen). „Das dürfte das Anzeichen einer allgemein gestiegenen Respektlosigkeit gegenüber dem Staat und seinen Organen sein“, sagte Hackner und wies ausdrücklich darauf hin, dass die Aktionen der „Letzten Generation“ sich in der Statistik noch nicht widerspiegeln würden.

In 30 Fällen wurden auch Täter verurteilt, die Feuerwehr und Rettungskräfte in ihrer Arbeit behinderten oder sogar attackierten. Im geringfügigen Rückgang der Verurteilungen (minus 5 Straftaten) sieht der Strafrechts-Experte keine Trendwende. „Das lässt sich eher auf die schwierige Beweisfähigkeit in Tumult-Lagen zurückführen“, sagte er. Für Justizministerin Wahlmann steht auch mit Blick auf die Silvester-Angriffe zum Jahreswechsel 2022/2023 fest: „Nicht nur der Ton, auch die Taten werden rauer. Das ist Ausdruck einer besonderen Verachtung unseres Staates. Deswegen werden wir mit voller Härte dagegenhalten, da brauchen wir auch eine Verschärfung des Gesetzes.“ Auch die Bedrohung von politischen Amtsträgern, die in vielen Fällen derzeit nicht vor Gericht landet, nimmt Wahlmann als ein sich verschärfendes Problem wahr. Auch hier könne man über eine Gesetzesverschärfung nachdenken, sagte die SPD-Politikerin.



Rekord bei illegalen Autorennen: 126 Raser verurteilt

Straftaten im Verkehr: Die Straftaten im Verkehr bleiben mit 15.745 Verurteilungen weiterhin hoch und bewegen sich seit Jahren auf dem gleichen Niveau. Den großflächigen Einsatz von Dashcams zur Disziplinierung der Verkehrsteilnehmer sieht Wahlmann jedoch kritisch. „Ich bin keine Freundin der totalen Überwachung des öffentlichen Raums“, sagte die Juristin. Eine Dashcam-Pflicht lehnt sie ab, die datenschutzkonforme Anwendung von an der Frontscheibe befestigten Autokameras findet die Justizministerin dagegen okay.

Vor wenigen Monaten hatte eine Dashcam zur Verurteilung einer 40-Jährigen vor dem Landgericht Hannover beigetragen. Anhand der zufällig entstandenen Videoaufzeichnung eines Verkehrsteilnehmers konnte der Audi-Fahrerin nachgewiesen werden, dass sie mit Tempo 180 in Barsinghausen (Region Hannover) auf der Gegenfahrbahn raste. Durch ihre rücksichtslose Fahrweise hatte sie den Tod eines zweijährigen Jungen und seines sechs Jahre alten Bruders verursacht sowie die Eltern der beiden und einen weiteren Autofahrer schwer verletzt. Das Schwurgericht verurteilte die Frau, die selbst dreifache Mutter ist, zu sechs Jahren Haft. Der Fall wird jedoch vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe in der nächsten Instanz noch einmal aufgerollt.

2022 wurden 126 Menschen in Niedersachsen aufgrund von verbotenen Kraftfahrzeugrennen verurteilt – darunter 11 Frauen, die restlichen Täter waren Männer. Dabei haben sich nicht alle Verurteilten tatsächlich ein echtes Rennen geliefert. „Wenn einer schon fährt, als wäre er an einem Autorennen beteiligt, ist der Straftatbestand bereits erfüllt“, erläuterte Wahlmann und verteidigte das Gesetz, das in schweren Fällen eine Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren vorsieht. Schließlich habe eine solch rücksichtslose Fahrweise „oft gravierende Folgen für unbeteiligte Verkehrsteilnehmer“.


Dieser Artikel erschien am 9.6.2023 in Ausgabe #105.
Christian Wilhelm Link
AutorChristian Wilhelm Link

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